freiTEXT | Magdalena Ecker
Der Seelenfänger
Die herbstlich bunten Wälder
tun Nebelkleider an
Es liegen leis die Felder
in magisch, düstrem Bann
Lautlos kreist ein Rabe
ruft schaurig „Nimmermehr!“
Durch seiner Augen Farbe
wird die Seele blass und leer
Er trägt auf seinen Schwingen
wie`s scheint die ganze Welt
Oh, trübsinniges Singen
dass die Nacht ringsum zerfällt
Der Morgensonne Strahlen
trinken sacht den kalten Tau
Träume, die die Schatten stahlen
Des Raben Lied klingt ach so rau
In seiner schmucken Schwärze
Im Geäst der Rabe thront
Und Glanz der teuren Erze
in seinen Federn wohnt
Des Raben Augen zeigen
einen weit entfernten Ort
Stets musst du die Blicke neigen
sonst nimmt er dich mit fort
Magdalena Ecker
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freiTEXT | Sabine F.
Im Zug: Reise nach…
„Wohin geht die Reise?“ wollte das kleine, zierliche Mädchen wissen. „Ich weiß es nicht“, antwortete ich, „ist das denn so wichtig?“ Ratlose, aber neugierige Kinderaugen musterten mich: „Aber du musst doch wissen, wo du hinfährst!?“ Ich wusste es nicht. „Reist du ganz alleine?“ fragte das Mädchen mit mitleidigem Blick. „Ich bin doch nicht alleine. Du bist ja auch da!“ Die Kleine strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Wie soll es dort sein, wo du hinreist?“ Gelassen antwortete ich: „Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich: Ich werde da sein. Ich werde mit allen Sinnen da sein. Ich werde an keinem anderen Ort sein wollen. Und ich werde wissen, dass ich angekommen bin.“ Meine Antwort schien das Mädchen zufrieden zu stellen. Es nickte mir wohlwollend zu und verschwand aus meinem Blickfeld.
Sabine F.
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freiTEXT | Andrea Weiss
Liebste Marie,
Marie, Marie, du verpasst so viel hier in Salzburg, du verpasst die Welt! Denn Salzburg macht einfach Freude, sagen sie, weil Arbeit frei macht.
Marie, Marie du verpasst die Welt in dir! Du verpasst die Tausendmeilenblicke und den grässlichen Kaffee und unzüchtige Gedanken und überhaupt: In schönen Kleidern Kuchen kochen, das kann wohl jeder, meinst du, aber dem ist nicht so. Manchmal findet man sich dann halt doch auf der Couch wieder, ein Weinglas. Raybans. Zerkratzter Nagellack…kennst eh. Sinnierendes Treffen den Nagel neben den Kopf.
Marie, Marie, du verpasst die Momente im März und die Stille des leeren Augenblicks Apriliens. Vorbei wie wilder Honig, die sommerlichen Fliedergefühle und Heu.
Zeit! Du verpasst die Zeit und lässt den Zug in Roma Termini einfahren aber du warst nicht an Bord. Seekrankheit vortäuschend drei Minuten an der Toilette kämpfend. Oder warens sieben? Egal, eine gesehnte Ewigkeit.
Auch die Brut und Boden Ideologie junger, vor allem österreichischer Mütter aus der Unter- und Mittelschicht mit einem lala-Hauptschulabschluss lässt du dir entgehen, was ich allzu schade finde. Und auch der existenzielle Volksdumpfskampf manch autonomer Provinzen und die neuen Püppchen vom Typ deutsches Lenchen (Gretel war grad ausverkauft), gehen gradewegs an dir vorbei.
Marie, Marie, du verpasst so viel, du verprasst die Welt und jeden grässlich rotschwarzblaugepunktetenextasemordenden Augenblick im kleinen 5020.
Träume weiter, WandererIn, wenn du nach Sparta kommst.
Andrea Weiss
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freiTEXT | Tobias Roth
Rücklings
Nackt am Rand eines Meeres, durch das Schwertfische schwimmen, und trockne langsam. Die Flut hat die Abfälle entlang geordnet. Hinter den Dünen einst Baiae, daran ist nicht zu denken, wie an die Pinie von 79, und an nichts anderes ist zu denken. Das Land ist ins Meer hinein erkaltet, das Meer ist über Kapitelle gestiegen. Eine Luftspiegelung lässt mich Gesichter sehen, rücklings, der Anblick der blauen Fläche ist unveränderlich. Starr von Salz, seine Ausblühungen sprießen hinter den Dünen an Plattenbauten mit Meerblick. Niemand entlang des Sandes in der Sonne des frühen Oktobers; zum Sonnenaufgang werden hier viele Pferde sein. Rauschen zwischen Welle und Landstraße, rücklings, unterschiedslos. Und es kann dazugesagt werden, wie auch in Cuma die Häuser über die Theater wachsen, wie Wald aus Waldboden, und in der Stadt die Häuser Städte in ihren Kellern finden. Spolien der Zeit und Muren sind neue Fundamente, wenn das alles nichts als ein pompeianisches Fresko ist (und so ist es), wurden meine Augen geologisch und die Menschheit ein Stillstand, den das Vergessen beflügelt. Aus dem Brunnenschacht heraus, niemals über den Meeresspiegel. Aber die blaue Fläche setzt mich zurück in die Bewegung. So höre ich euch von Bädern sprechen und zurück zu Catull kehren und in den Augen der Bäume ein Portrait, weiß und warm wie der Marmor der meerischen Venus und die Schönheit ihrer Hüften. Ich sehe die Lichtbüschel den Schaum entzünden, was aus der Zeit geschnitten wurde, sanfte Farben, heftige Bewegungen, Zerfließen in weißen Schlieren, Wolkenformationen ins Unbekannte. Bald Abend. Duft des Ginsters, der Erde, kein Ende. Endet der Sekundenschlaf, der Horizont hebt sich mit dem Lid und ordnet mich den Strand entlang.
Tobias Roth
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freiTEXT | Thomas Mulitzer
4. Sinfonie in a-Moll, op. 63
Und auch wenn ich mich jeden Abend auf die Lauer leg
Mit Sibelius und der Flasche Jameson
Mit diesem Stechen im Herz
Und ein Gedicht nach dem andern rausscheiß
Kann ich mir davon trotzdem keine Semmeln kaufen
Ich weiß ja nicht, ob’s früher leichter war
Die ganze Sache mit dem Schreiben
An die Großen komm ich sowieso nicht ran
Die besten Sätze haben sie mir längst geklaut
Und das bisschen Ruhm reicht nicht für Stolz
Geschweige denn ein Dach überm Kopf
Ich verscherble meine Lebenszeit
Und kauf mir Zeit zum Zeit verschwenden
Ich frage mich, ob dieses Gefühl der Sinnlosigkeit
Je verschwinden wird oder ob ich
Ewig zaudern werde
Ewig zögern, zweifeln
Ewig Zeile um Zeile hinschmieren werde
Nur um sie später zu verbrennen
Die Pauken setzen ein
Und der Whiskey fährt mir in den Schädel
Und ich schreib noch ein paar Wörter
Dann hau ich mich ins Bett
Und starre in die Dunkelheit
Thomas Mulitzer
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X_Buchpräsentation - Auszüge zum Nachlesen
[Thomas Mulitzer] Unsere Manifeste wurden nicht in den kahlen Sälen der Universitäten entwickelt. Sie haben ihren Ursprung in den Hinterhöfen Ottakrings, wo Immigranten nach der Arbeit zusammenkommen, um im Schatten grauer Wände ein paar Gramm Marihuana zu rauchen; in den Cafés von Graz, wo junge Dichter hektisch zum Beat aus den knarrenden Boxen schnippen und sich gegenseitig ihre Texte vorlesen; und an den Hängen ferner Bergeshöhen, wo ungestüme Alpensöhne voller Sehnsucht in die Ferne blicken, den Horizont nach Lichtern scannend.
7 x 7
"Drei Schnitte. Zwei links und eine im Bauchnabel. Ich wache nach der Operation in meinem Zimmer auf, das ich mir mit Maria, der kaputten Gebärmutter und Doris, dem Brustkrebs teile. In meiner Hand juckt der Zugang für die Infusionen, an meinen Beinen die Trombosenstrümpfe. An meinem linken Beckenrand ein bleich gewischtes X, das sie mir vor der OP auf die Seite malen ließen, wo später das Vielleicht raus darf." Read more
6 x 7
"Reuel ging einige Schritte auf die Fremde zu. 'Noch hast du weder dich noch deine Wirklichkeit aufgegeben. Erzähl’ mir doch, welche Hoffnung dich hierher hat laufen lassen. Was gedenkst du hier zu finden, abseits der Wege? Wieso streust du diesen Sand aus?' - 'Ich will kein Ziel vor Augen haben und nichts, das ich mir zu sehr wünsche.'“ Read more
5 x 7
"'So nun mach dein X auf die Karte, damit wir den Schatz in ein paar Jahren wiederfinden.' Der Kapitän schluckte. Dann atmete er tief durch. Er setzte wieder an, das X auf das Pergament zu malen und meinte: 'Eigentlich ist die Karte so doch perfekt, oder? Wozu brauchen wir denn ein X? Wir wissen doch, das wir den Schatz zwischen der Palme und dem Felsen da hinten eingegraben haben. Ist es da nicht sicherer, wenn wir das X weglassen?'" Read more
4 x 7
"'Noch einmal!?', schrie er laut auf. 'Warum? Wie lange? ...Ein Jahr?! Noch mal ein ganzes Jahr!'. Tränen traten ihm in die Augen. Wut und Verzweiflung durchfuhr ihn. Hanna bekam Angst. 'Ich wusste ja gar nicht, wie wichtig dir das ist.' beteuerte sie scheu. 'Es ist doch nur...es sind...' - 'Nur!? Nur!', unterbrach er sie tobend. 'Es ist mir alles! Es ist mein ganzes Leben! Du bist das Glück Hanna! Du hast es! DU besitzt es!'“ Read more