Nachmittags/abends
– Ich habe auch Angst vor dem Dunkeln. Und vor kleinen Tieren.
– Mit vielen Beinen.
– Ja.
– Insekten und Spinnen.
– Genau…
– In der Zelle war eines, ein Käfer. Er ist über meine Haut gelaufen, wie eine Erinnerung, dass da noch Leben war.
– Das tut mir so leid.
– Ich möchte eigentlich kein Mitleid.
– Das muss schrecklich gewesen sein.
– Wir haben uns angefreundet.
– Oh.
– …
– Aber krass, dass man die Frage nach Angst sofort beantworten kann.
– Ja… Manchmal habe ich Angst vor meinen Träumen. So sehr, dass ich nicht schlafen will.
– Das kenne ich gut.
– In meinen Träumen muss ich immer wieder fliehen, muss aufspringen und aus dem Raum rennen, ich habe keine Zeit, etwas mitzunehmen, jemandem Bescheid zu sagen. Es sind immer dieselben Bilder.
– Bei mir auch. Also, andere natürlich. Aber immer wieder dieselben Bilder.
– Was für Bilder?
– Dass mich jemand umbringen will. Ich laufe und hinter mir das Brüllen und ich bin zu langsam, stolpere, renne weiter.
– Ist das eine Erinnerung? Ist es wahr?
– Es ist wahr. Also, ich habe das so erlebt, damals. Und es kommt wieder. In den Nächten kommt es wieder.
– Wenn man weiß, was Todesangst ist.
– Ja!
– Dabei habe ich sonst keine Angst vor dem Tod, im Gegenteil.
– Ich wollte immer leben.
– Immer?
– Immer.
– Hm.
– Ich habe mir immer gesagt: Irgendwann kommst du hier raus. Irgendwann bist du alt genug. Und dann kommst du raus.
– Und jetzt bist du hier.
– Ja.
– Du BIST rausgekommen.
– Ja… Und du auch.
– Ich auch.
– Nach diesen Träumen muss man immer sofort das Fenster öffnen.
– Kaffee machen.
– Sich an die Welt erinnern…
– Sich in die Welt zurückbringen.
– Ja! Es hilft auch, wenn ich nicht alleine bin. Wenn A. bei mir ist. Wenn ich aufwache, und da atmet jemand neben mir.
– Ah. Okay.
– Auch wenn ich nicht weiß, ob A. und ich wirklich zusammen sind.
– Was meinst du, wirklich zusammen?
– So, dass ich weiß, es bleibt so.
– Ich habe mich noch nie von jemandem angezogen gefühlt. Ich dachte erst, es wären Männer, aber das ist es nicht. Es interessiert mich einfach nicht. Sex, Romantik, das alles.
– Das ist doch voll in Ordnung.
– Für dich vielleicht. Aber die Leute stellen Fragen, dauernd.
– Das stimmt…
– Meine Eltern haben mir jeden Tag gesagt, wann ist es so weit. Wann willst du anfangen. Sollen wir dir eine aussuchen.
– Im Ernst?
– Glaubst du mir nicht?
– Ich glaube dir.
– Ich habe dann den Kontakt zu meiner Familie abgebrochen.
– Ah.
– Es ging nicht mehr. Sie sagten, sie würden in Schwierigkeiten kommen, wenn ich mich melde. Und ich wollte ihr Gelaber nicht hören.
– Und jetzt?
– Nichts. Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist.
– Denkst du, sie sind tot?
– Manchmal. Manchmal finde ich das eine angenehme Vorstellung.
– Ich glaube, das verstehe ich. Ich wünschte, ich könnte einfach wegziehen, ganz weit weg. Und mich nie wieder melden.
– Allein? Oder würdest du A. mitnehmen?
– Ich weiß es nicht. Das klingt schrecklich…
– Ich wüsste auch nicht, wen ich mitnehmen, wem ich meine Nummer geben würde.
– Würdest du sie mir geben? Entschuldige.
– Schon okay. Eigentlich will ich gar nicht. Ich bin genug ausgewandert für ein ganzes Leben.
– Willst du hierbleiben? Also, ich meine. Für immer.
– Jedenfalls will ich gerade nicht woanders hin. Klar gibt es hier viele Probleme, aber die gibt es überall.
– Ja…
– …
– Ich schon. Ich will weg.
– Weit weg?
– Ja. Dahin, wo niemand mich kennt. Wirklich niemand.
– Ja.
– Vielleicht würde ich A. mitnehmen.
– Ja.
– Ich weiß nur nicht, wohin.
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