„Ich bin sowas von im Arsch.“ Mit diesen Worten beginnt der erste Logbucheintrag des Astronauten Mark Watney, und so beginnt auch Andy Weirs Roman „Der Marsianer“. Und treffender kann Watney seine Situation auch gar nicht beschreiben. Er war das Mitglied einer sechsköpfigen Expedition zum Roten Planeten.
Aufgrund seines heftigen Sandsturms mussten die Raumfahrer ihr Basislager aber schleunigst verlassen und sich sofort in den sicheren Marsorbit evakuieren. Nach nur sechs Marstagen war die eigentlich auf über fünfzig Tage anberaumte Marsmission zu Ende. Und dann passiert bei der Flucht durch den Sturm ein verehrender Unfall: Ein Stück Antenne, das der Sturm von der Wohneinheit abgerissen hatte, trifft Watney. Das letzte, was seine Kameraden von ihm sehen, ist wie er, aufgespießt von einem Metallstab vom Sturm in ein undurchschaubares Sandchaos verblasen wird. Die anderen halten ihn für tot und starten die Maschinen zum Heimflug Richtung Erde. So etwas kann man nicht überleben, nicht an einem so lebensfeindlichen Ort wie dem Mars.
Doch Watney lebt. Die Frage ist nur wie lange noch, denn es mangelt ihm an allem. Atemluft, Wasser, Nahrung, Energie, und die Kommunikation mit der Erde ist, nachdem der Sturm ganze Arbeit geleistet hat, auch nicht mehr möglich. So muss er nun all sein Biologie- und Chemiewissen, seine Rechenkünste und sein Improvisationstalent einsetzen, auf einer Welt, auf der jeder Fehltritt und jede Unachtsamkeit den sicheren Tod bedeuten kann. Denn die nächste Möglichkeit, den Mars lebend zu verlassen, ergibt sich erst wieder in über vier Jahren, wenn die nächste Expedition den Roten Planeten erreichen wird. Was Watney aber anfangs noch nicht weiß: Durch diverse Satelliten, die den Mars beobachten, weiß die NASA schon relativ früh, dass er den Sturm überlebt haben muss. Und so beginnt auch auf der Erde ein Wettlauf gegen die Zeit, um den gestrandeten Astronauten wieder sicher nach Hause zu bringen.
Da weiß jemand wirklich, wovon er schreibt!
Der Marsianer ist Andy Weirs erster Roman. Der amerikanische Softwareentwickler und Programmierer schreibt allerdings schon seit seinem 20. Lebensjahr Kurzgeschichten, die er auf seiner Website veröffentlichte. 2009 begann er mit den Recherchen zum Buch, er befasste sich eingehend mit Astrophysik, Raumfahrt und den physikalischen und geographischen Gegebenheiten auf dem Mars. Diese müssen wohl sehr gründlich gewesen sein und das zahlte sich aus. Man hat das ganze Buch über das Gefühl: Da weiß jemand wirklich, wovon er schreibt! Um seinen Roman so realitätsnah wie möglich zu erzählen, schrieb er sogar ein Computerprogramm, das die Wege, die Zeit, den Ressourcenverbrauch seines Romanhelden Watney exakt berechnete. Das spiegelt sich in der Realitätsnähe des Romans wieder (siehe unten). Einzelne Kapitel stellte Weir auf seiner Website online, und, als er 2011 fertig geworden war, auch den ganzen Roman. Seine Fans baten ihn, eine E-Book-Version zu erstellen. Bald kauften mehr Leute das E-Book, als sich die Gratis-Version von seiner Homepage herunterluden. Erst 2014 kam auch eine Papierversion in den Handel, im selben Jahr erschien die deutsche Übersetzung, im Heyne Verlag, den man getrost als die erste Adresse für Science-Fiction im deutschen Sprachraum bezeichnen kann. Außerdem meldete sich Hollywood um das Buch zu verfilmen (siehe unten).
Der Autor wechselt innerhalb des Romans immer wieder die literarische Gattung. Was in anderen Werken schon oft schief gegangen ist, setzt Weir in Der Marsianer gekonnt ein. So bekommen die Protagonisten ihre literarischen „Leitmotive“: Watneys Geschichte wird in Form der Logbucheintragungen, aus der Perspektive eines Ich-Erzählers geschildert, während die Storys der NASA-Leute und der Raumschiff-Crew im All als Prosatext in der dritten Person erzählt werden. E-Mails und Funksprüche (die natürlich immer ihre Zeit brauchen, zwischen Erde, Mars und Raumschiff, auch hier ist der Roman sehr realistisch) stellen die Kommunikation zwischen den drei Stellen dar und verbinden so die Protagonisten. Durch diesen Wechsel der Textsorten gelingt es Weir nicht nur, abwechslungsreich zu erzählen, die Erzählweisen ergänzen so auch auf geniale Weise. Etwa wenn Ereignisse, die Watney im Logbuch nicht genau darlegt, in der NASA-Zentrale auf den Satellitenbildern aufscheinen und im Zuge dessen von NASA-Mitarbeitern interpretiert werden.
eine Art „Weltraum-MacGyver“
Noch nie zuvor habe ich einen Roman gelesen, in dem die Beschäftigung mit Naturwissenschaft so spannend rüberkam. Hätte ich das Buch doch schon in meiner Gymnasialzeit gehabt, ich hätte in Mathematik, Chemie und Physik sicher besser aufgepasst. Alles scheint durchaus naturwissenschaftlich fundiert zu sein. Genretypische „Tricksereien“, mit denen Science-Fiction-Autoren bisweilen gerne arbeiten (etwa einfrieren lassen, bis die Zeit der Rettung gekommen ist, Aliens, die den Protagonisten retten, eine Zeitreise, um das Unglück zu verhindern, Flucht in ein Paralleluniversum, den Gestrandeten einfach nach Hause beamen) gibt es hier nicht. Alles bleibt durchwegs realistisch, und genau das macht die Spannung des Buches aus: mit den wenigen Utensilien, die ihm im Basislager zur Verfügung stehen, muss Watney sein Überleben auf der lebensfeindlichen Oberfläche des Mars organisieren. Das erfordert viel Improvisationstalent, was Watney zu einer Art „Weltraum-MacGyver“ macht. Doch mit jedem gelösten Problem, steht er auch schon wieder vor der nächsten Herausforderung: Er kann zwar aus Wasserstoff und Sauerstoff genügend Wasser herstellen, um nicht zu verdursten, aber wo soll er das kühle Nass lagern? Und wie viel Sauerstoff darf er dafür opfern, um im Gegenzug nicht zu erstecken? Er muss Feuer machen, aber wie geht das, wenn alles, was die NASA mit auf den Mars geschickt hat, schwer entflammbar ist? Und um zum Landeort der künftigen Marsmission zu gelangen, muss er tausende Kilometer durch die Staubwüsten fahren, mit einem Marsrover, der nur für Kurzstrecken ausgelegt ist und einem Akku für höchstens vier Stunden Strom. Das sind nur einige der Herausforderungen, die der Mars-Robinson zu bewältigen hat. Man kann sich daher bis zuletzt nicht sicher sein, ob Watney den Mars jemals wieder lebendig verlassen wird.
Die oben erwähnte Verfilmung kommt übrigens heute in die österreichischen Kinos. Darin wird Matt Damon unter der Regie von Ridley Scott durch den Marssand hüpfen. Ob der Film allerdings an das Buch herankommen wird, ist fraglich. Denn der Roman lebt geradezu von den Überlegungen, Berechnungen und inneren Monologen, die Watney, stets mit einer Portion Selbstironie gewürzt, in sein Logbuch einträgt. Das in einem Film umzusetzen, wird schwierig. Entweder eine Off-Stimme liest das Logbuch vor, oder Damon führt ständig Selbstgespräche. Denn eines steht fest: ohne die Logbucheinträge läuft der Film Gefahr, schnell langweilig zu werden.
Der Marsianer ist sicher eines der besten Bücher des Science-Fiction-Genres, die in den letzten Jahren herausgekommen sind. Wer Mundane Science Fiction mag, gerne MacGyver geschaut hat, auf Robinsonaden steht, sich für Raumfahrt und Astronomie interessiert oder einfach nur einen spannenden, packenden Roman lesen möchte, ist bei Andy Weirs Der Marsianer gut aufgehoben.
Andreas Haider
Andy Weir: Der Marsianer, München (Heyne) 2015; 512 Seiten.
Beitragsbilder (c) Heyne, 20th Century Fox