Sisso Love

Ich zerwühle Laken, bis sie nicht mehr erkennbar sind, bis sie sich am Ende meines Bettes zu einem Klumpen zusammengefunden haben, wie alte Kumpel vor einer Bar, schweißgetränkter und bald nicht mehr weißer Stoff, der die gelbe Erinnerung an meine schlaflosen Nächte sein wird, bis ich mich erbarme und sie in die Waschmaschine stopfe, sodass der Kreislauf von vorne losgehen kann.

Ich schlage meine Augen auf, schnell und erbarmungslos, denn Erbarmen darf ich grad nicht haben, nicht in diesem Moment, das weiß ich genau, es ist eine kleine aber feine Art der Bestrafung. Würde mir jemand gegenüber sitzen, würde sie erschrecken, Augen so schnell aufgeschlagen, dass man sich fragen würde, ob sie eventuell schon die ganze Zeit geöffnet waren? Grade eben habe ich noch geschlummert, geschlafen wäre übertrieben, ich war auf dem Weg dorthin, ich war auf dem Weg in die Entspannung, die Ruhe, die endlose Geborgenheit des Schlafes, aber so gnädig war ich heute nicht mit mir. Mein Kopf hat sich seinen eigenen Weg gebahnt, meine Gedanken haben ihre eigene Richtung eingeschlagen, weit weg von schlafen und Augen geschlossen halten.

Ich sehe dein Gesicht ganz nah vor mir, als ich die Augen aufschlage, so ein kleines rundes Gesicht, ein brauner Pony über deiner Stirn, deine Haare schon immer so anders als meine, glatt und dunkelbraun, meine Straßenköter wie man so schön sagt und unordentlich. Ah, wie du mich anschaust, kleine Schwesti, große ungetrübte Augen, voller Vertrauen, endlos, du sagst etwas, aber heute kann ich nicht mehr hören, was es ist, dein Mund öffnet sich stumm, du lachst, deine Zähne, kleine Milchzähne blitzen hervor, ich höre dein Lachen nicht, aber ich kann es mir vorstellen, es klingt wie Kinderlachen nun mal überall klingt.

Ich kann mich selbst nicht sehen, aber mein Körper weiß bereits, was passieren wird. Sie, mein Körper ist eine SIE, durchdrungen vom S vom I vom E, wird steif, mein echter eigener Körper, in meinem Bett mit dem Lakenklumpen, wo ich dein Gesicht sehe, Sisso, nicht mein Erinnerungskörper, der vor dir steht, als du noch Milchzähne hattest.

Ich kann mich selbst nicht hören, in meinem Erinnerungskörper, die stimmlos ist. Aber ich weiß, was ich gsagt habe, es sind die Worte, die dafür gesorgt haben, dass ich meine Augen erbarmungslos aufschlage, es sind die Worte, die mich ebenfalls ohne Erbarmen daran erinnern, wie sich dein Blick weitet, ungläubig. Du hast doch so fest daran geglaubt, an unser schwesterliches Bonding, an unser geteiltes Blut, unsere geteilten Erinnerungen, so fest daran geglaubt, dass ich dich ebenso bedingungslos liebe wie du mich. Ich spreche stimmlos zu dir, ich versuche die Tür zwischen uns zuzudrücken, die Bodenlosigkeit deiner Enttäuschung zwischen uns, wie ein Holzkeil, der die Tür daran hindert, sich vollständig zu schließen.

Ich schlage meine Augen auf, liege dort, dein Schwesterngesicht über mir, deine Augen jetzt leer, kein Lachen mehr im Gesicht, keine weißen Milchzähne mehr. Meine Gliedmaßen kribbeln, mein Körper hat das große Bedürfnis sich zu bewegen, alles daran abzuschütteln, deine Blick auf mir wie eklige Tiere, Ameisen, Spinnen, Käfer, die auf mir hoch- und runterkrabbeln, oh man, fuck, ich muss mich dringend bewegen, ich drehe mich, greife nach gelben Laken, die ich mir überziehen kann, will mein Gesicht bedecken, damit ich nicht mehr sehen muss, wie du von deiner eigenen Schwester verraten wirst, wie deine Liebe ins Nichts fällt, wie sie versucht sich durch den Schlitz in der Tür zu drängen und ich nur noch härter dagegen halte. Du bist ein kleines Kind und ich sehe dich an als Erwachsene und dein Blick reißt Löcher in mich.

Ich muss mich räuspern, husten, aufstöhnen, muss Geräusche erzeugen, um meinen Erinnerungskörper zu entlasten, um meinen Kopf hinters Licht zu führen, das Wichtigste ist vergessen, solange wie es geht, bis sich meine Erinnerung wieder gegen mich wenden. Ich brauche Geräusche, um dich abzuschütteln, deinem Blick zu entkommen, tut mir leid, Schwesterherz. Alles läuft nun rückwärts, alles verwischt, deine Haare braune Schlieren in einem bunten Gewirr, unmöglich zu entschlüssen, deine Milchzähne endgültig weg. Dein Blick wandelt sich, von enttäuscht zu liebevoll, dein Gesicht läuft rückwärts, du wendest dich mir zu, Türen öffnen sich, Liebe kann fließen, was für ein Glück, können wir so stehenbleiben, die offene Tür zwischen uns, kann es bitte aufhören, hier am Anfang?

 

Carla Giuseppina Magnanimo

 

freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>