Inseln

Niemand ist eine Körperschaft, niemand kann aus seiner amtlichen Haut. Die meisten halten gerade in turbulenten Zeiten an ihrem Inseldasein fest. Splendid isolation. Umso wichtiger ist es, den Stürmen zu trotzen und an ortsveränderlichen Geräten festzuhalten. Die Zentren wandern, die Peripherien sind auf dem Vormarsch. Aktuellen Wachstumsprognosen zufolge kann es auch umgekehrt sein. Mehr denn je kommt es darauf an, wo man steht. Oder fällt.

Freilich kann eine solche Entwicklung, zumal im öffentlich-rechtlichen Raum, leicht zu Verwerfungen führen. Die alten Feindschaften pflanzen sich fort, nicht zuletzt bei Stromausfall. Den Bäumen kann das nur recht sein. Zum Glück gibt es lichte Haine und Strukturfonds für Gebiete mit Entwicklungsrückstand. Nachschub durch Breitbandversorgung. Die Enge hat abgewirtschaftet, das Dickicht wird gelichtet. Überall mehr Durchlässigkeit, ausgebleichte Flecken, saubere Schnitte.

Osmotischer Austausch. Auch zwischen Ost und West. Formlose Anschreiben genügen. Abholzungen sind selten und behördlich genehmigt.
Und dennoch, allen Migrationshintergründen zum Trotz: Das Kirchturmdenken bleibt im Dorf. Der stumme Organist zieht die letzten Register der Stille, die krummen Alleen entziehen sich den Kurvendiskussionen durch Flucht. Auf den katzengebuckelten Gassen lauter Leisetreter. Flurbereinigung war gestern. In den windstillen Ecken wird am geldwerten Vorteil der Zukunft gearbeitet. Spatzen flattern über abgefrühstückte Felder und aus dem Licht, das über den Ackern aufgeht, stricken sich die Bevollmächtigten amtliche Westen mit Silberstreifen.

Ca ira!

Jürgen Flenker

Aus dem Buch ‚All over Heimat‘ (Hg. von Matthias Engels, Thomas Kade, Thorsten Trelenberg; stories & friends 2019) – Leseprobe

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