Finderlohn

hast du schon mal kaiserschmarrn mit eierlikör gegessen
hey es ist das beste
am weihnachtsmarkt gibts da so einen stand
da haben sie so was
ich könnt mich dort fett fressen
beim nächsten mal gehen wir da hin
ich bekehr dich schon

Schlumpfblaue Augen tanzen durch den Raum, vom pseudo-antiken Kronleuchter über Salz und Zucker bis zu mir. Überschminkte Sommersprossen sprenkeln ihre Stirn, drei Mutter­male wandern über ihre Wangenknochen wie Orions Gürtel und unter ihr Ohr ist eine Taube tätowiert. Hinter den geschlossenen Fenstern präsentieren die Schneeflocken ihr russisches Ballett und sie streckt ihnen die Zunge heraus: Sie hasse den Winter, immer sei es so kalt, sie wolle endlich wieder Sommer; ich schiebe ihr meinen Cappuccino hin, sie trinkt dort, wo vorher meine Lippen die Tasse berührt haben, und draußen rauscht ein Rettungswagen mit Blaulicht vorbei. Hinter ihr schält sich die türkisblaue Tapete ab. Dunkle Wandfarbe mit seltsamen Mustern kommt darunter zum Vorschein.

und dann sagt der ernsthaft zu mir
na dann müssen sie halt länger bleiben
das kann ja wohl nicht das problem sein
hallo gehts noch
soll ich meiner tochter sagen sie soll im kindergarten übernachten oder was
und ihr papa
also mein ex
der ist so nutzlos
den brauch ich wegen abholen gar nicht fragen
das nervt mich alles schon so 

Das Kunststück aus Schokolade, Creme und Erdbeeren landet auf dem Imitat eines japanischen Tellers neben ihrem Ellbogen. Ihre Gabel taucht hinein, gräbt die erste Erdbeere aus wie ein Bagger und fliegt zu ihrem Mund. Das zweite Stück überlässt sie mir, ein Klecks Creme bleibt an meiner Unterlippe hängen und sie tupft ihn mit dem Daumen ab, betrachtet die Fingerkuppe und leckt sie ab. Eine Zitronenscheibe sprudelt im Sodawasser, Blasen steigen an die Oberfläche und rosa Lippenstiftfasern hängen am Glasrand. Goldringe blitzen auf, sie dreht meine Handfläche nach oben und liest meine Zukunft heraus; sie bescheinigt mir zahlreiche Liebschaften und ich sage nichts. Manchmal berührt ihr Fuß mein Bein.

der letzte
o gott
der war eine katastrophe
na in einer beziehung sind wir doch nicht
warum ist das nicht wurscht wenn ich lieber pornos schau als dass ich mit dir schlaf
und wehe du verlangst dass ich mal nicht zu spät komm
emotionally unavailable
ich schwörs dir

Ihre Hand dreht die Schneewittchenhaare um die Finger wie eine Spindel, Kerzenlicht verfängt sich darin, der Kleeblatt-Anhänger an ihrer Halskette oxidiert und ich lächle. Sie weiß von nichts. Denkt immer noch, wir hätten uns zufällig kennengelernt. Als hätte ich einfach so ihre Geldtasche gefunden und zurückgegeben. Ihren Retter aus der Finanzkrise hat sie mich genannt, mir ein fast volles Säckchen Trüffelpralinen überreicht, das sie aus einer Büroschublade geklaut hat, und die Geschichte unter dem Hashtag #weihnachtswunder auf Instagram gepostet. Alle ihre Freundinnen haben kommentiert, wie viel Glück sie gehabt habe, sie redet von Schicksal und Karma, unsere Teller sind leer, die Rechnung flattert auf die Tischplatte und sie greift nach ihrer Tasche, Finderlohn, sagt sie, und ich lege meine Hand auf ihre; ich mach schon. Ihre Ringe und neongelben Nägel verschwinden unter meiner Hand, ich drücke kurz und sie lächelt. Ihre Stiefel klackern auf dem Marmorboden, ihre Hüfte streift mich und wir treten hinaus in den wirr verschneiten Winterabend.

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Christina König

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