Werner Schlor - Das Märchen vom Wegetreter (Auszug)

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Camino: Bist du der Homunkel? (wartet) Ja sicher, das muss er sein. Heureka, ich hab den Homunkel gefunden! Den Homunkel! Den magischen Homunkel! Das wird mir der gute Minister gar fürstlich entlohnen! (kettet das Kind los. Das Kind rührt sich weiter nicht.) Jetzt bist du frei! Komm, wir wollen gehen! (wartet, versucht es hochzuziehen, das Kind rührt sich nicht, schaut ihn nur an) Hallo, liebes Kind, ich brauche deine Hülf. Ich brauch ein Herz und ich brauch ein Hirn. Nicht für mich natürlich, für unsren König, der ist nämlich krank. (wartet) Hm, recht gesprächig scheint mir das Kerlchen nicht zu sein. Ich bitt dich inständigst, ich brauch deine Hülf! (wartet) Also eins ist klar, wer eine Antwort möcht, der frag nicht den Homunkel. Was mach ich jetzt? Das gute Ding will sich nicht rühren. Lebt‘s denn überhaupt? Oder stell ich’s mir nur vor? (denkt nach) Also gut, dann tut’s mir leid. Ich tu’s für den König und sein Volk.

Camino zieht das goldene Schäuflein. Mit der spitzen Kante schneidet er dem Kind den Kopf auf und nimmt sein Hirn heraus. Es kostet ihn ein bisschen Mühe, weil das Schäuflein nicht so gut als wie ein Messer schneidet. Dann macht er den Kopf schön wieder zu. Danach schneidet er dem Kindlein noch die Brust auf, reißt ihm auch das Herz heraus und klebt ihm den Brustdeckel wieder zu. Herz und Hirn steckt er in die Tasche. Das Blut vom Schäufelchen wischt er schnell im Gras ein wenig ab.
Das Kind sitzt da als wie zuvor und schaut ihn nur traurig an.

Werner Schlor - warten auf das große wort

Sarah Eder - Die Ampel schimmelt. Oskar auch. (Auszug)

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Draußen schneit es. Sein Streber-Darm meldet sich wieder. Die Blähungen knarzen mit seinen Schritten im Schnee in einen gemeinsamen Takt. Sein Schal presst den Hemdkragen gegen die kleinen blutigen Punkte am Hals. Wenn er das Hemd abends auszieht, sieht der Kragen innen sicher schlimm aus. Von außen merkt man aber trotzdem nichts. Er sieht ja auch von Innen sicherlich ganz entsetzlich aus, aber der Krebs hat eben sein Gesicht noch nicht erreicht.
Eine Ecke weiter muss Oskar dann echt schlimm aufs Klo. „Man muss nur sterben und aufs Klo“, murmelt er in sich hinein. Und da er das eine schon macht, kann er nun getrost auch bei der nächsten Gelegenheit auf die Toilette gehen. Komisch, wenn man bei dem Sprichwort auf einmal beides muss.
An der Kreuzung bleibt er stehen. Es ist rot. Die Ampel trägt eine Schimmelschneehaube wie er selbst auch. Oskar fragt sich schmunzelnd, ob sie auch Krebs hat. Dann fällt ihm ein, dass die Ampel ja wie die Tomate auch irgendwann wieder grün werden muss. Vielleicht hängt das zusammen, dass alle roten Dinge mit weißen Metastasen sich irgendwann wieder in grün verwandeln oder zumindest mal grün waren. Das heißt aber auch: Er hat das Grüne vielleicht noch vor sich. Zumindest würde Franz das jetzt so sagen. Therapeuten wissen, dass grün die Farbe der Hoffnung ist und dass man das hören will, wenn man eine Chemo machen muss – auch wenn man selbst als Therapeut arbeitet und weiß, dass Krebs ein Arschloch ist. Hoffentlich bleibt ihm genug Zeit für die Verwandlung. Aber nicht jetzt. Er muss gehen. Es ist grün.

Sarah Eder - warten auf das große wort

mosaik – Zeitschrift für Literatur und Kultur gibts’ jetzt auch digital.

Das hier soll Raum für große Ankündigungen und kleine Projekte sein. Viel wichtiger aber noch: Dies hier soll euer (zweites) mosaik werden – es ist euer digitaler Raum!

Ein gedrucktes Produkt hat immer Grenzen. Für alles, was aus technischen oder längenmäßigen Gründen nicht ins mosaik passt, gibt es nun Raum. Aber dazu braucht es eure Beteiligung. Als Schreibende aber auch als Lesende und Kommentierende.

Die Bürokratie ist ein Hund: Ihr schickt uns eure Beiträge (Texte, Illustrationen, Fotos, Videos, Tondateien,...), die ihr hier veröffentlichen wollt an die altbekannte Adresse mosaik@studlit.at

Wir freuen uns auf euch!

euer mosaik.