Plastikhandschuhe
Wie zwei genutzte Plastikhandschuhe liegen sie da, die Hände meines Vaters. Liegen da auf dem weißen Tuch und sind ungewöhnlich hell. Ich nehme meine Hände und lege seine Hand in meine. Sie sind kalt. Dann beuge ich mich mit dem Kopf über sie, sie scheinen durchsichtig – kann ich durch sie hindurchschauen? Meine eigenen Hände werden feucht, mit dem Daumen schiebe ich die Feuchtigkeit Richtung Finger. Es ist wie Schnee vom Gehweg räumen, verbunden mit der Hoffnung, darunter etwas Neues zu entdecken und dann die Erkenntnis, wieder einmal auf Asphalt zu schauen. Ich beuge mich noch tiefer, drücke meine Augen auf die Hand meines Vaters.
Ich sehe ihn, die Hände umgreifen einen grünen Schwamm. Das Grün bewegt sich über braune Fliesen, es wischt hin und her und hin und her und hin. Grün und braun vermengen sich. Die Bewegung hat etwas Spielerisches, meine Augen folgen dem Grün und irgendwann werfe ich mich auf es, sage „ich habs“ und mein Vater zieht langsam seine Arme unter meinem Körper hervor. Er legt das Grün in einen Eimer voll Wasser, taucht das Grün hinein, wringt es aus und legt es wieder auf den brauen Boden. Hin und her und her und hin. Es kratzt leise, weiße Schaumbläschen bilden sich an der Seite des Schwamms und meine Augen folgen den Blasen.
Ich puste in meine Hände, sie sind wieder feucht geworden. Ich puste und puste und beobachte dabei die Bläschen. Mein Vater bewegt seine Hände, jetzt strömt mein Atem auf den Boden, dahin wo die Hände sich bewegen und der Atem wickelt sich um das Grün. Ein paar Bläschen lösen sich, fliegen in der Höhe. Dann lösen sie sich auf.
Ich drücke die Hände meines Vaters, lege meine Hände in seine Handfläche. Fahre die bläulichen Adern mit meinen Fingern entlang, die Adern sind endlos und verzweigt. Ich lege meinen Kopf an die Adern und höre es plätschern und rauschen. Der Eimer fällt um und das Wasser verteilt sich auf dem braunen Boden. Wir ziehen Gummistiefel an und ich bringe das Wasser zum Spritzen. Es riecht nach Chlor. Mein Vater nimmt von der Wand einen Besen, hängt darüber einen grauen Lappen und fährt mit dem Besen über die nasse Fläche.
„Schau, Papa“, sage ich und lege mich mit dem Körper auf den nassen Boden, bewege Arme und Beine vor und zurück, so wie beim Schwimmen, „schau“ rufe ich und paddle immer schneller. Die Hände meines Vaters umgreifen mich am Bauch und auf einmal ist es, als ob ich fliege, aber ich schwimme weiter und mein Vater hält mich in der Luft mit den Plastikhandschuhen und den Gummistiefeln und bald bin ich außer Puste.
Er setzt mich auf einen Holzhocker an der Wand und bewegt wieder den Besen über die brauen Fläche. Ich bleibe auf dem Hocker sitzen, wie am Schwimmbeckenrand sitze ich da, die Hände umschlingen die Beine. Ich habe Hunger.
Mein Vater stellt den Besen in den kleinen Schrank neben der Wand mit weißen Fliesen. Er zieht die Handschuhe von seinen Fingern und legt sie über den Seitenrand des Eimers. Die Handschuhfinger schauen auf den Boden. Zwei Tropfen fallen von den Spitzen.
Mein Vater geht zum Waschbecken, über dem ein Metallregal hängt und auf dem Blechschüsseln stehen. Er nimmt sich ein Seifenstück und seift die Hände ein, mehrere Minuten lang. Dann lässt er Wasser darüber laufen und es bilden sich Bläschen an der Stelle, an der das Wasser auf Haut trifft. Er nimmt das weiße Leinhandtuch zwischen die Hände und tupft sie langsam trocken, fährt mit dem Stück Stoff über Handflächen, zwischen die Finger, dann über seine Fingernägel. Er legt das Handtuch ab, zögert, dreht den Wasserhahn nochmals auf, seift die Hände wieder ein, diesmal auch die Unterarme, wäscht sie wieder ab, schüttelt das Wasser von den Fingern, trocknet die Hände. Er zeigt auf das Waschbecken, auch ich wasche mir die Hände, zweimal hintereinander, dann nimmt er meine rechte Hand in seine linke, zieht mit der rechten Hand die Türe zu. Draußen an der Türschwelle greift er in seine Manteltasche und gibt mir ein großes, weißes, rundes Brötchen. Es ist so hell wie seine Haut und ich stecke es in meinen Mund, beiße mit den Zähnen hindurch.
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