Wegskizze

 

Eigentlich sollte der Vollherbst
Hagebutten und Schafgarben
In meinen Stoffbeutel schieben

Doch da mauern an aufgesetzter Stelle
Ahnen- und Familienforschung eine Kapelle
zu protokollieren im Verein mehr oder weniger
Verwurzelung, internationale Treffen
Gedenkbuch und Kerzendienst

Zum ewigen Licht plätschert
namenlos kaltes Wasser
in den Brunnen Elisabeths

Wenig später ein Stöckl mit Holzdach gelichtet
in Kiefern und Fichten, erbaut 1946
im Sommer von Anton und Josef
zum Dank für die gesunde Heimkehr, die gesunde
des Vaters und der Söhne [deren fünf ohne Josef]

Sonnseitig Stall um Stall im Rücken und
Steilhang: Hof um Hof und viel trockenes Holz
schob der Berg, spuckte Geröll oder röchelte
Schneemassen, war immer erst das Vieh
zuschanden, Glocken läuten trotzdem seit immer

Balkenreiche Nester über Tal
gestellt, und nur von unten
scheint der Himmel weit

Schattseitig brüchiger Kalkstein geschichtet
unter Etagenmoos, von schweren Händen geschlichtet
tagaus tagein, nachtaus nachtein zu Mehl verglüht
und da nun – wie bestellt: ein bis in den Kern mürber
Knochen gebettet auf feuchtem Holz

Gegenüber bleiche Wurzelstöcke auf
fast nacktem Rücken, Bäume gefallen wie Soldaten
im Sturm, herausgeschält und weggebracht
nur einige der stumpfen Stangen quergelegt
damit nichts nachrutschen kann von oben

Kein Andachtsfeuer zündete der Brandmeister
auf dem Holztisch überm Felsvorsprung, wo
längst faltige Stämme die Sicht verstellen
wo Schmugglergeschichten geronnen zum Pfad
und gierige Finger suchen eine andere Gefahr

Rechter Hand bewegte Erde, halb gekegelt
überm Bachlauf und unter diesem Betanien, das derzeit
zum Grabtuch von Turin in seinen Vorraum holt
aber immer noch das Kruckenkreuz an der Hauswand trägt
nur an der Panoramatafel ist der Ort ein weißer Fleck

In Marmor gelistet die Priester der Expositur, verewigt auch
die Saga des von Gewehrkugeln Getroffenen, unter frischen Blumen
wie alle die in 14-fach geweihter Erde, trägt diese dennoch weniger Namen
wichtiger seit je eh die Vulgonamen
wer sie nicht kennt, ist nicht von hier

Unterm Gekreuzigten mit päpstlichem Segen ausgerollt
die Zutaten für vollkommene und unvollkommene Ablässe
hinter der Kirchentür dutzendfach: Maria hat geholfen
Nichts jedoch den 31, die MDCXXXIIII an der Pest
gestorben, die wallfahrend kam und sie begrub

So erodiert die Anschlagtafel
nicht seit heut
gibt die Zelle keinen Laut

Das Giatlahaus, wie alle ordentlich Holz um die Hütte
wenige Mist auf dem Haufen und eine Handvoll Vieh verteilt
auf der Weide, hinterm Haus wird die Betonwand hochgezogen
da und dort stapeln plastikfaulig Marshmallows in vanillegelb
und barbierosa, trauerschwarz und lindgrün

Nur kurz der Kran höher
als der Kirchturm, der Motor
lauter als die Glocke

Den Pestweg entlang, den Zeilen nach schon
Ernst Jandl ging, vorbei am holzumrandeten Marterl
mit Maria Mutter Gottes und Rosenkranz hinterm Draht
und immerzu Blühendem in Beton, verhängen sich Gedanken
in mehrfach offenen Wunden

Sicher, sagen sie, war der Boden
hier nie, sicher waren hier immer nur
die Wurzeln und das Amen im Gebet

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Susanne Gurschler

.https://www.mosaikzeitschrift.at/tag/Sigune-Schnabel

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