Unserzwei

I

Okay, aber was ist wirklich passiert? Die Nacht fiel vom Himmel, schlug auf dem Boden auf und sprang gleich wieder einige Meter zurück in die Luft. Um 23 Uhr ein Kaltgetränk, es verbesserte die Stimmung tatsächlich. Das Wissen um alte Brunnen als Goldquellen brachte sie um Schlaf und Verstand. Sie tanzten einen Ringelreihn, sprangen dann ins Auto und fuhren Richtung Obsoleszenz in die Zukunft, wo sie in eine U- oder S-Bahn umstiegen und sich endlich als Elektronen im großen Strom fühlen konnten. Später betäubten sie sich mit Bier und Cannabis und gingen unter dem Betriebslämpchen eines riesenhaften Mixers schlafen. Das war das Wochenende.

II

Unserzwei
machen eine Rolle vorwärts
Richtung Spiel, und verreisen
nach Diktat.

Unserzwei
schlagen der Nähe
zwischen Liebenden
ein Schnippchen, begraben
vorm Zubettgehen den Hund
und vergessen, wo er liegt.

Unserzwei
leben ihre Viten,
bis es ihnen lange genug gefallen hat,
dann wechseln sie hinter einer Kurve die Pferde
und rangieren im Rückwärtsgang davon.

Unserzwei
sind schon wieder zuhause,
waren so schnell, dass
man sie aus einem Zug, der
in Gegenrichtung unterwegs ist,
noch auf der Straße laufen sehen kann.

III

Unserzwei
gehen spazieren
in leichtem Regen.

Unserzwei
vergessen
sich anzurufen.

Unserzwei
senden einander
beflissene SpraNas.

Unserzwei
fotografieren ab und
zu ihr Essen.

Unserzwei
fahren Monat
um Monat Zug.

Unserzwei
versuchen sich
an spitzen Namen.

Unserzwei
bieten gerne
noch mehr Essen an.

Unserzwei
ziehen unzufrieden
die Decke über sich.

Unserzwei
sagen einander
strenge „Schlaf jetzt“.

Unserzwei
haben voneinander
wenig Ahnung und fragen verzweifelt
„Worüber sprechen wir morgen?“

Unserzwei
lassen sich
zugedeckt anderthalb Minuten
einer Ewigkeit gehen
und weinen nur wenig,
wenn man sie weckt.

IV

Als die Ringe getauscht,
die Wohnung gemietet,
der Van ausgebaut,
der Landstrich befriedet,
die Tickets gekauft
und die Kinder auf dem Weg zu ihnen waren,
trennten sie sich.
Einer zog auf die andere Straßenseite
und seitdem trägt der Hund,
von dem sie beide nicht lassen können,
ihre bitteren Briefe hin und her,
möge doch der Laster ihn endlich erwischen.

V

Okay, aber was ist wirklich passiert? Der Anfang war angemessen glorreich, aber als sie beide nicht mehr wussten, wer sie eigentlich waren, hatte das Spiel an Witz verloren, und die Zweisamkeit war leere Form geworden. Das Wörterbuch gab den Gefühlen den Ausdruck und das gegnerische Gesicht wurde blinde Wand. Sie töteten einander zuerst in effigie, dann faktisch, dann postfaktisch, dann wurden sie gute Freunde. Als sie zurück auf den Markt kamen, waren sieben verflixte Jahre vergangen. Die Nacht fiel vom Himmel, schlug auf dem Boden auf, und nach einigen samtigen Stunden trat an beide ein neuer Morgen heran.
Das war ihre Jugend gewesen.

 

Max Rauser

 

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