Für immer Best of

Du hast alles vorbereitet. Prüfst ein letztes Mal, ob du nichts vergessen hast. Hast du nicht. Alles, wie es sein soll: der Sender eingestellt, die C-60 richtigrum im Deck A, neben dir zwei Stifte, falls einer spinnt, die Hülle mit Einleger, auf dem du die bislang gesammelten Trophäen schon ins Reine geschrieben hast, und ein Schmierpapier, auf dem du die heute hoffentlich hinzukommenden notieren wirst. Hinter dir auf dem Tisch Gurkengesichtbrote und Tee aus deiner Lieblingstasse. Eine Doppelstunde lang wirst du hier jetzt nicht wegkönnen.

Du weißt, was zu tun ist. Hast alles beigebracht bekommen. Geduldig, bis du alle Knöpfe und Tasten bedienen konntest, die du brauchst. Du machst das nicht das erste Mal allein. Hast Talent und inzwischen auch Übung. Erwischst häufig den perfekten Einsatz. Der richtige Einsatz ist das Schwierigste. Das lässt sich dann nachher nämlich nicht mehr ändern: Da bleibt, wenn du zu früh einsetzt, die Anmoderation hörbar, oder fehlt, wenn du zu spät bist, der Liedanfang. Beim Ausklang ist das leichter. Jedenfalls, wenn du zu spät stoppst und die Moderation schon wieder eingesetzt hat. Da kannst du zurückspulen und die Stimmen mit der nächsten Aufnahme überspielen. Da geht das. Beim Einsatz bräuchtest du das ganze Lied neu. Auch das musstest du lernen, auch das wurde dir gezeigt. Erst gezeigt und dann beigebracht. Bei Gurkengesichtbroten und Tee aus deiner Lieblingstasse.

Musst kaum noch Fragen stellen. Obwohl du jederzeit könntest, willst du es nicht. Willst es selbst schaffen. Ziehst deinen Stuhl ganz dicht vor die gute Anlage. Obwohl die Kopfhörer kaputt sind, darfst du sie trotzdem anmachen. Nur leiser, damit man den Fernseher noch hört, der auch hier steht. Nachrichten und so. Du musst also ganz genau hinhören. Wird trotzdem gehen. Muss.
Schaust nach links zum Sessel, der Trainerbank. Erntest liebevolle Mimik und motivierende Gestik. Nickst startklar zurück und konzentrierst dich.
Noch eine halbe Stunde bis zu den Platzierungen. Bis dahin Neueinstiege und Re-Entries, was du noch nicht schreiben kannst, aber weißt, was es ist und auch nicht mehr vergisst, weil der Moderator es jede Woche erklärt.
Die halbe Stunde hörst du zum Warmwerden, für dann, wenn es ernst wird. Hast es durchgerechnet: noch zwei Titel Platz. Dafür musst du die Einsätze nicht perfekt erwischen, gut würde reichen. Dir aber nicht. Bist aufgeregt. Zu aufgeregt selbst für Gurkengesichtbrote und Tee aus deiner Lieblingstasse.

Nachrichten. Gleich wird es ernst. Düdü-düdü-düdüüüü-dü, Verkehrsfunk noch. Du beugst dich ran, noch näher ran, so nah, wie es geht, ran. Kneifst die Augen zusammen, weil du so besser hörst. Das linke Ohr hört zu viel Wohnzimmer, also hältst du es zu. Hörst jetzt nur mit rechts und zusammengekniffenen Augen. Legst den Zeigefinger der freien Hand auf die Taste mit dem roten Kreis und den Mittelfinger auf die mit dem weißen Dreieck, um sie im perfekten Moment zeitgleich zu drücken. Hältst sie vor jeder neuen Platzierung in angespannter Bereitschaft.
Bist beides, erleichtert und enttäuscht, wenn ein Titel kommt, den du schon hast. Erleichtert, weil du die Finger kurz lösen kannst, enttäuscht, weil dir noch immer zwei Titel fehlen.
Daumen hoch von der Trainerbank. Wird schon. Schokoriegel? Du nickst. Passgenauer Wurf. Fängst ihn. Grinst. Enttäuschung vergessen. Beißt ab. Dann wieder in Position. Riegel zur Seite. Wirst ihn beim nächsten Titel weiteressen. Außer es kommt einer, den du noch nicht hast. Dann ist keine Zeit. Dann musst du dir merken, was der Moderator gesagt hat, wie er heißt und von wem er ist, während du hochkonzentriert auf den ersten Ton wartest, um genau dann zeitgleich den roten Kreis und das weiße Dreieck zu drücken, bis sie einrasten. Lieber zu viel Druck als zu wenig. Auch das hast du gelernt.

Wirst, während die Aufnahme läuft, notieren, was du dir gemerkt und verstanden hast. Wirst es so aufschreiben, wie du denkst, dass es geschrieben wird und später, wenn mehr Zeit ist, in der rechten Spalte, der für die B-Seite, auf dem kleinzeiligen Einleger nachtragen. Dein Englisch ist noch nicht gut genug und deine Hand noch nicht ausreichend geübt, um richtig und schnell so klein schreiben zu können. Manche Worte hattest du schon, weißt, wie man sie schreibt, bei anderen hilft Sprachgefühl und das Alphabet. Umlaute sind deine Freunde, vor allem ä.

Könntest fragen, immer. Würdest nie enttäuschen. Trotzdem. Willst es allein schaffen. Weißt, wofür du es machst.

Wirst dann dem Ende des Liedes entgegenfiebern, dem Moment, da der letzte Ton verklungen ist und kurz Stille herrscht, bevor die Moderation wieder einsetzt. Das ist der Moment, auf den du hoffst, der Moment, in dem du die Aufnahme stoppst. Da reicht dann Zeige- oder Mittelfinger und leichter Druck auf nur eine Taste – die mit dem weißen Viereck.

Meistens wird dann nochmal wiederholt, wie das Lied heißt und von wem es ist. Dann kannst du vergleichen, ob sich das so anhört, wie sich das, was du auf deinem Schmierblatt notiert hast, liest. Abgleichen ist leichter als Aufschreiben. Zeit bleibt trotzdem kaum, solang nicht alle Platzierungen gespielt sind. Musst dich wieder in Position bringen, Finger auf roten Kreis und weißes Dreieck, linkes Ohr zuhalten, Augen zusammenkneifen, konzentrieren.

Weißt inzwischen, dass du während der Aufnahme normal atmen, sogar sprechen kannst. Weißt, dass nur das, was gerade auf dem Sender läuft, später auf der Kassette zu hören ist. Also hoffst du mit all deiner Kraft, bittebittebittebitte, dass es, solang roter Kreis und weißes Dreieck eingerastet sind, keine Geisterfahrer oder herumliegenden Reifenteile gibt, keine Wildtiere die Fahrbahn kreuzen und auch kein Stauende in einer Kurve liegt oder was sonst den dödö-dödö-dödöööö-dö-Verkehrsfunk mit einer wichtigen Meldung auslöst und deine Aufnahme ruiniert. Denkst egoistisch. Zwei Titel brauchst du noch. Danach kann der dödö-dödö-dödöööö-dö-Verkehrsfunk deinetwegen durchfunken.

Du brauchst diese beiden Titel. Wenigstens einen noch, dann könnte es bis zu den Ferien klappen. Darauf arbeitest du hin. Auf das Daumentrommeln auf dem Lenkrad. Auf das beeindruckte Nicken. Auf das Mitpfeifen, wenn der Text zum Mitsingen fehlt. Auf das Lächeln und das Zuzwinkern im Rückspiegel. Auf das rhythmische Klopfen auf dem Schalthebel. Dafür machst du es. Für die Trainerbank, die dir alles beigebracht hat.

 

Anne Büttner

 

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