Ein Stück Seife

In die Socken hatte er den Zettel getan. Mühe sich gegeben. Viel Mühe. Die schönste Schrift. Mit Bleistift und Lineal Linien gezogen auf dem Blatt. Vorgeschrieben jeden Buchstaben. Jeden Schwung. Auch beim Pfarrer war gewesen. Zum Beichten. Wie jedes Jahr. Es war schwierig, ihn zu finden. Gerne wollte er einen Christbaum. Doch es war keiner aufzutreiben. Nicht für Geld, nicht im Tausch. Wie immer würde er an Weihnachten in die Kirche gehen, zum Gottesdienst. Auch ein altes Spielzeug wollte er dem Pfarrer geben, für andere Kinder. Doch fand kein geeignetes. Früher hatte sein Großvater immer besondere Süßigkeiten gebacken. Hatte eine eigene Bäckerei gehabt. Jetzt gab es diese Backstube nicht mehr. Aber Großvater buk hin und wieder, wenn er Mehl bekam, Brot im Keller. Dort hatte er jetzt einen kleinen Ofen, hatte ihn selbst gebaut. Aus Ziegel. Tat seinen Dienst. Aber es war schwierig an Mehl zu kommen. Weihnachten würde auch dies Jahr schön werden, ganz bestimmt. Wie jedes Jahr. Auf den Zettel hatte er nicht viel geschrieben. Ein Stück Seife hat er sich gewünscht, sein Vater machte sie immer noch, auch wenn Olivenöl knapp geworden war, Lorbeer war noch seltener. Ein Stück Seife. Er träumte von einem Bad. Das Haus stand schon lang nicht mehr. Sie wohnten jetzt bei den Großeltern, die hatten mehr Glück gehabt. Bombenangriffe. Auch die Kirche hat es getroffen. Eingestürzt. Nur noch Schutt und Asche. Der Pfarrer lebt noch. Irgendwo würde die Heilige Nacht gefeiert werden. Freiwillig würde seine Familie die Stadt nicht verlassen. Nachts hatte er oft Angst. Schüsse. Raketen. Bomben. Da verkroch er sich ganz tief in sein Bett. Seine Großmutter erzählte dann immer von früher. Aleppo war eine schöne Stadt gewesen. Früher. Eine sehr alte Stadt. 4000 Jahre alt. Viele Menschen haben hier gewohnt, früher, vor dem Krieg. Seine ganzen Freunde sind geflohen. Oder tot. Oft hat er Hunger. Er wusste nicht, ob er die Toten beneiden sollte. Er hat sich ein Stück Seife gewünscht. Weihnachten würde schön werden. Bestimmt. Ganz bestimmt. Und Schnee hatte er sich gewünscht. Schnee für Aleppo. Dann wäre die Stadt wieder schön. Aleppo als Schneelandschaft, kein Staub mehr, keine Steinwüste. Alles wäre ruhig.

Stefan Heyer

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