Raststation

Ich war mitten auf einem Autobahnknoten, als mein Wagen den Geist aufgab. Die Asphaltstreifen kreuzten sich und liefen nach links und rechts, vorne und hinten, die Sonne knallte auf mein Armaturenbrett, das Auto hickste, es wurde langsamer und zwei oder drei Kontrollleuchten flammten auf. Am Pannenstreifen hielt ich an. Die Warnblinkanlage klickte wie ein Metronom, links rasten die Autos an mir vorbei und ich zog die Handbremse. In einer halben Stunde sollte ich bei meiner Schwester sein und ihr bei den Vorbereitungen für die Taufe meiner Nichte helfen.

„Was soll das heißen, du hast eine Panne?“ Die Stimme meiner Schwester stolperte. „Wir brauchen dich! Was ist mit den Salaten und der Deko und der Kerze? Und Tante Walli? Du bist die Taufpatin, ich schwör dir, wenn du nicht auftauchst…“

Der Schweiß stand auf meinen nackten Armen. Ich öffnete das Fenster und schloss es im Donnern der vorbeifahrenden Autos sofort wieder. Ich telefonierte mit meiner Mutter, die sagte, sie könnte mich unmöglich abholen, sie müsste noch Besorgungen für meinen Vater machen, dann mit meinem Cousin, der brummte, wenn es unbedingt sein müsste, dann könnte er jetzt losfahren und mich aufklauben, dann mit Tante Walli, der ich erklärte, dass ich sie nicht pünktlich abholen würde. Mitten in ihrer Schimpftirade tauchte der Abschleppwagen auf.

Während die Autos an mir vorbei ihren Zielen entgegenhetzten, balancierte ich am Pannenstreifen und beobachtete den Abschleppfahrer, wie er mein Auto auf seiner Ladefläche festschnallte und die Räder stabilisierte. Das kalt verschwitzte Taufkleid wehte im Luftsog der Autos um meine Beine und zerrte mich vorwärts, ich stemmte mich dagegen, stieg beim Abschleppwagen ein und er fuhr los und von der Autobahn ab; wir kurvten unter den vier Spuren durch und blieben an einer staubigen Raststation stehen. Hinter dem Tankstellenlogo ragte ein Burger King in den glühenden Himmelsdunst. Der Abschleppwagen verschwand, ich schulterte meine Taschen und schleppte zwei Nudelsalate, eine Taufkerze, ein aufblasbares Schwimmlama und meinen Übernachtungsrucksack durch die Glastüren, bestellte etwas Eiskaltes mit viel Zucker und warf mich in einen der harten Sitze. Popmusik dudelte aus den Lautsprechern. Eine Ladung übergewichtiger Männer existierte mit halb geschlossenen Augen in einer Ecke. Sonst war das Restaurant leer.

Mein Cousin antwortete mit einem genervten Daumen-hoch-Emoji, als ich ihm meinen Standort schickte. Mein Onkel schrieb mir eine Nachricht: hab ghört du hast a panne, vielleicht findst ja an feschen kerl der di mitnimmt haha. Meine Schwester fluchte. „Ja super, und ich mach das Buffet jetzt allein oder was? Wer schaut auf Sophia? Also du hast dir wirklich einen Scheißtag ausgesucht für deine Panne.“

Die Eiswürfel klickten in meinem Pappbecher, als ich mit dem Strohhalm umrührte. Hinter meinem Fenster preschten weiterhin die Autos vorbei. Die Glasscheiben verschluckten ihren Lärm. Inzwischen sollte ich bei meiner Schwester sein und die Nudelsalate in schöne Schüsseln füllen, die Markise ausrollen, Tomaten und Mozzarella schneiden, Saucen bereitstellen, Servietten falten, mit Sophia spielen, Anna in den Mittagsschlaf schaukeln und Luftballons aufblasen. Ich rollte den feuchten Becher an meiner Stirn hin und her und schloss die Augen. Hinter den Lidern jagten sich rastlos die Autos. Meine Mutter schrieb: Gibt es dort eine Apotheke, wo Du bist? Dein Vater braucht neue Warzenpflaster. Mama.

 

Die Resopalplatte meines Tisches war klebrig, wo die Menschen vor mir ihre Getränke verschüttet hatten. Die Angestellten drifteten hinter der Theke hin und her. Meine erhitzte Haut kühlte. Ich sah mich Polster auf die Bierbänke drapieren, Girlanden über Hecken werfen, Zitronensaft pressen, das Lama aufpumpen, Sonnenschirme herumschleppen, Grillkohle suchen, Sandspielzeug wegräumen und mich anmaulen lassen, weil die Taufkerze nicht schön genug war.

Wie Spinnfäden tropften die Minuten von der Decke auf mich herab. Ich fuhr mit den Autos auf ihren grauen Straßen in die Zukunft, zu Kindergebrüll und müden Sektkorken und brutzelnden Grillwürstchen und Tante Walli, die schrie, ihre Füße wären unruhig und jemand sollte ihr Tabletten bringen; Tortencreme klatschte auf hysterisch gemähten Rasen, Rotweinflecken landeten auf Annas Taufgewand, Fürze stahlen sich zwischen Fettschichten und Kleiderfalten durch und alles schmatzte und wieherte und witzelte. Meine Großmutter kniff mir in den Hintern. Der Graue Star meines Vaters starrte in den Pool. Meine Mutter klopfte die Brösel von seinem Schoß und goss pissgelbes Bier in sein Glas. Ich drückte die Handballen in die Augen und meine Schwester drückte mir Kinder und Teller und Windeln in die Arme, die Tischkärtchen platzierten mich neben Tante Walli, die sonst niemand ertrug, und die Rücken meiner Cousinen befragten meine Schwester zu den besten Stilleinlagen. Mein Großvater vergaß meinen Namen. Die Familie meines Schwagers redete mit mir, wenn sie Salz brauchte. Mein Onkel schaute auf meinen Busen und sagte: „So a Verschwendung.“ Die Autos stanken und hupten und fetzten hinter den Fenstern vorbei, sie heulten in meinen Ohren, fegten durch meine Adern, blitzten und blinkten und gleißten durch alle Synapsen und mein Handy vibrierte. Ich öffnete die Augen. Mein Cousin rief an. Eine Weile lang betrachtete ich die graue Kopfsilhouette auf dem Display. Dann schloss ich die Augen wieder.

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Christina König

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