Sachen von mir

Wenn du am Land wohnst, brauchst du ein Auto. Wir borgen uns das Auto deiner Eltern aus, das Auto deines Bruders und, nach seinem Schlaganfall, als er nicht mehr damit fahren kann, das Auto meines Vaters. So lange wir wollen, sagt er.

Wenn wir aufs Land ziehen, muss ich endlich richtig Auto fahren lernen. Das Auto meines Vaters hat Automatik, ich fühle mich sicher, gebe Gas. Nicht so schnell, schreist du, die Straße ist glatt, und ich spüre, wie nervös du bist, wie nervös ich werde.

Das erste, was ich mitgenommen und dort gelassen habe, war ein Wollpulli. Im Haus deiner Eltern habe ich einen Wollpulli gebraucht, im Haus deiner Eltern war es kalt, beheizt nur die Küche mit einem alten Tischherd. Warm nur der Morgen, die gespeicherte Wärme unserer Körper unter dem Tuchent und wie schwer es mir jedes Mal fiel, ihn zurückzuschlagen, aufzustehen.

Wenn du ein Haus baust, musst du früh aufstehen, brauchst du feste Schuhe, die Unebenheiten. Am Anfang gab es überhaupt keine ebenen Flächen, am Anfang war alles voller Bretter und rostiger Nägel, Sperrmüll, Gatsch und Dreck und rundherum die Berge. Später bin ich mit den abgearbeiteten Wanderschuhen mit dir auf einen Gipfel gegangen, habe unsere Namen ins Gipfelbuch geschrieben.

Das erste, was du machst: Du packst alle meine Sachen in das Auto meines Vaters. Du stellst das Auto in die Kurzparkzone vor meiner Wohnung und wirfst mir den Schlüssel ins Postfach. Ich lege einen Parkschein nach, öffne den Kofferraum, trage die Dinge in den Keller, in meine Wohnung.

Mein Snowboard. In den flachen Stücken hast du mich gezogen.

Meine Ski. Zu Weihnachten habe ich meine Ski aus dem Keller meiner Eltern geholt und mitgenommen, zu Weihnachten sind wir zum ersten Mal gemeinsam Ski gefahren, zuerst bist du mir davon, dann habe ich dich überholt.

Die alte Snowboardhose ist so weit, habe ich immer gesagt, dass ich zwei Mal darin Platz habe oder habe ich gesagt: Dass zwei Männer darin Platz haben.

Meine Softboots, eine Skibrille, eine Haube. Ich denke an unser letztes gemeinsames Foto. Wir beide in der Gondel, wir sehen fertig aus, die letzte Fahrt vor Liftschluss. Wir haben die sonnigsten Stunden erwischt, es zieht zu.

Der Wanderrucksack. Der Rucksack war zu schwer, schwerer als deiner, schwerer als der deiner Freunde, schwer, weil ich keine moderne superleichte Wanderausrüstung hatte, so wie ihr. Am Anfang wollte ich umkehren, aber du hast so glücklich ausgesehen, ich wollte dich nicht enttäuschen. Und es gab Momente, da habe ich den Rucksack vergessen, es gab Phasen, da bin ich von Stein zu Stein gesprungen und habe innerlich gesungen, es gab Momente, da hab ich gedacht, ich könnte dir mühelos folgen.

Im Rucksack meine alte Sonnenbrille. Durch die Sonnenbrille sah es immer so aus, als würde die Sonne scheinen, durch die Sonnenbrille haben wir die Berge noch stärker leuchten sehen. Auf der Hütte haben sie reihum meine Sonnenbrille aufgesetzt, du, deine Freunde, alle am Tisch. Ich frage mich, wann das Glas zersprungen ist.

Ein Müllsack mit Gewand. Ich bilde mir ein, dass ich diese Jeans trug, als wir uns kennen gelernt haben, bilde mir ein, dass diese Jeans damals meine Haupthose war. Ich frage mich, warum ich diese Jeans so schnell zur Baustellenhose gemacht habe, denke, dass ich gut aussehen wollte, am Anfang, auch auf der Baustelle.

Eine abgeschnittene Jeans, die man ausschließlich zum Arbeiten am eigenen Grundstück anziehen kann. Eine schwarze Weste, die ich für das Dorfgasthaus schick genug fand. Eine rote Kapuzenjacke mit weißen Farbspritzern. Eine Jacke, die wir im Urlaub gekauft haben. In fünf Jahren haben wir drei Mal Urlaub gemacht. Eine Jeans, die deiner Mutter gehört und Wollhauben, wie viele Wollhauben braucht ein Mensch?

Als wir einziehen konnten, habe ich meine  Shirts in den alten Kasten gelegt, der Kasten, der deinen Großeltern gehört hat und genauso aussieht. Ich sehe sie vor mir, wie sie in ihrem Fach im Kasten liegen, ein Fach darunter die alten Jeans, ein Fach darüber deine Shirts. Ich sehe sie noch immer dort liegen, obwohl dort nun ein Loch sein muss, obwohl du dort bald schon etwas anderes unterbringen wirst. Du hättest meine alten Shirts behalten sollen, denke ich, als Putzfetzen.

An den Ärmeln der Fleece-Jacke klebt Putz, ich habe sie zum arbeiten angezogen und, als es nicht mehr so viel zu arbeiten gab, zum laufen durch den Wald. Ich denke an die Fotos vom letzten Winter, wir beide im Schnee neben dem Bach, wir beide ganz in Schwarz. Nur deine Schuhe leuchten blau und das Stirnband, das meine Mutter dir gestrickt hat. Auf einem Foto stehst du hinter mir, hebst meine Arme in die Höhe. Auf dem nächsten ich auf deinem Rücken, du beugst dich nach vor, ich strecke Arme und Beine zur Seite. Auf dem nächsten hebe ich dich hoch, du lachst, lachst, bevor du fällst, bevor ich dich fallen lasse. Die Fotos, denke ich, hast du nie gesehen. Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der ich die Fleece-Jacke wieder anziehen werde, ich sollte sie wegwerfen, aber ich schiebe sie ins oberste Kastenfach, ganz nach hinten.

Mein Arbeitshandschuhe hast du wohl behalten.

Hausschuhe. Das erste, was ich mir gekauft habe, als der Boden verlegt war, als wir einziehen konnten.

Meine alten, löchrigen Laufschuhe. Am Ende habe ich das Auto genommen, bin ins Tal hineingefahren, habe das Auto abgestellt, bin losgelaufen, immer auf die Berge zu, bis zum Talschluss, bis zum Talschluss und dann? Habe ich mich gefragt und lange vor dem Talschluss umgedreht.

Meine Gedanken: ein Tatort. Ich weiß nicht, wann du aufgehört hast, der Hauptverdächtige zu sein.

Deine Gedanken: ein Schutzdamm.

Das Auto, ich muss es umstellen, irgendwo abstellen, ich weiß nicht, wo ich es parken soll, ich weiß nicht, wie ich ohne dich parallel einparken soll, weiß nicht, was ich ohne dich noch kann.

Deine Gefühle: Ich frage mich, ob du die Fliesen von der Wand stemmst, die wir gemeinsam verlegt haben.

Meine Gefühle: Eine Mischmaschine, Fußabdrücke im Beton, ausgesparte Stellen im Verputz.

Das Auto, sagt mein Vater später, kannst du behalten, du brauchst es jetzt, wo du am Land wohnst.

Barbara Rieger

Dieser Text ist auch Teil der erostepost Nr. 57 (März 2019)

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