Polemiken gegen Tiere

Vorrede

Was wir den Tieren vorwerfen ist, dass sie uns gegenüber, ihre Eigenständigkeit nicht bewahrt haben. Wir betrachten sie und sie verwandeln sich in uns. Oder wir betrachten sie, bis wir sie essen.

1. Der Dachs

Der Dachs hat keine einzige liebenswerte Angewohnheit. Zu Mitternacht watschelt er im Mondlicht auf Friedhöfen herum und buddelt Dinge aus. Er wühlt sich Gänge in die Gräber und haust unter den Toten. Wo immer der Dachs auftaucht, entstehen Geschichten über Wiedergänger und Gespenster.

2. Die Hirschkäfer

Hirschkäfer sind Verdreher und Täuscher. Am ärgsten ist ihr Missbrauch der menschlichen Götterlehre. Im Fluge bilden sie absichtlich die Gestalt einer Fee oder gar die des Gottessohnes am Kreuz nach. Wir wissen von eifernden Christen und hoffnungsvollen Esoterikern die vom eigenen Erkennenwollen geblendet, den fliegenden Kruzifixen tief in den Wald hinein folgten. Als sie wiederkamen, verließen sie ihre Gemeinden und Kirchen und sprachen in fremden Zungen. Niemand weiß, zu welchen seltsamen Kulten die Hirschkäfer sie verführten.

3. Das Schwein

Es gibt Menschen, die halten Schweine für sehr gescheit. So mancher Landwirt und so manche Tierrechtlerin haben schon zu tief in die wässrigen Augen eines Schweines geblickt und sich darin selbst erkannt. Manch einer fiel danach einer überbrünstigen Auffassung von geteilter Schicksalsgemeinschaft zum Opfer und weigerte sich, den Schlachthof wieder zu verlassen. Der Nährwert, den die Menschheit dadurch gewinnt, gilt allgemein als größer, als der Schaden, den sie dabei  erleidet.

4. Der Wolf

Der Wolf ist nichts weiter als ein Hund, der zu blöd war, sich uns anzuschließen.
Jetzt wird er ausgerottet. Das hat er nun davon.

5. Der Hund

Das erbärmliche Dasein der Hunde beweist, dass der Mensch die Natur nicht liebt.
Er liebt nur die selbstgeschaffenen Unwesen. Und die Hervorbringungen des menschlichen Geistes sind abartiger, als es die der Welt jemals sein könnten. Durch ihre Vielgestaltigkeit ähneln die Hunde heute eher bösen Träumen als Tieren.

6. Der Elefant

Aus dem östlichen Tansania wird seit Langem berichtet, dass sich Elefantenbullen als Menschen verkleiden, in die Dörfer gehen und dort für ihre eigenen Stoßzähne Gewehre kaufen, um andere Elefantenbullen totzuschießen. Jetzt zeigen DNS-Untersuchungen bei drei kürzlich verhafteten Wilderern, dass diese unzweifelhaft der Art Loxodonta angehören. Da über Rückverwandlungen bei Elefanten noch wenig bekannt ist, werden die drei  Elfenbeinschmuggler ihre mehrjährigen Haftstrafen vorsichtshalber im Elefantengehege des Zoos von Daressalam verbüßen.

7. Der Neandertaler

Ja, ich weiß, kein Tier direkt, sondern ein Vertreter der Gruppe Mensch. Als ob da jemals ein Unterschied gewesen wäre! Nach einer völlig missglückten Anpassung an ein wandelndes Klima schloss der letzte Neandertaler völlig verdient vor 40.000 Jahren einsam und schwermütig seine blitzblauen Augen in irgendeiner europäischen Höhle.
Leider kam es vor seinem Verschwinden immer wieder zu gemeinsamen Höhepunkten zwischen Neandertaler*Innen und Vertreter*Innen der afrikanischen Gruppe Sapiens. Weil wir die Menschen gut kennen, nehmen wir jeweils einen völlig einvernehmlichen Beischlaf mit anschließender gemeinsamer Kinderbetreuung an. Und da wir immer für die Freiheit der Liebe eintreten, können wir den beteiligten Parteien auch keinerlei persönliche Vorwürfe machen! Das Erbe dieser verderblichen Seitensprünge legt sich nun aber wie ein Leichentuch über Europa, trägt doch jeder Europäer vier Prozent Neandertalererbgut in sich. Diese vier Prozent geben die Würze, die unsere Zivilisation seit tausenden von Jahren so außergewöhnlich schmackhaft macht: die Neigung zum lähmenden Trübsinn und zur vorschnellen Selbstaufgabe. [1]

8. Der Esel

Dem Esel gilt unser Mitgefühl. Früher ein wichtiges Mitglied jedes Haushalts, wurde er durch die Automatisierung an den Rand gedrängt. Als marginalisierte Gruppe spukt er heute durch Kinderbücher und lustige Weihnachtsgeschichten und gibt dort, neben Türken, Afrikanern und Frauen, eine traurige Figur ab. Es sind diese Narrative, die Vorurteile gegen den Esel festschreiben und seine soziale Außenseiterrolle perpetuieren. Aber wer, so frage ich euch glühende Gender- und Klima- und Klassenkämpfer*Innen, wer von euch kümmert sich um das Rewriting der unzähligen Dummen-Esel-Geschichten? Verbietet Shrek! Oder setzt wenigstens eine verdammte
Triggerwarnung davor. Ihr unsensiblen Esel!

9. Das Pferd

Kein Tier hat sein Schicksal so sehr verdient wie das Pferd. Über Jahrhunderte williger Vollstrecker bei Krieg, Kolonisation und Völkermord, wurde es von einer höheren Gerechtigkeit in jene Hölle verbannt, die wir Reitklub nennen. Dort werden die Pferde heute von Teufeln in Gestalt von pubertierenden Mädchen mit emotional-instabilen Persönlichkeitsstörungen zu Tode gestriegelt und geritten. Als gnädigere Strafe gilt ihre Umwandlung zu Leberkäse. Trotzdem ist der Gerechtigkeit damit noch lange nicht genüge getan und ich fordere hiermit: Wenn der Türkenschlächter Prinz Eugen endlich von seinem Sockel am Heldenplatz fällt, dann muss auch sein Pferd fallen!

10. Die Ameisen

Ameisen gelten als arbeitssame Kapitalistenschweine. Geht man durch einen Wald, stolpert man allenthalben über ihre Unternehmungen, die rücksichtslos Raubbau an der Umwelt treiben. Allgemein werden sie deshalb auch abgelehnt. Jetzt erfahre ich von Elias Canetti, dass die meisten Ameisen, die meiste Zeit über in ihren Nestern ruhen.
Das öffnet die Tür meines Herzens wieder ein spaltbreit für diese missverstandenen Wesen. Doch dann denke ich: Ist das nicht kennzeichnend für Kapitalistenschweine? In der Öffentlichkeit Geschäftigkeit vortäuschen und dann im eigenen Büro auf der faulen Haut liegen? Hauptsache, das Image stimmt!

[1] Simonti, Corinne N. and Vernot et.al.: The phenotypic legacy of admixture between modern humans and Neandertals, in: Science 351 (2016), 737–741

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Daniel Vitecek

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