freiTEXT | Simone Lettner

freiTEXT_Illus-2

Gefangen im Zwiespalt zweier Welten

Es ist wahr, ich lebe zwischen solchen Welten,
Dass, was in der einen zählt, nicht kann auch für die andre gelten.
Ich kann's nicht und muss es doch - mich selber spalten,
Fühle mich wie von verschied'nen zwei Gewalten festgehalten.
Doch ist dies nur mein ganz eig'nes - mein Vergehen,
Hier kann nicht gesprochen werden von nur einem Urversehen.
Denn ich selber wollte diese zweite Welt ja -
Konnte nicht erahnen, ahnte nicht, dass damit erst're fällt – ahh!
Dieser Zwiespalt, doch nichts will ich jetzt aufgeben,
Denn das eine nur, das and're nicht - das wäre nicht mein Leben.

Simone Lettner

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freiTEXT | Eva Löchli

freiTEXT_Illus10

 

maradana neujahr

der mann steht am strand
seine beine sind weich und
sein kopf ist leer
herausgebrannt sind die namen
verschollen die worte

im dunkel jetzt hört er
das rauschen des wassers
das klingt wie sein leben
und das leben war schwer
vor der flut
in den booten
im sand
ein jahr
noch ein jahr noch ein jahr
und vorbei
und dies jahr wäre jung
und es kann nicht beginnen
ertrunken der anfang

die augen des mannes sind fort
das feuer von schmerz und angst
ist in den höhlen
erloschen
und es ist nicht schwer
sein leben
denn es ist nicht
verloren sein boot
das kind weggeschwemmt
ein riss im sand
in ihm

der mann steht am strand
hat in den ohren das rauschen
und ist nicht
da

Eva Löchli

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freiTEXT | Claudia Kraml

freiTEXT_Illus9

Tintenzeichen

“Einfach schreiben, Zeile um Zeile, nur nicht nachdenken, immer weitermachen. Das Blatt füllen, sodass das Weiß zurückweicht, die beängstigende Leere, die Anforderungen stellt, nach perfekten Sätzen und den richtigen Worten an der richtigen Stelle verlangt. Sobald man über sie zu reflektieren beginnt, ist es aus, denn das Zögern verhindert jede weitere ehrliche Aussage. Die Buchstaben werden zu Teilen trügerischer Kartenhäuser, die durch den leisesten Windhauch zerstört werden können. Wieder einmal verstecke ich mich hinter ihrer Fassade, verschlungene Gedanken und unablässiges Hinterfragen haben mich meiner Sicherheit beraubt. Daher auch die Angst vor allzu kurzen Sätzen, denn: Was kommt nach dem Punkt?
Was du hier siehst, ist nur ein kleiner Teil von mir. Doch wenigstens zweifeln darf ich nicht, nicht an der Rechtmäßigkeit, dir das hier zu schicken, nicht an meiner Macht über die hundert Worte, die mir gleichzeitig in den Sinn kommen und und sich so schwer bändigen lassen, nicht an deiner Bereitschaft, den Umschlag zu öffnen und dir Zeit für mich zu nehmen. Für die wenigen schwarzen Tintentropfen, aus denen diese Sätze entstanden sind. Vorausgesetzt, ich bringe tatsächlich den Mut auf, dir den Brief zu schicken. Der Weg zum Postamt ist ein sehr weiter, wenn man sich selbst nicht einmal sicher ist, ob man das Recht hat, ihn zu beschreiten.
Erneut habe ich eine Pause eingelegt, nicht gewusst, wie viel von meinen derzeitigen Erlebnissen ich dir tatsächlich preisgeben soll. Genau den Fehler habe ich schließlich schon einmal begangen, mich bedingungslos und voller Zuversicht anvertraut, mit all meinen Schwächen und Unzulänglichkeiten, dem naiven Optimismus und all der Einzigartigkeit, die jedem Menschen eigen ist. Die Strafe kam nicht abrupt, doch umso gnadenloser, ich rannte gegen selbst erbaute Mauern und versuchte doch immer wieder, sie zu überwinden, weil nicht ich ihr Schöpfer war. Irgendwann muss ich mir dabei etwas gebrochen haben, denn ich konnte mich nicht mehr weiterbewegen, sank erschöpft zu Boden, deprimiert und am Ende meiner Kräfte. Ich glaube, ich liege dort bis heute.
Was ich dir sagen will, wozu mein Kopf meine Hand drängt, es aufzuschreiben, was meine Gedanken wiederum verhindern wollen, die mich bremsen, die meine Worte für nicht gut genug halten, die alles zensieren, was eigentlich längst auf diesem Blatt Papier stehen sollte… Es ist eigentlich nicht viel. Ja, ich weiß, das sage ich immer, wenn dann wieder ein Redeschwall kommt, wenn ich dich zutexte, egal ob in gesprochener oder schriftlicher Weise.
Wie gern würde ich dir gegenübersitzen, oder, noch besser, neben dir, reden und lachen und nicht darüber nachdenken, wer wir sind, was es bedeutet und wohin uns die Zukunft führen wird. Nur im Moment leben, für ein paar Augenblicke. Den Sommer in deinen Augen sehen, egal, was für ein Tag es ist.”

Mit spöttischem Grinsen legt sie das Blatt zur Seite, sieht auf die Uhr. Ganze zehn Minuten verbrachte sie nun mit dem dicht beschriebenen Stück Papier in der Hand. Vergeudete Zeit, mit Unmengen sinnvollerer Beschäftigungen nutzbar, einfach so verstrichen. Einzig und allein wegen ihrer Unfähigkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Doch das wird sich jetzt ändern.
Ruckartig erhebt sie sich, wirft noch einen Blick auf den Umschlag mit den bemüht regelmäßig aussehenden Buchstaben, die in schwunghafter Kursivschrift Namen und Adresse ergeben. Beim Anblick des Absenders hätte sie das Schreiben sofort wegwerfen sollen, ungelesen, ignoriert. Warum sie sich überhaupt damit beschäftigt hat, darüber möchte sie nicht nachdenken – es gibt genug andere Dinge, die sie all die Tage, Wochen, Monate hindurch auf Trab halten. Wann das aufhören wird, weiß sie nicht, sie will es nicht einmal wissen, aber jedenfalls darf sie nie innehalten, keine Fehler eingestehen, sich nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen.
Und so segelt diese in hohem Bogen in den Papierkorb.
Dicht gefolgt vom Brief einer Möbelfirma, die einen Teil ihres Sortiments mit Rabatten bewirbt.
Der Preis wäre immer noch zu hoch gewesen, in beiden Fällen.

 Claudia Kraml

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freiTEXT | Magdalena Ecker

freiTEXT_Illus-4

Der Seelenfänger

Die herbstlich bunten Wälder
tun Nebelkleider an
Es liegen leis die Felder
in magisch, düstrem Bann

Lautlos kreist ein Rabe
ruft schaurig „Nimmermehr!“
Durch seiner Augen Farbe
wird die Seele blass und leer

Er trägt auf seinen Schwingen
wie`s scheint die ganze Welt
Oh, trübsinniges Singen
dass die Nacht ringsum zerfällt

Der Morgensonne Strahlen
trinken sacht den kalten Tau
Träume, die die Schatten stahlen
Des Raben Lied klingt ach so rau

In seiner schmucken Schwärze
Im Geäst der Rabe thront
Und Glanz der teuren Erze
in seinen Federn wohnt

Des Raben Augen zeigen
einen weit entfernten Ort
Stets musst du die Blicke neigen
sonst nimmt er dich mit fort

Magdalena Ecker

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freiTEXT | Sabine F.

freiTEXT_Illus-5

Im Zug: Reise nach…

„Wohin geht die Reise?“ wollte das kleine, zierliche Mädchen wissen. „Ich weiß es nicht“, antwortete ich, „ist das denn so wichtig?“ Ratlose, aber neugierige Kinderaugen musterten mich: „Aber du musst doch wissen, wo du hinfährst!?“ Ich wusste es nicht. „Reist du ganz alleine?“ fragte das Mädchen mit mitleidigem Blick. „Ich bin doch nicht alleine. Du bist ja auch da!“ Die Kleine strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Wie soll es dort sein, wo du hinreist?“ Gelassen antwortete ich: „Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich: Ich werde da sein. Ich werde mit allen Sinnen da sein. Ich werde an keinem anderen Ort sein wollen. Und ich werde wissen, dass ich angekommen bin.“ Meine Antwort schien das Mädchen zufrieden zu stellen. Es nickte mir wohlwollend zu und verschwand aus meinem Blickfeld.

Sabine F.

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freiTEXT | Andrea Weiss

freiTEXT_Illus-6

Liebste Marie,

Marie, Marie, du verpasst so viel hier in Salzburg, du verpasst die Welt! Denn Salzburg macht einfach Freude, sagen sie, weil Arbeit frei macht.

Marie, Marie du verpasst die Welt in dir! Du verpasst die Tausendmeilenblicke und den grässlichen Kaffee und unzüchtige Gedanken und überhaupt: In schönen Kleidern Kuchen kochen, das kann wohl jeder, meinst du, aber dem ist nicht so. Manchmal findet man sich dann halt doch auf der Couch wieder, ein Weinglas. Raybans. Zerkratzter Nagellack…kennst eh. Sinnierendes Treffen den Nagel neben den Kopf.

Marie, Marie, du verpasst die Momente im März und die Stille des leeren Augenblicks Apriliens. Vorbei wie wilder Honig, die sommerlichen Fliedergefühle und Heu.
Zeit! Du verpasst die Zeit und lässt den Zug in Roma Termini einfahren aber du warst nicht an Bord. Seekrankheit vortäuschend drei Minuten an der Toilette kämpfend. Oder warens sieben? Egal, eine gesehnte Ewigkeit.

Auch die Brut und Boden Ideologie junger, vor allem österreichischer Mütter aus der Unter- und Mittelschicht mit einem lala-Hauptschulabschluss lässt du dir entgehen, was ich allzu schade finde. Und auch der existenzielle Volksdumpfskampf manch autonomer Provinzen und die neuen Püppchen vom Typ deutsches Lenchen (Gretel war grad ausverkauft), gehen gradewegs an dir vorbei.

Marie, Marie, du verpasst so viel, du verprasst die Welt und jeden grässlich rotschwarzblaugepunktetenextasemordenden Augenblick im kleinen 5020.

Träume weiter, WandererIn, wenn du nach Sparta kommst.

Andrea Weiss

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freiTEXT | Tobias Roth

freiTEXT_Illus-1

Rücklings

Nackt am Rand eines Meeres, durch das Schwertfische schwimmen, und trockne langsam. Die Flut hat die Abfälle entlang geordnet. Hinter den Dünen einst Baiae, daran ist nicht zu denken, wie an die Pinie von 79, und an nichts anderes ist zu denken. Das Land ist ins Meer hinein erkaltet, das Meer ist über Kapitelle gestiegen. Eine Luftspiegelung lässt mich Gesichter sehen, rücklings, der Anblick der blauen Fläche ist unveränderlich. Starr von Salz, seine Ausblühungen sprießen hinter den Dünen an Plattenbauten mit Meerblick. Niemand entlang des Sandes in der Sonne des frühen Oktobers; zum Sonnenaufgang werden hier viele Pferde sein. Rauschen zwischen Welle und Landstraße, rücklings, unterschiedslos. Und es kann dazugesagt werden, wie auch in Cuma die Häuser über die Theater wachsen, wie Wald aus Waldboden, und in der Stadt die Häuser Städte in ihren Kellern finden. Spolien der Zeit und Muren sind neue Fundamente, wenn das alles nichts als ein pompeianisches Fresko ist (und so ist es), wurden meine Augen geologisch und die Menschheit ein Stillstand, den das Vergessen beflügelt. Aus dem Brunnenschacht heraus, niemals über den Meeresspiegel. Aber die blaue Fläche setzt mich zurück in die Bewegung. So höre ich euch von Bädern sprechen und zurück zu Catull kehren und in den Augen der Bäume ein Portrait, weiß und warm wie der Marmor der meerischen Venus und die Schönheit ihrer Hüften. Ich sehe die Lichtbüschel den Schaum entzünden, was aus der Zeit geschnitten wurde, sanfte Farben, heftige Bewegungen, Zerfließen in weißen Schlieren, Wolkenformationen ins Unbekannte. Bald Abend. Duft des Ginsters, der Erde, kein Ende. Endet der Sekundenschlaf, der Horizont hebt sich mit dem Lid und ordnet mich den Strand entlang.

Tobias Roth

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freiTEXT | Thomas Mulitzer

freiTEXT_Illus-2

4. Sinfonie in a-Moll, op. 63

Und auch wenn ich mich jeden Abend auf die Lauer leg
Mit Sibelius und der Flasche Jameson
Mit diesem Stechen im Herz
Und ein Gedicht nach dem andern rausscheiß
Kann ich mir davon trotzdem keine Semmeln kaufen

Ich weiß ja nicht, ob’s früher leichter war
Die ganze Sache mit dem Schreiben
An die Großen komm ich sowieso nicht ran
Die besten Sätze haben sie mir längst geklaut
Und das bisschen Ruhm reicht nicht für Stolz
Geschweige denn ein Dach überm Kopf
Ich verscherble meine Lebenszeit
Und kauf mir Zeit zum Zeit verschwenden

Ich frage mich, ob dieses Gefühl der Sinnlosigkeit
Je verschwinden wird oder ob ich
Ewig zaudern werde
Ewig zögern, zweifeln
Ewig Zeile um Zeile hinschmieren werde
Nur um sie später zu verbrennen

Die Pauken setzen ein
Und der Whiskey fährt mir in den Schädel
Und ich schreib noch ein paar Wörter
Dann hau ich mich ins Bett
Und starre in die Dunkelheit

Thomas Mulitzer

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