Rotlicht
Mein Raum befindet sich an einem verborgenen Ort, andere verschlungene Räume falten und winden sich um ihn herum. Manchmal dringen gedämpfte Laute von außen ein, von denen ich mir vorstelle, es seien Mutters Bauchgeräusche in jener Nacht vor meinem Abschied.
Meinen Raum kann jeder besuchen. Ihr tretet ein. Ihr haltet eure Luft an, um durch meine Luft zu tauchen, solange, bis euer Geruch meinen Raum flutet, meine Luft zu eurer wird und ihr schwer auf mich herabsinkt.
Meinen Raum richtet jeder nach seinen eigenen Wünschen ein. Es ist euch egal, ob ihr diesen, oder einen anderen Raum besucht, weil für euch alle Lippen gleich rot glänzen und alle Geschichten gleich sanft klingen.
Mein Raum ist für euch wie ein leeres Gefäß, das erst durch euch als Inhalt seinen Zweck erfüllt. Ihr denkt: Wer seinen Körper verkauft, ist nicht vollständig. Ich versuche mir vorzustellen, wie ihr meinen Raum mit einer meiner Zehen verlasst. Beim nächsten Besuch kauft ihr euch bereits meinen Arm. Oder ein Bein. Ihr kämt und kämt bis nichts mehr übrig wäre.
Noch beschreibe ich mich jedoch anders:
Wer seinen Raum vermietet, ist darin vollständig allein.
Mein Raum kann eure Fassaden so verziehen, dass sie beinahe menschlich wirken. Eure Linien zerfließen, eure Stirnen rillen sich angestrengt. Die Falten erinnern mich an das Wellblech, aus denen die Slums meines Mutterlandes geformt sind. Dorthin, wo Wände fest und aus Stein gefertigt sind, Hitze und Eindringlinge nicht so leicht nach innen gelangen, hat die Madame versprochen. Jetzt sind meine Wände so dick und undurchlässig, dass sich hier jeder Fremde eine Auszeit von der Kälte Deutschlands nehmen will, euer Schweiß perlt über mich hinweg wie Mutters Tränen in der Heimat.
Auch wenn ihr alle Zimmer meines Raumes zu kennen glaubt, kann sich euer schlechtes Gewissen nicht vor mir verstecken. Mein Raum füttert und füttert es, bis es nicht mehr zu übersehen ist, und wenn sich das schlechte Gewissen bereits den Kopf an der Decke stößt, verlässt es meinen Raum leise.
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