Slow West (c) Thimfilm

DAS KINO widmete sich diesen August dem Eurowestern. Andreas Haider hat sie alle gesehen – und noch viel mehr – und gibt eine Einführung in das Subgenre, in Unterschiede zum US-Western und einen Überblick über die weltweite Westernproduktion – und stellt sich die Frage, warum gerade jetzt wieder gehäuft Exemplare eines bereits totgesagten Genres produziert werden. Teil eins heute – Teil zwei und drei in den nächsten Wochen.

Die vier Reiter sind am Ziel, eine abgelegene Holzhütte im Wald. Die ganze Nacht waren sie der Spur gefolgt, die das Pferd im frischen Schnee hinterlassen hatte. Drinnen schläft der Mann, den sie suchen, mit dem sie abrechnen wollen. Sie springen von den Pferden, die schussbereiten Gewehre in ihren Händen. Doch der Mann in der Hütte wird geweckt. Das Wiehern seines Pferdes reißt ihn aus dem Schlaf, blitzschnell fährt er hoch und greift nach seiner Winchester, die neben dem Bett an der Wand lehnt. Durch einen Spalt in zwischen den Brettern sieht er die vier Verfolger, wie sie sich langsam anschleichen. Die vier Männer gehen in Position, ihre Flinten auf die Hütte gerichtet. Es braucht keine mündlichen Befehle, keine Worte, ihre Blicke sagen alles. Sie spannen die Hähne ihrer Waffen. Dann fällt der erste Schuss.

Das finstere Tal (c) Filmladen

Eine Szene wie diese ist typisch für den Western. Pferde, Gewehre, schweigsame Männer, und doch spielt sie nicht etwa in den Rocky Mountains, sondern in den Alpen. Sie stammt aus dem Film Das finstere Tal von Andreas Prochaska. Der österreichische „Alpenwestern“ aus dem Jahre 2014 ist, neben dem dänischen The Salvation (2014) und dem britischen Slow West (2015) einer der Filme, die diesen August im Eurowestern-Schwerpunkt von DAS KINO liefen. Western, das sind doch eigentlich die heiligen (Longhorn-)Kühe des amerikanischen Films, die von edlen Cowboys auf den langen Trail Richtung Kino behütet und vor bösen Indianern beschützt werden. Der europäische Western hat dieses Bild freilich anders gezeichnet. Folgt mir auf unserem staubigen Ritt durch die Kulturgeschichte des Eurowestern!

Von Ostern und Kebab

Meist wird der Begriff „Eurowestern“ für Filme benutzt, die in europäischen Ländern gedreht wurden und im klassischen Wilden Westen spielen – wie The Salvation (2014) und Slow West (2015). Dazu gehören – als eigenständige Subgenres – die Karl-May-Verfilmung, der DEFA-Indianerfilm (die DDR-Antwort auf die Karl-May-Welle der frühen 1960er – und bewusst als „Indianerfilm“ tituliert, da der Begriff „Western“ zu westlich-kapitalistisch klang) und natürlich der Italowestern. Gerade die Italowestern – auch Spaghettiwestern genannt – waren vor allem europäische Filme, da sie meist italienisch-spanische (-französische, -deutsche, …) Koproduktionen waren.

Daneben entstanden auch Wild-West-Filme anderer Länder. Etwa britische Western, die ebenso wie der Karl-May-Film eher die indianische Perspektive einnahmen und meist mit amerikanischen Schauspielern aufwarten konnten, z.B. Captain Apache (1971), Chatos Land (1972), Adlerflügel (1979); mit Slow West entstand erst heuer wieder ein britischer Western. Im kommunistischen Ostblock wiederum herrschte der „Red Western“ vor, manchmal auch „Ostern“ genannt (siehe unten). Vor allem die Tschechoslowakei war gegenüber der US-Kultur sehr aufgeschlossen, alles was mit dem „alten Amerika“ zu tun hatte, galt als „proletarisch-ursprünglich“, so wurden Folk-, Country- und Blues-Musiker staatlich gefördert (noch heute gilt Tschechien als Country-und-Western-Hochburg Europas), im Gegensatz zu Rock’n’Roll oder Pop-Musik, die als „kapitalistisch-verfälscht“ abgelehnt wurden. In dieses Bild passte auch der Wilde Westen, es entstanden Filme wie Limonaden Joe (1964), Durch den Wilden Westen (1978) oder Reise nach Südwest (1989).

Captain Apache

Sogar türkische Western wurden gedreht – unter Filmkennern als „Kebab-Western“ bezeichnet. Diese Filme umgibt die Aura des Mythos, sie wurden, bis auf ganz wenige Ausnahmen, nie außerhalb der Türkei gezeigt, die meisten Westernfans kennen sie nur von eingescannten Filmplakaten, die im Internet kursieren und ein paar Kurzsequenzen auf Youtube. Allerdings hat der türkische Film der 1960er/70er-Jahre den Ruf, so grottenschlecht zu sein, dass sogar Tele5 eine großen Bogen um ihn macht – daher glaube ich, dass man nicht viel versäumt, wenn man die Kebab-Western auslässt.

Langsam westwärts

In Slow West (2015) macht sich der junge Schotte Jay auf die Suche nach seiner mit ihrem Vater in den amerikanischen Westen ausgewanderte Freundin Rose. Das Greenhorn, das mit den Grausamkeiten gegenüber den Indianern, deren Zeuge er wird, genauso überfordert ist, wie mit dem Umgang mit Pferden und Alkoholgenuss, trifft auf den Kopfgeldjäger Silas – verkörpert durch Michael Fassbender – der eine Art Mentor für den Jungen wird. Und diesen hat er auch nötig, denn auf dem Weg Richtung Westen lauern allerlei Gefahren. Was Jay allerdings nicht weiß: Auf Rose und ihren Vater ist ein Kopfgeld ausgesetzt, da letzterer in Schottland im Streit einen Lord erschlagen hatte. Und Silas möchte mit Jays Hilfe den Flüchtigen auf die Spur kommen. Und er ist nicht der einzige, der ein Auge auf das Blutgeld geworfen hat.

Slow West (c) Thimfilm

Slow West besticht vor allem durch seine langsame Erzählweise. Er ist ein fast poetischer, melancholischer Film, der auch die Landschaft – die Außenaufnahmen wurden in Neuseeland gedreht, aber einer Gegend, die Mittelerde darstellen kann, nimmt man auch die amerikanische Prärie ab – gut in Szene setzten kann. Ich möchte hier nicht allzu viel preisgeben, denn die Spannung des Films lebt von seinen Überraschungen. Die gibt es vor allem dann, wenn Jay auf seiner Odyssee auf verschiedene Charaktere trifft – etwa auf Soldaten, einen Indianerforscher, eine ebenfalls durch den Westen irrende Familie – und die Begegnungen am Ende einen völlig anderen Ausgang nehmen, als Jay – und der Zuschauer – sich erwarten. Gewürzt ist das Ganze mit einer Prise schwarzem Humor, etwa die Szene, wo Jay und Silas bei einem gefällten Baum vorbeireiten, unter dem noch das Skelett des Holzfällers liegt. Und auch das Ende entbehrt nicht eine gewisse Ironie – aber ich möchte ja nicht spoilern.

Naturalistische Diaramen

In unscharfen Bildern nähert sich die Kamera dem Bahnhof – dem Ort, an dem das Unglück seinen Lauf nehmen sollte. Denn es ist tatsächlich Pech, dass das freundliche Ehepaar aussteigen muss um den beiden Trunkenbolden Platz zu machen. Die restliche Besatzung der Kutsche: Jon, ein Soldat aus dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864, der schon seit einiger Zeit in Amerika lebt, sowie seine Frau und sein zehnjähriger Sohn, die gerade erst angekommen sind.

Es dauert nicht lange, schon sind die Neuankömmlinge tot. Jon nimmt Rache – doch mit dem Tod der beiden Männer beginnt sich das Rad zu drehen: Denn spätestens wenn die klassische, an Italowestern angelehnte Filmmusik, sich das erste Mal erhebt, wenn die Gang der getöteten Schurken in die Stadt einreiten, ist klar, wohin uns dieser Film führen wird. In ein Wechselspiel der Rache und Vergeltung. “Wer waren die Männer?” – “Ich hab sie noch nie davor gesehen. Fremde.”

The Salvation (c) Constantinfilm

Die verwendeten Filter verwandeln den Wilden Westen in prächtigen Diaramen, in naturalistische Gemälde, Sehnsuchtsorte. Dies bricht mit der Handlung, die immer gewalttätiger und skrupelloser wird um im Showdown mehr an einen moderen Actionfilm als an klassische Schoot-outs erinnert. Viele Kritiken loben die Wiederbelebung des Rachewesterns – mit seinen Kamerafahrten und hellen, hochauflösenden Bildern vermag er jedoch nicht, in die wilde Zeit zurückzuversetzen. Während man noch über die Machart grübelt macht Mads Mikkelsen das, was er schon in Michael Kohlhaas ausgezeichnet konnte: Er kämpft mit wenigen Worten und vielsagender Mimik den Kampf um Recht und Gerechtigkeit. Obwohl: Gerade diese Rettungsanker der Gesellschaft sucht man in The Salvation vergeblich.

Neben diesen „richtigen“ Western (die im Wilden Westen spielen) gibt es solche, die ihren Schauplatz in Europa haben, wie der „Red Western“ oder der „Alpenwestern“ – z.B. Das finstere Tal (2014). Bei ihnen ist es unter Westernfans strittig, ob man sie als Eurowestern anerkennt , oder eher als Heimat- oder Abenteuerfilme bezeichnet.

Andreas Haider & Josef Kirchner

Nächste Woche führt uns Andreas Haider auf Menschenhatz durch die verschneiten Berge in den Wilden Westen Österreichs, in den Osten des Kontinents und ein wenig auch an die Universität von Salzburg.