freiTEXT | Mona Gnan

falsch korrigieren

Das Problem hat mich gelöst. Ich starre auf den Tippfehler, der sich so hartnäckig unter meinem Handydisplay festgebissen hat wie eine Zecke. Das Problem hat sich gelöst, will ich korrigieren. Aber je länger ich darauf starre, desto mehr wird mir bewusst, dass es kein Fehler ist. Dass der Schreibfehler mich korrigiert hat. Ätsch, hält er mir vor. Du denkst immer, dass du alles besser weißt. Der Schreibfehler hat Recht. Würde ich ihn jetzt verbessern, würde ich ihn falsch korrigieren. So wie ich in der Schule meine richtigen Antworten in den Klassenarbeiten immer falsch korrigiert habe, wenn ich mich selbst zu sehr hinterfragt habe. Und dann mit mindestens einer halben Note schlechter nach Hause gegangen bin. Orthographisch korrekt muss da stehen Das Problem hat sich gelöst. Aber realitätsgetreu muss da stehen Das Problem hat mich gelöst, denn, ungelogen, I. Lost. My. Shit.

So genau will ich dir das allerdings nicht sagen, denn natürlich bin ich immer ausnahmslos entspannt und gelassen und cool und umgänglich und locker und gechillt und was noch alles synonymisch in diese Wortwolke passt, deren Ursprung Kein Problem lautet. Alles gar kein Ding. So unkompliziert, wie ich denke, dass die Welt mich haben will. Und so unkompliziert, wie ich denke, dass du mich haben willst. Aber wenn ich ehrlich bin, will ich mich so gar nicht haben. Selbstunterdrückung, Selbstentrückung, Selbstkleinmachung und jetzt spucken mir dafür dreiundzwanzig Buchstaben ins Gesicht. Zu Recht. Das ist das Ergebnis von jahrelangem Zu-viel-bitte-und-danke-Sagen. Die Antwort auf tausende unnötige Entschuldigungen. Die Retourkutsche für unverhältnismäßig viel Ich-möchte-keine-Umstände-machen. Die Strafe für den exzessiven Gebrauch des Konjunktivs. Die Karmaschelle für Ich-mache-jetzt-lieber-nicht-den-Mund-auf. Die Auswirkungen von Ich-darf-nicht-zu-viel-Raum-einnehmen. Ich will ja keine bitch sein. Ich will ja niemandem auf den Schlips treten. Warum tragen Frauen eigentlich keinen Schlips? Das muss ein Fehler sein, warum hat den niemand korrigiert? Es kann ja nicht sein, dass man nur Männer nicht vor den Kopf stoßen darf. Ich denke, ich sollte anfangen, einen Schlips zu tragen. Vielleicht werde ich dann auch nicht mehr vor den Kopf gestoßen. Vielleicht wirke ich dann männlicher und härter. Aber hoffentlich wirke ich dann nicht wie eine bitch. Vielleicht finde ich dann aber den Respekt vor mir selbst wieder, denn den habe ich auf meinem Weg aus Versehen verloren und ich denke, das kann man mir auch ansehen, weil ich eben keinen Schlips trage. Und ich will gar nicht erst wissen, wann du den Respekt vor mir verloren hast oder ob du ihn überhaupt jemals hattest. Vielleicht sollte ich auch einfach männlicher und härter sein, aber das fühlt sich dann eigentlich gar nicht nach mir an. Bin ich gerade dabei, mich falsch zu korrigieren? Auf jeden Fall verspotten mich inzwischen sogar meine eigenen Buchstaben.

Weißt du, was mich wütender macht als das eigentliche Problem? Dass ich nicht weiß, ob du dir jemals solche Gedanken machen musstest. Dass du meine Nachricht einen Tag lang unbeantwortet lässt, obwohl ich dir die Dringlichkeit mitgeteilt habe und du jetzt ankommst mit Kann man dir noch helfen? Nicht mal die erste Person Singular hast du benutzt, denn emotional involviert bist du schon lange nicht mehr, wenn du es jemals aufrichtig warst. Und du gehst sowieso davon aus, dass das Problem bereits gelöst ist, weil ich schon lange gelernt habe, meine Probleme ohne deine Hilfe zu lösen. Gestern hätte ich in deiner Antwort vielleicht noch ein freundliches Angebot gelesen, aber heute lese ich ein Ist dir noch zu helfen? zwischen unseren zwei Sprechblasen im Chat und das frage ich mich ganz ehrlich auch. Das letzte Mal, als wir etwas zusammen unternehmen wollten, hast du darauf bestanden, dass ich dir, wie immer, eine Idee pitche, über die du entscheiden kannst. Ich bin fleißig am Überlegen, wollte ich schreiben. Vertippt habe ich mich: Ich bin fleißig am Überleben. Und vielleicht wollte mir dieser Tippfehler schon einen ersten Hinweis geben. Die angestaute Enttäuschung in meinem Bauch wandelt sich langsam von passiv-aggressiv zu aktiv-aggressiv. Gut, dass gerade niemand meine Gefühle sehen kann, denn dann würden mich alle für eine bitch halten. Und das will ich ja nun wirklich nicht. Es soll niemand merken, dass ich wütend bin, dass ich Emotionen habe. Ist das hier gerade emotionales Verkopftsein oder verkopftes Emotionalsein?

Heute Morgen war ich sehr früh wach, weil ich die ganze Nacht über das Problem und über dich und mich und keine Nachricht nachgedacht habe. Ich bin immer sehr früh wach, wenn ich auf wichtige Nachrichten warte, denn ich muss immer sehr früh wach sein, damit ich schneller bin als die Nachrichten. Falls sie schlecht sind, will ich nicht aus der Kalten erwischt werden. Ich muss ja gefasst bleiben. Das will geübt sein. Wenn man vom Schlimmsten ausgeht, kann man nicht enttäuscht werden. Vielleicht hatte ich deshalb so viel Geduld mit dir.

Ich will nicht immer auf meine Gefühle aufpassen müssen, weil sich das so gehört. Ich will nicht, dass mein Bruder in meinem Hinterkopf sagt Sie hat gerade wieder ihre fünf Minuten, wie früher. Ich will nicht, dass meine Mama für immer sagt Das ist aber nicht ladylike, wenn ich fluche. Ich will nicht, dass mein Papa mir als Kind jedes Mal gesagt hat Gerade warst du noch normal, wenn ich wütend war und ihm widersprochen habe. Du bist normal, will ich mir selbst sagen. Denn jetzt sitze ich allein in meinem Zimmer, wenn ich traurig bin, und kann nicht einmal vor mir selbst weinen. Glaube mir selbst nicht, wenn ich wütend bin. Ekle mich vor meinen eigenen Emotionen. Jetzt muss ich neu lernen zu widersprechen und Leuten auf den Schlips zu treten. Oder korrigiere ich mich gerade falsch?

Um dich herum gehe ich schon immer auf Zehenspitzen, damit ich bloß nicht anecke. Bloß keinen Ton machen, bloß nicht stören. Vorsichtig, vorsichtig, vorsichtig. Das ist anstrengend und macht nicht glücklich, aber nur so kann ich immer ausnahmslos entspannt und gelassen und cool und umgänglich und locker und gechillt und was noch alles synonymisch in diese Wortwolke passt, deren Ursprung Kein Problem lautet, sein. Und je länger ich auf den Tippfehler starre, desto mehr frage ich mich, wer Recht hat. Der Tippfehler oder ich. Es ist schon frech, wie er sich da einfach so eingeschlichen hat. Auf Zehenspitzen hat man keinen festen Stand. Ich bin mir gerade nicht mehr sicher, was richtig und was falsch ist. Und dann sitzt er da einfach, der Tippfehler, auf zwei blauen Häkchen. Ob ich richtig oder falsch liege? Vorlaut lacht er mir ins Gesicht, der Tippfehler, wie er da sitzt. Verschlimmbesserung. In der Schule habe ich immer nachträglich Fehler ins Diktat eingebaut, weil mir selbst die schweren, langen Fremdwörter verdächtig einfach vorkamen. Falschkorrektur. Oder sprechen da nur meine Gefühle aus mir? Einmal bin ich deshalb mit zwei ganzen Noten schlechter nach Hause gegangen. Emotionales Verkopftsein oder verkopftes Emotionalsein? Das kannst du doch eigentlich besser, meinte meine Deutschlehrerin kopfschüttelnd bei der Rückgabe. Bin ich dabei mich falsch zu korrigieren?

Das Problem hat sich nicht gelöst, es hat mich gelöst. Und die Lösung ist, dass ich mich von dir löse.

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Mona Gnan

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