Erdbeerschokolade und „Löwenzahn“ – mein Medikamentenentzug

Ich trinke koffeinfreien Kaffee und esse seit Tagen Erdbeerschokolade, um mich bei Laune zu halten, außerdem habe ich drei Kilo abgenommen. Ich wäre gerne wieder normal. Ich berichte hier von meinem Medikamentenentzug. Heute ist Tag 19. Ich führe Strichliste. „Jede Stunde und jeder Tag, den Sie schaffen, bringt Sie weiter weg von dem Mittel.“ Dieser Satz hängt an meiner Wand. Und noch ein paar andere wichtige Sätze. „Es wird besser.“ Ich habe gerade einen guten Moment. Der ganze Tag ist schon ganz okay. Allerdings hochemotional. Ist es endlich bald soweit, dass ich wieder einen normalen Alltag führen kann? Eigentlich schmeckt mir die Schokolade gar nicht mehr. Mir schmeckt das nicht mehr. Brauche eine Ablenkung, weil ich sonst mein Projekt „Frei sein von Medikation“ nicht schaffe. Gestern war es hart. Ich knickte ein. Ich dachte, es sei vorbei. Heute ist ein neuer Tag. Jeder Tag ist anders.

Schon ein paar Tage vor Weihnachten 2024 dachte ich, dass ich nun auch den letzten Rest meines Neuroleptikums absetze. Ein Medikament, das einst Segen brachte und für viele Menschen immer noch Segen ist. Für mich ist es jetzt Fluch. Ich merke, meine Spannung steigt. Aber ich mache weiter, was soll ich sonst tun? Mit meinem Therapeuten habe ich besprochen, alles da sein zu lassen, kein Kampf gegen die Absetzsymptome. Annahme. An Weihnachten hatte ich den Versuch abgebrochen. Ich dachte ein wenig, es läge an Weihnachten. Nein, weit gefehlt.

Dann ein weiterer Versuch am Sonntag, den 2. Februar 2025. Ich merkte zunächst nichts. Habe scheinbar weit verdrängt, dass es schlimm werden könnte. Am Donnerstag, den 6. Februar ein totaler Absturz nach der Therapie. Ich habe da immer noch nicht an Absetzsymptome gedacht und das Medikament dann doch wieder genommen. Am nächsten Tag führte ich das Absetzen fort. An diesem Wochenende fiel dann noch die Heizung aus und ich saß da mit 17 Grad in der Wohnung. Ein paar Tage war alles noch machbar. Dann am Mittwoch extreme Durchlässigkeit. Wie erkläre ich, was das ist? Du kannst nichts mehr ertragen. Deine Themen schon mal gar nicht. Überhaupt keine Schutzschicht mehr. Der Körper steht ohne da. Es ist schlimm. Schlaflosigkeit setzte ein. Den folgenden Donnerstag wieder Therapie. Abends musste ich eine Veranstaltung verlassen. Ich ertrug nichts mehr. Noch nicht einmal Klavierklänge. So gut wie es ging, fuhr ich mit dem Bus nach Hause. Da ein totaler Absturz. Es setzten Hochspannungszustände ein. Panik. Ich wusste nicht, was mit mir geschieht. Im Sommer hatte ich auch Absetzsymptome. Da habe ich mit dem Absetzen begonnen. Im Sommer war es auch schwer, aber nicht so heftig. Telefonseelsorge nicht erreichbar. Überlastung. In der Psychiatrie angerufen. Laut der Stimme am anderen Ende der Leitung: „ein Notfall“. So wollte ich das nicht! Brauchte sofort Hilfe. Wusste nicht, wohin mit der Spannung. Am Telefon erhielt ich ein paar Ratschläge. Ich habe sofort ein paar Kraftübungen probiert, um die Spannung zu reduzieren. Im Kopf Tiernamen aufgezählt. Es war katastrophal. Es half auch nur bedingt. Die Spannung zu hoch. Ich ging draußen spazieren. Runde für Runde und überlegte. Ich wusste, ich halte es nicht mehr aus. Aber ich wollte das unbedingt schaffen! Ich drehe durch, insbesondere in der Wohnung. Telefonate. Meine Schwester holte mich ab. Ich war zwei Nächte bei ihr, dann eine Nacht bei meiner Mutter. Das alles ging nicht gut. Ich ertrug nichts. Die Mutter telefonisch nicht zu erreichen oder die Sirene in der Ortschaft brachte heftige Spannungsanstiege und Angst. Ich lief ständig umher, um gegen die Spannung vorzugehen. Einkaufen ging nicht. Ich hüpfte durch den Supermarkt, konnte vor Angst nicht warten. Keine Menschen ertragen. Keine Trigger. Das waren die härtesten Tage. Hochspannung Tag und Nacht. Ich konnte gar nicht mehr schlafen, vielleicht eine Stunde. Stattdessen musste ich meine Spannung in Griff bekommen. Nachts in Stützposition. Mitunter kalte Dusche. Trotz Husten. Später noch die Menstruation. Ich konnte es mit mir selbst nicht ertragen. Permanent in Angst, es könnten schwierige Gedanken in den Kopf kommen. Angst vor Gefühlen. Eine Angsthypnose, die ich in der Zeit hörte, kann ich jetzt
nicht mehr hören. Zu schlimm ist die Erinnerung an diese Tage. Ich nehme noch ein anderes Medikament bei Bedarf, in diesen Tagen so hoch dosiert, wie nur möglich. Es half kaum. Schnell weiter im Text!

Ich fuhr wieder nach Kiel. Und seitdem bin ich wieder in meiner Wohnung. Nur langsam verbessert sich der Zustand. Ich schlafe mittlerweile wieder vier bis fünf Stunden. Aber mein Kopf ist voller Angstgedanken. Mal mehr, mal weniger. Es kommen mehr Phasen der Ruhe. Die Hochspannung schlug sogar in extreme Entspannungszustände um, so sehr, dass mich das beunruhigte. Das Atmen fiel schwer. Gespräche kann ich immer noch nicht gut aushalten. Ich kann nur übers Wetter, Essen oder Ähnliches sprechen. Ich kann keine Filme zur Ablenkung schauen, außer Wissenssendungen für Kinder. Ich habe immer wieder Spannungszustände und auch Angstzustände. Gestern dachte ich, dass ich abbrechen muss. Aber nein, ich will es schaffen! Das kann ich nicht noch einmal durchmachen. Alle sagen, dass das vorbei geht. Es kann aber Wochen dauern. Am schlimmsten ist für mich das abendliche Alleinsein. Die Dunkelheit. Ich habe ein LED-Licht gekauft, damit ich mich im Bett sicherer fühle. Höre den ganzen Tag Radio. Ich weiß, dass ich stark bin. Ich ziehe das jetzt durch. Meine Spannung ist jetzt hoch, aber nicht extrem hoch. Und ich habe Angst. Muss mich diesen Gedanken aussetzen, weil sie sonst immer mehr Angst machen. Das Schlimmste ist vorbei, hoffe ich! Es ist immer noch schwer und ich arbeite an der Angstbewältigung. Mein Therapeut sagt: „Sie surfen die Angstwelle.“ Ja, genau das mache ich, auch jetzt gerade. Ich war gerade ganz weit oben, versuche jetzt sanft abzusteigen. Sanft wird das nicht, werde wohl ein wenig stolpern, fallen und wieder aufstehen. So bin ich.

Fortsetzung. Damit sollte es enden. Nach 1000 Worten. Es ist inzwischen vorbei. So gut wie. Ich hatte Tag X erreicht. Morgens ein Gespräch, dann spontan in einen ehrenamtlich betriebenen Laden gegangen, um mich bezüglich einer Mitarbeit zu erkundigen. Danach bin ich nach Hause. Dort ging es wieder los! Ich lief dann im Stadtteil umher, um Müll zu sammeln. Ablenkung. Graue Wohnblocks. Unvertrautheit. Meine Hände froren in den Einmalhandschuhen. Stiefelte durch den Dreck. Wann hört das endlich auf? Mein Ziel für diesen Tag: Abends zur Tanzimprovisation. Das wollte ich noch schaffen. Schon das Krankenhaus im Kopf. Ich ging zum Tanzen. Mit Bedarfsmedikation im Bauch. Es ist nicht zu übersehen, dass es mir schlecht geht. Ich halte durch, gebe mein Bestes. Der Tanz – der Pfeiler meines Lebens! Ach, könnte ich doch immer tanzen! Wieder zu Hause. Ich legte mich hin. Um Mitternacht wachte ich wieder auf. Ich brauchte noch eine Weile, dann entschied ich ins Krankenhaus zu fahren. Konnte nicht mehr. Der Punkt war erreicht. Ich rief ein Taxi. Auf dem Klinikgelände verirrte ich mich zunächst, fand dann doch die Notaufnahme. Es war verfahren. Ich wollte da bleiben, immer noch mit der Hoffnung, dass es sich bald bessert. Eine Aufnahme war nicht möglich. Das Gespräch mit dem Arzt aber gut. Ich ließ los. Endlich ließ ich los. Noch vor Ort nahm ich das gefürchtete Medikament wieder ein. Niedrig dosiert. Machte mich dann früh morgens auf den Weg zur nächsten Bushaltestelle. Der Weg war angenehm. Ruhig und menschenleer. Das Straßenlicht warm. Ab da lag ich nur noch von morgens bis abends. Völlig erschöpft. Am Samstag noch einmal Panik. Noch einmal die Notfallnummer der Psychiatrie gewählt. Eine freundliche Frau half mir. Sie riet, in den Schlaf zu finden. Ich nahm sie beim Wort und legte mich gegen 17 Uhr hin. Medikamente und Schlaf. Ich schlief, aber nicht viele Stunden am Stück. Zwei Tage ging es so. Immer noch den ganzen Tag Radio. Immer wieder die gleichen Songs. Nicht zu emotional. Damals in den Kliniken lief auch immer Radio von morgens bis abends. Sie untermalt meinen Zustand. Man sitzt, wartet und guckt raus, hört. Und macht Therapie. Ich warte jetzt auch, dass sich mein Zustand bessert. Ich bin dankbar, das Medikament wirkt. Der Schlaf- und Nerventee musste weichen, konnte ihn nicht mehr sehen. Ich brauche jetzt ein wenig mehr von dem Wirkstoff. Was ist jetzt? Ich habe Angst vor Gefühlen. Vor schlimmen Zuständen. Abstürzen. Im Moment möchte ich nichts fühlen. Viel zu viel gefühlt. Dann aber macht mir der Gedanke doch etwas Angst. Nein, ich möchte fühlen. Nur heute nicht. Ich kann diesen Text lesen, ohne in starke Angst zu verfallen. Ein bisschen Unwohlsein. Was war das nun? Ist es meine Grunderkrankung, die durchschlug? Oder waren es Absetzsymptome? Vielleicht beides. Es gab zuvor Warnsignale. Ich habe sie ignoriert. Ich wollte unbedingt von den Medikamenten weg. Wollte mich von der psychiatrischen Versorgung lösen. Unabhängig und frei fühlen. Gesund sein. Es ist jetzt okay. Ich akzeptiere. Ich akzeptiere, dass ich das gerade nehmen muss. Nur so kann ich zur Zeit leben. 1,25 mg. Das Weglassen dieser kleinen Menge, laut des Arztes „ein Hauch“, brachte mich in diese Lage! Unfassbar! Vermutlich gab mir diese Menge Sicherheit. Die Sicherheit ist brüchig. Muss sie in mir finden. Mich wieder ans Leben heranwagen. Die Dinge wieder an mich heranlassen. Die Angst bewältigen.

Ich erkenne: Ich bin ein neuer Mensch. Etwas ist anders. Ich akzeptiere meine Erkrankung. Nun weiß ich, dass ich trotzdem alles probieren kann, was ich mir wünsche, eben mit der Erkrankung und mit dem Medikament. Und mit Offenheit. Ich sehe den gefürchteten Spätwirkungen ins Auge. Wenn ich Spätdyskinesien bekomme, muss ich damit leben. Dann lebe ich damit. Es findet sich ein Weg. Ich lebe jetzt. Ich habe nicht aufgegeben, ich habe „Ja“ zu mir gesagt und das Beste daraus gemacht. Mir selbst geholfen. Mir Hilfe geholt. Ich mache jetzt anders weiter!

 

Katharina Flor

 

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