Datei:Étienne Carjat, Portrait of Charles Baudelaire, circa 1862.jpg

Hier gibt es keine Katzenvideos! Denn bevor Menschen Katzen filmten und online Berühmtheiten aus ihnen machten gab es andere Mittel und Wege, Katzen in den Mittelpunkt zu rücken.

[Das ist eine Kurzversion des Textes. Für die ausführliche Analyse und Interpretation nach unten scrollen.]

 

Im Sachbuch Wie Sie Ihre Katze zum Internet-Star machen: und damit stinkreich werden gibt es den zentralen Hinweis, dass man, wenn die eigene Katze berühmt werden soll, ihr doch Zuschreibungen machen soll: Ist sie vordergründig schön, tollpatschig oder gar jähzornig? Rund um diese Zuschreibungen soll man dann den Charakter der Katze mit anderen Eigenschaften abrunden.

Was fällt auf? Die Katze wird (nicht nur bei der versuchten Vermarktung als Internetstar) zur Projektionsfläche für Menschen. Und das war sie auch bereits in den vergangenen Jahrhunderten seit der Domestizierung. Von der mächtigen Sphinx bis zum verspielten Stubentiger reicht die Assoziationskette. Getragen wurden diese Zuschreibungen unter Anderem von der Literatur. Kinder wuchsen mit Kater Hinze[2] oder Minz und Maunz, den beiden Katzen[3], auf – für Erwachsene gab es Kater Murr[4], die Katzen von Ulthar[5] und das bekannte Musical von Andrew Lloyd Webber nach Texten von T.S. Elliot[6]. Besonders im letzten Beispiel zeigt sich die Bandbreite der unterschiedlichen Zuschreibungen an die (Haus-)Katze.

Grund genug, einige Katzentexte einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen – insbesondere im Hinblick auf die Art der Zuschreibung und deren Inhalt. Zuschreibungen an Katzen findet man insbesondere in der Lyrik: Oscar Wilde besang beispielsweise die stoisch, beständige und wachende Hauskatze, die einer Sphinx gleiche[8]; Rainer Maria Rilke schreibt vom Gespenst der Schwarzen Katze[9]. Beide decken jeweils einen Aspekt der Katzenbetrachtung ab, der in vielen Gedichten thematisiert wird: Neben der edlen, schönen Katze, kann diese auch eine Bedrohung darstellen. Dies deckt sich mit klassischen Bildern älterer und neuerer Texte – es sind Bilder die immer wieder wiederholt werden.

Aus dem Rahmen fallen zwei sehr bekannte und doch nie miteinander in Verbindung gebrachte Texte: Zum einen Die Katze des erklärten Katzenliebhabers Charles Baudelaire – zum anderen die Katze in der leeren Wohnung der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Wisława Szymborska, ein Text, an den insbesondere unmittelbar nach ihrem Tod 2012 gedacht wurde, und der in ihrem Heimatland sehr bekannt ist.

Es handelt sich dabei um zwei Texte, die nicht nur durch die Jahre zwischen ihres Erscheinens (1857 und 1993), sondern auch durch ihre literarische Form und die dichterische Herangehensweise voneinander getrennt werden – verbunden vom tragenden Motiv oder Fluchtpunkt, der Katze.

[Die Originaltexte findet ihr weiter unten.]

Fluchtpunkt Katze

Zwei Katzengedichte: So unscheinbar und harmlos sie vielleicht in der ersten Lektüre erscheinen mögen, sind sie doch vielschichtig und heben sich von einer oberflächlichen Verehrung oder Betrachtung der Katze ab. Zentral ist beiden Das Spannungsfeld von Autonomie und Abhängigkeit, wobei in beiden Fällen die Beziehung zwischen Mensch und Tier im Vordergrund steht.

Gibt es bei Szymborska keine direkten Beschreibungen der Katze und ergeben sich Charakteristika nur aus den wiedergegebenen Beobachtungen und daraus resultierenden Handlungen, so findet sich bei Baudelaire zumindest eine direkte Beschreibung der Katze, wenngleich mehr Augenmerk auf die Beschreibung des Menschen und seiner Handlungen gelegt wird. Es wird in beiden Fällen nicht die Katze direkt beschrieben, sondern die Wahrnehmung dieser durch den Menschen beziehungsweise die Beziehung zum Menschen. Die Katze wird zur Projektionsfläche.

Bei Szymborska wird die Katze nur insofern vermenschlicht, als dass die einfache Sprache nicht deutlich macht, ob die Katze selber spricht oder jemand, der sich in sie einfühlt, mit ihr mitfühlt – ein empathisches Kind beispielsweise, dessen Unruhe und Unkonzentriertheit sich in der unterschiedlichen Vers- und Strophenlänge und in der einfachen Sprache sowie in der offenkundigen Naivität und Unwissenheit bezüglich der Situation, vor die es gestellt wurde, zeigt.

Bei Baudelaire hingegen gibt es einen direkten Vergleich, und damit einhergehend eine Form der Vermenschlichung, mit einer Frau, mit deren Blick und Duft und der davon ausgehenden Gefahr. Der Mann ist zu beiderlei hingezogen – und von beiderlei geht eine verführerische Gefahr aus.

Das Frauenbild bei Baudelaire ist von der christlichen Tradition der Verführerin geprägt: Der Kontrast zwischen Ekstase und Moral wird nicht zu Ende gedacht, das Sonett endet in der Betrachtung der Frau, in der Vision. Die Frau bleibt hier jedoch stark und erhaben.

Bei Szymborska findet sich der andere Typ Frau, der ebenso tief in der christlichen Tradition verankert ist: Die Frau als Abhängige, als naives und unflexibles Wesen, das eine täglichen Routine ebenso bedarf als eines starken männlichen Konterparts.

Beide Frauenkonzepte lassen sich – das zeigen diese beiden Gedichte eindrucksvoll – auf Zuschreibungen an die Katze übertragen: Auch hier gibt es das Bild der erhabenen, stolzen und schönen Sphinx, die über allem thront auf der einen Seite und die Vorstellung vom abhängigen Stubentiger, der eine menschliche Bezugsperson als Ernährer und mentale Stütze benötigt auf der anderen. Doch trotz jeder Abhängigkeit ist es der Katze immer noch wichtig, ihren Stolz zu wahren:

„Sie wird ihm entgegenstolzieren,/so, als wollte sie’s nicht,/sehr langsam,/auf äußerst beleidigten Pfoten.“

Josef Kirchner


Wisława Szymborska

Katze in der leeren Wohnung

Sterben – das tut man einer Katze nicht an,
Denn was soll die Katze
in einer leeren Wohnung.
An den Wänden hoch,
sich an Möbeln reiben.
Nichts scheint sich hier verändert zu haben,
und doch ist alles anders.
Nichts verstellt, so scheint es,
und doch alles verschoben.
Am Abend brennt die Lampe nicht mehr.

Auf der Treppe sind Schritte zu hören,
aber nicht die.
Die Hand, die den Fisch auf den Teller legt,
ist auch nicht die, die es früher tat.

Hier beginnt etwas nicht
zur gewohnten Zeit.
Etwas findet nicht statt,
wie es sich gehört hätte.
Jemand war hier und war,
dann verschwand er plötzlich
und ist beharrlich nicht da.

Alle Schränke durchforscht.
Alle Regale durchlaufen.
Unter Teppichen geprüft.
Trotz des Verbots
die Papiere durchstöbert.
Was bleibt da noch zu tun.
Schlafen und warten.

Komme er nur,
zeige er sich.
Er wird´s schon erfahren.
Einer Katze tut man sowas nicht an.
Sie wird ihm entgegenstolzieren,
so, als wollte sie´s nicht,
sehr langsam,
auf äußerst beleidigten Pfoten.
Noch ohne Sprung, ohne Miau.

Charles Baudelaire

Die Katze

Komm, schöne Katze, und schmiege dich still

An mein Herz, halt zurück deine Kralle.

In dein Auge ich träumend versinken will,

Drin Achat sich verschmolz dem Metalle.

 

Wenn meine Hand liebkosend und leicht

Deinen Kopf und den schmiegsamen Rücken,

Das knisternde Fell dir tastend umstreicht

Sanft, doch berauscht vor Entzücken,

 

Dann seh’ ich sie. Und ihres Blickes Strahl

Er scheint dem deinen, schönes Tier, zu gleichen,

Ist tief und kalt, scharf wie geschliffner Stahl,

 

Und feine Düfte fühl’ ich zitternd streichen,

Gefährlich süßen Hauch, der gluterfüllt

Den braunen Leib von Kopf zu Fuß umhüllt.


[LANGVERSION]

Interpretationsansätze zum Motiv der Katze
in Baudelaires Die Katze und Szymborskas Katze in der leeren Wohnung

Von Josef Kirchner

 

Keine Katzenvideos! – Zur Textauswahl / Einführung

Katzen sind als beliebteste Haustiere allgegenwärtig. Die öffentliche Wahrnehmung wird von einer Populärkultur und deren (nicht neuen) Zuschreibungen an die Katze geprägt: Katzenvideos und Katzenbilder füllen neue Kommunikationsmittel und werden für Werbezwecke herangezogen.[1] Mit Marketingstrategien werden aus bestimmten Katzen „Internetstars“ mit horrenden Profiten für ihre Besitzer. Wie Sie Ihre Katze zum Internet-Star machen: und damit stinkreich werden von Patricia Carlin, Dustin Fenstermacher und Clara Mihr wurde im vergangenem Jahr selber zum Sachbuch-Bestseller.

Einer der zentralen Hinweise dieses Buches ist jener, dass man seiner Katze gewisse Zuschreibungen verleihen soll: Ist sie vordergründig schön, tollpatschig oder gar jähzornig? Rund um diese Zuschreibungen soll man dann den Charakter der Katze mit anderen Eigenschaften abrunden. Was fällt auf? Die Katze wird (nicht nur bei der versuchten Vermarktung als Internetstar) zur Projektionsfläche für Menschen. Und das war sie auch bereits in den vergangenen Jahrhunderten seit der Domestizierung.

Von der mächtigen Sphinx bis zum verspielten Stubentiger reicht die Assoziationskette. Getragen wurden diese Zuschreibungen unter Anderem von der Literatur. Kinder wuchsen mit Kater Hinze[2] oder Minz und Maunz, den beiden Katzen[3], auf – für Erwachsene gab es Kater Murr[4], die Katzen von Ulthar[5] und das bekannte Musical von Andrew Lloyd Webber nach Texten von T.S. Elliot[6]. Besonders im letzten Beispiel zeigt sich die Bandbreite der unterschiedlichen Zuschreibungen an die (Haus-)Katze.

Grund genug, einige Katzentexte einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen – insbesondere im Hinblick auf die Art der Zuschreibung und deren Inhalt. Nicht geeignet für eine solche Annäherung sind somit Texte, die Katzen als Erzähler auftreten lassen, wie der bereits erwähnte Kater Murr oder in Ich der Kater[7] des japanischen Autors Natsume Sōseki. Weiters sind Märchen und (fiktive) Überlieferungen, wie die erwähnten Katzen von Ulthar, zu monothematisch um ein differenziertes Katzenbild zu ergeben.

Zuschreibungen an Katzen findet man insbesondere in der Lyrik: Oscar Wilde besang beispielsweise die stoisch, beständige und wachende Hauskatze, die einer Sphinx gleiche[8]; Rainer Maria Rilke schreibt vom Gespenst der Schwarzen Katze[9]. Beide decken jeweils einen Aspekt der Katzenbetrachtung ab, der in vielen Gedichten thematisiert wird: Neben der edlen, schönen Katze, kann diese auch eine Bedrohung darstellen. Dies deckt sich mit klassischen Bildern älterer und neuerer Texte – es sind Bilder die immer wieder wiederholt werden.

Aus dem Rahmen fallen zwei sehr bekannte und doch nie miteinander in Verbindung gebrachte Texte: Zum einen Die Katze des erklärten Katzenliebhabers Charles Baudelaire – zum anderen die Katze in der leeren Wohnung der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Wisława Szymborska, ein Text, an den insbesondere unmittelbar nach ihrem Tod 2012 gedacht wurde, und der in ihrem Heimatland sehr bekannt ist.

Es handelt sich dabei um zwei Texte, die nicht nur durch die Jahre zwischen ihres Erscheinens (1857 und 1993), sondern auch durch ihre literarische Form und die dichterische Herangehensweise voneinander getrennt werden – verbunden vom tragenden Motiv oder Fluchtpunkt, der Katze.

 

Aus starren Formen ausbrechen – eine erste Analyse

Baudelaires Gedicht tritt uns, wie viele seiner Texte in den Blumen des Bösen, als Sonett entgegen. Der jambische Fünfheber mit männlicher Kadenz, also 10 statt der häufigeren 11 Silben pro Vers, ist hier doch vom klassischen Reimschema emanzipiert. In den Quartetten verwendet Baudelaire anstatt des üblichen umarmenden Reimes einen Kreuzreim und nähert sich damit dem englischen Sonett an. Folgt dort jedoch noch ein drittes Quartett vor einem abschließenden Verspaar, so bleibt Baudelaire bei den beiden Terzetten, die sich auch inhaltlich voneinander und von den Quartetten unterscheiden lassen (wie wir noch feststellen werden). Nichtsdestotrotz verwendet er in den Terzetten das englische Reimschema, wenn auf einen, durch den Strophensprung unterbrochenen, Kreuzreim ein abschließendes Reimpaar folgt. Baudelaire entwickelt somit die klassische Form des Sonettes weiter und modernisiert sie für seine Inhalte, was sich auch in unterschiedlichen weiteren Formen im Zyklus der Blumen des Bösen zeigt, und was auch in der vorliegenden Übersetzung übertragen wurde.

Anders der Text von Wislawa Szymborska, welcher, dem Zeitgeist entsprechend, in freien Versen ohne durchgehenden Rhythmus, Strophenzahl oder Reim verfasst ist und dadurch ebenfalls auf den Inhalt verweist. Die unterschiedliche Vers- und Strophenlänge verweist wie auch die über weite Strecken einfache Sprache auf die Unruhe und die Einfachheit und Naivität (oder Kindlichheit?) des Subjektes, aber dazu später.

5 Strophen mit 10, 4, 7, 7 und 9 Versen ergeben 37 Verse, die sich, trotz ihrer scheinbar willkürlichen Anordnung in drei Teile spalten lassen: In Vers 1 bis 3 tritt uns ein Sprecher entgegen, der sich grundlegend vom restlichen Text unterscheidet – auch in der Sprache – und der eine Art Einführung in die Thematik gibt. Das Thema ist damit von Anfang an klar, was sich grundsätzlich auf den Prozess des Verstehens auswirkt. Die Verse 4 bis 21 beschreiben die Wahrnehmungen aus einer neuen Sprechersicht bevor nach ziemlich genau der Hälfte des Gedichtes (die ersten drei Verse ausgenommen) die Reaktion auf diese beschriebenen Wahrnehmungen geschildert wird.

So unterschiedlich beide Formen sind, so eint sie doch das Bemühen, aus starren Formen auszubrechen um die Form dem Inhalt entsprechend anzupassen. Auch die Übersetzungen bemühten sich in beiden Fällen um eine möglichst formbeibehaltende Übertragung, wenngleich dies bei einzelnen sprachlichen Ausprägungen insbesondere des polnischen nicht immer möglich ist.

 

„Komm, schöne Katze“ – Versuch einer Interpretation

So unterschiedlich die Form beider Texte ist, so unterschiedlich ist auch die Betrachtung der zentralen Figur der Katze: Tritt sie uns in beiden Texten als namensloses Haustier, deren Beziehung beziehungsweise Besitzstatus nicht geklärt ist, entgegen, so finden wir in Baudelaires Text zumindest eine direkte Zuschreibung – dies auch gleich in der ersten Zeile:

„Komm, schöne Katze, und schmiege dich still“ (Vers 1)

An die Aufforderung zu kommen schließt direkt das aufgeforderte Subjekt an, beschrieben einzig mit dem nicht sonderlich konkreten „schön“. Da eine weitere Spezifizierung fehlt, kann man nur annehmen, dass sich diese schöne Katze in eine Reihe mit der stolzen und ebenfalls als schön gekennzeichneten antiken Sphinx reiht. In weiterer Folge werden wir aber feststellen, dass die Bezeichnung „Katze“ (die nur in Vers 1 direkt vorkommt) ebenso wage ist wie die Zuschreibung „schön“.

Das Vertrauen

Zunächst allerdings treten nur Beschreibungen der Tätigkeiten hervor: „still“ (V1) und „schmiegsam“ (V6) soll sie sein, das Fell ist beispielsweise „knisternd“ (V7), der Blick „tief und kalt, scharf“ (V11). Weitere Beschreibungen betreffen das menschliche Subjekt, das die Katze in der ersten Zeile anspricht und auffordert, zu ihm (oder ihr?) zu kommen. Von diesen lassen sich ähnliche Rückschlüsse auf die Katze ziehen, wie von indirekten Befürchtungen und weiteren Aussagen.

Viel stärker als eine direkte Beschreibung der Katze tritt die Beschreibung der Beziehung zwischen der Katze und dem Menschen hervor: Jemand der sich anschmiegt (V1) passt sich voll und ganz dem Gegenüber an, diese Passgenauigkeit verweist auf die gute Beziehung zueinander. Auch die Aufforderung zu kommen beweist, dass die Katze den Menschen gut kennt und im Vertrauen kommen kann. Dieses gegenseitige Vertrauen wird in der zweiten Strophe näher ausgeführt: Die Katze vertraut dem Menschen, dass er sie vorsichtig behandelt; gleichzeitig vertraut dieser darauf, dass sie ihre Krallen nicht einsetzen möge (V2). Die Kralle bildet hier in der deutschen Version ein Reimpaar mit „Metalle“ (V4), was ihre Härte und Schärfe zusätzlich hervorhebt.

Wenn der Mensch die Katze auffordert, die Kralle zurückzuhalten (V2), so verweist dies zum einen auf die potentielle Gefahr, die von den Krallen und damit von der Katze ausgeht, zum anderen aber auch auf die Gefahr, die der Mensch empfindet oder erwartet. Ob die Beschreibung der Katze oder des Menschen überwiegt, wird man erst im Kontext mit anderen Beschreibungen feststellen können.

In der zweiten Hälfte des ersten Quartetts dreht die Betrachtungsweise von der Aufforderung der Katze zu einer Beschreibung zunächst des Willens des Menschen (V3) und dann des Auges der Katze (V4). Wenn jedoch gesagt wird, dass jemand in das Auge „träumend versinken“ will, so beschreibt dies das Auge als etwas Geheimnisvolles, vielleicht Verträumtes, Mysteriöses – oder zumindest die Wahrnehmung dessen auf diese Weise.

Ähnlich verhält es sich im zweiten Quartett, das eine Tätigkeit des Menschen, die Berührung der Katze, näher beschreibt und dabei allerdings auch Rückschlüsse auf das Tier zulässt: „sanft“ (V8) streichelt er, „liebkosend und leicht“ (V5) – und beschreibt damit die Katze als etwas zartes und zerbrechliches, das man ebenso behandeln muss. Gleichzeitig verbirgt das „knisternde Fell“ (V7) etwas Geheimnisvolles wie zuvor die Augen, das man nur „tastend“ (V7) berühren kann. Die statische Aufladung des knisternden Felles könnte ebenfalls auf die Gefahr verweisen, die einen bei Berührung zurückzucken lässt, oder aber auf den Rausch, den dieses „Entzücken“ (V8) der Berührung bereitet.

Das Sehnsuchtsobjekt

Gleichzeitig tritt hier eine Ambivalenz zu Tage: Man muss sich zurückhalten, darf dem Rausch nicht freie Bahn lassen. Die hohen Emotionen darf man nicht zeigen – doch warum? Die Antwort findet sich in den folgenden Zeilen, wenn der Mensch, berauscht vom Streicheln, „sie“ sieht (V9). Wer sie ist, kann auch in weiterer Folge nur erahnt werden. Dass sie der Katze in Blick und Duft ähnelt, wird in den beiden Terzetten beschrieben, in denen sich die Beschreibung immer stärker von der Katze abwendet – hin zu einem anderen Menschen.

Auch von ihr geht Gefahr aus, hat ihr Blick doch eine gewisse Strahlkraft (V9), der dem der Katze gleicht und der – ungewöhnlich ausführlich – mit drei Attributen („tief“, „kalt“ und „scharf“; alle V11) bedacht wird. Die Tiefe verweist dabei auf die Unergründbarkeit, die Unfassbarkeit; die Kälte auf die Unnahbarkeit und Abweisung; und die Schärfe auf die Gefahr, die von ihr ausgeht. Diese wird durch das Reimpaar mit „Stahl“ (V11) verstärkt – dieser ist jedoch nicht roh, sondern „geschliffen“ (V11), also zart und gefährlich, wie auch die Katze als Ganzes. Generell sind dies alles Attribute, die auch der Katze zugesprochen werden.

Ähnliches lässt sich in der letzten Strophe bei den Düften feststellen: Ein „süßer Hauch“ (V13), der „fein“ (V12), aber auch „gefährlich“ und „gluterfüllt“ (V13) ist und wie der Klang der Sirenen den Menschen anlockt und Gefahr bedeutet. Das Feuer der Glut ist zwar erloschen, kann jedoch jederzeit wieder beginnen – auch hier drückt sich Gefahr und die daraus resultierende Vorsicht aus. Das Zittern bei der Wahrnehmung der Düfte (V12) erinnert an den Rausch, ausgelöst vom Empfinden beim Streicheln der Katze. Diesem Rausch darf aber ob der Gefahr nur bedingt nachgegangen werden.

Das Sehnsuchtsobjekt ist hier der „braune Leib“ (V14), der durch die Entwicklung des Gedichtes nicht mehr als jener einer Katze interpretiert werden kann sondern eindeutig einen weiblichen, menschlichen Körper darstellt. Die dunkle, braune, Hautfarbe wird zum Schönheitsideal; wenn man die Entstehungszeit des Textes in die Interpretation mit einbezieht kann der dunklen Hautfarbe auch etwas exotisches und geheimnisvolles, ja vielleicht sogar gefährliches, beiwohnen – dies deckt sich wiederum mit den Zuschreibungen an die Katze. Während der Mensch dieser jedoch nahe steht, sie berühren kann (wenn auch nur vorsichtig) und eine Beziehung mit ihr eingeht, bleibt der „braune Leib“ unerfüllbare Vision, ein Ausdruck des Rausches und der Ekstase.

Die Frau ist jedoch, wie so oft in der europäischen Kulturgeschichte, die Verführerin von der Gefahr ausgeht und der man widerstehen muss, so stark die Gefühle auch sein mögen. Die Verbindung der Erregung durch den Duft und den Blick mit der Verführung durch eine Katze ist jedoch neu. Anders als zu einer Frau kann man sich der Katze sehrwohl hingeben. Durch die von den Krallen ausgehende Gefahr muss man jedoch auch hier seine Emotionen kontrollieren können.

Es kommt jedoch zu einem direkten Vergleich der Frau mit der Katze: Die Katze wird sozusagen vermenschlicht und dient als Ausgangspunkt für eine andere Sehnsucht. Der Mann (wenn man in der Tradition der heteroerotischen Verführung bleiben möchte), der zu Katze und Frau gleichermaßen hingezogen ist, befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis sich anzuschmiegen, sich also voll und ganz auf das Gegenüber einzulassen, und der Gefahr, die von genau diesem Konterpart ausgeht. Daraus ergibt sich das Spannungsfeld von Nähe und Distanz gleichermaßen wie jenes von Autonomie und Abhängigkeit: Denn wer ist bei einer solchen Beziehung wirklich der Abhängige?

Die Wahrnehmung

Anders verhält es sich bei Szymborskas Text: Hier wird die Katze nicht in derselben Weise vermenschlicht, sondern, wie wir bereits feststellen konnten, von einem offenbar menschlichen Sprecher in den ersten drei Versen abgegrenzt. Dieser führt in das Thema ein und bildet gleichzeitig eine moralische Instanz, wenn es im ersten Vers lautet:

„Sterben – das tut man einer Katze nicht an“ (V1)

Gleichzeitig ist auch klar, dass hier nicht eine Katze sprechen kann, da für jene das Konzept des Sterbens gar nicht existiert. Weiters stellt der Sprecher in den folgenden beiden Versen die Frage, was denn nun aus der Katze werden wird. Wobei: Das Fragezeichen fehlt, es handelt sich somit weniger um einen offenen Sachverhalt als um eine moralisierende Feststellung als Ergänzung zum Eingangsvers.

Die folgenden Verse beschreiben Empfindungen und Erlebnisse, die eben jene Katze allein in der Wohnung hat. Dabei fallen zwei Dinge auf: Zum einen bilden sich mehrere Verspaare mit These und Antithese, wie etwa die Verse 6 und 7: „nichts … verändert“/“alles anders“. Zum anderen sind die Beschreibungen der Wahrnehmungen unbestimmt, so als wäre man sich der Empfindungen nicht sicher.

Dies deckt sich mit den vorhin beschriebenen Versklammern. In Vers 8 „scheint es“ nur so zu sein, als wäre nichts verstellt; in Vers 12 werden die falschen Schritte nicht näher bestimmt, es sind einfach nur „nicht die“ – doch welche, bleibt ungeklärt; und in der dritten Strophe finden sich gleich mehrere unbestimmte Beschreibungen: „etwas“ und „jemand“ war und ist (in der polnischen Originalversion fällt zudem der Gleichklang der Worte „coś“ [V15, 17; „etwas“] und „ktoś“ [V19; „jemand“] an den Versanfängen auf) – wer oder was genau, scheint außerhalb der Wahrnehmungsmöglichkeiten zu liegen. Gleichzeitig werden die Empfindungen in dieser Strophe stark gewertet: Es gibt eine gewohnte Routine, die nun durchbrochen wird. Es ist nicht mehr so, „wie es sich gehört hätte“ (V18).

Es sind solche Momente, aus denen man Zuschreibungen an die Katze ableiten kann: Neben der Routinebedürftigkeit kann man eine gewisse Klugheit oder Erfahrung ableiten, wenn sie Schritte als unbekannt feststellen kann (V11-12) und die genaue Position der Objekte in ihrer Umgebung kennt (V6-10). Zumindest darf Neugier ob der sich veränderten Situation attestiert werden, die insbesondere in der vierten Strophe zum Ausdruck kommt.

Hier werden, wie zu Beginn erwähnt, bereits Reaktionen der Katze beschrieben. Dies geschieht in einem ungewöhnlichen passiven Stil. Die Ellipsen, denen das finite Hilfsverb beziehungsweise die ausführende Person fehlt, lassen offen, ob es sich um Sätze in der ersten oder in der dritten Person handelt, ob also die Katze selber berichtet, oder ein außenstehender Erzähler.

Wieder folgt in Vers 27 eine Frage ohne Fragezeichen („Was bleibt da noch zu tun.“, da die Antwort bereits feststeht: „Schlafen und warten.“ (V28) Dies könnte man als Faulheit interpretieren, näher liegt jedoch die Verzweiflung ob der nun offensichtlichen Abhängigkeit von dem, auf den gewartet wird.

Die Abhängigkeit

Dieser wird nun in der nächsten Strophe direkt angesprochen: „Komme er nur“ (V29). Aus der Abhängigkeit wird Beleidigung, Verletztheit und schließlich Trotz. Der dafür nötige Stolz tritt in den restlichen Versen deutlich hervor. Bezeichnend auch, dass „er“ in der dritten Person angesprochen wird, und nicht, wie es eine enge Beziehung, die offensichtlich zwischen ihm und der Katze bestehen muss, verlangen würde, in der zweiten.

Ähnliches findet man in Vers 13, wenn von einer fütternden „Hand“ gesprochen wird. Auch hier wird der Mensch auf seine Funktion degradiert um sich die eigene Autonomie zu bestätigen. Das über das gesamte Gedicht latente Spannungsfeld von Autonomie und Abhängigkeit, das uns auch schon bei Baudelaire zwischen Mensch und Tier begegnet ist, wird in der letzten Strophe von der Katze gelöst:

„Sie wird ihm entgegenstolzieren“ (V33), wenn er dann endlich kommt, und der Stolz wird jede Freude unterdrücken. Diese Aufforderung an sich selbst stellt eine Rache eines offensichtlich Abhängigen dar: Die Katze beißt die Hand, die sie füttert – und das weiß sie eigentlich auch genau. Doch in diesem Moment beherrschen irrationale Gefühle ihr Denken, aus dem im Übergang von der vierten zur fünften Strophe der Entschluss folgt. Aus der Uneindeutigkeit der Empfindungen wird ein eindeutiger Handlungsplan, der für sie keine Frage offen lässt.

Offen bleibt jedoch der Grund für diese Reaktion: „Einer Katze tut man sowas nicht an.“ – in Vers 32 greift sie die Eingangszeile auf – aus dem „sowas“, das zuvor als Tod klar gekennzeichnet wurde, wird nun ein diffuser Gefühlsmix rund um die Einsamkeit. Der Tod an sich hat keine Schuld, denn diesen kennt die Katze nicht. Der Verstorbene trägt die Verantwortung für ihr Leid, da sich in seinem Fernbleiben ihre Abhängigkeit offenbart.

Die Katze, die zu ihrer ersten Bezugsperson, ihrem Besitzer, ihrem Mann (hier haben wir eine klare geschlechtliche Feststellung), hingezogen und von ihm abhängig ist, könnte Schablone für ein veraltetes Frauenbild sein: In ihrer Naivität ist sie durch die sich ändernde Routine überfordert, worin sich die Abhängigkeit von ihrem Mann zeigt.

 

Verführung und Abhängigkeit – (Zwischen-)Fazit

Zwei Katzengedichte: So unscheinbar und harmlos sie vielleicht in der ersten Lektüre erscheinen mögen, sind sie doch vielschichtig und heben sich von einer oberflächlichen Verehrung oder Betrachtung der Katze ab. Zentral ist beiden Das Spannungsfeld von Autonomie und Abhängigkeit, wobei in beiden Fällen die Beziehung zwischen Mensch und Tier im Vordergrund steht.

Gibt es bei Szymborska keine direkten Beschreibungen der Katze und ergeben sich Charakteristika nur aus den wiedergegebenen Beobachtungen und daraus resultierenden Handlungen, so findet sich bei Baudelaire zumindest eine direkte Beschreibung der Katze, wenngleich mehr Augenmerk auf die Beschreibung des Menschen und seiner Handlungen gelegt wird. Es wird in beiden Fällen nicht die Katze direkt beschrieben, sondern die Wahrnehmung dieser durch den Menschen beziehungsweise die Beziehung zum Menschen. Die Katze wird, wie wir bereits in der Einleitung feststellen konnten, zur Projektionsfläche – was insbesondere bei Baudelaire ersichtlich wird.

Bei Szymborska wird die Katze nur insofern vermenschlicht, als dass die einfache Sprache nicht deutlich macht, ob die Katze selber spricht oder jemand, der sich in sie einfühlt, mit ihr mitfühlt – ein empathisches Kind beispielsweise, dessen Unruhe und Unkonzentriertheit sich in der unterschiedlichen Vers- und Strophenlänge und in der einfachen Sprache sowie in der offenkundigen Naivität und Unwissenheit bezüglich der Situation, vor die es gestellt wurde, zeigt.

Bei Baudelaire hingegen gibt es einen direkten Vergleich, und damit einhergehend eine Form der Vermenschlichung, mit einer Frau, mit deren Blick und Duft und der davon ausgehenden Gefahr. Der Mann ist zu beiderlei hingezogen – und von beiderlei geht eine verführerische Gefahr aus.

Das Frauenbild bei Baudelaire ist von der christlichen Tradition der Verführerin geprägt: Der Kontrast zwischen Ekstase und Moral wird nicht zu Ende gedacht, das Sonett endet in der Betrachtung der Frau, in der Vision. Die Frau bleibt hier jedoch stark und erhaben.

Bei Szymborska findet sich der andere Typ Frau, der ebenso tief in der christlichen Tradition verankert ist: Die Frau als Abhängige, als naives und unflexibles Wesen, das eine täglichen Routine ebenso bedarf als eines starken männlichen Konterparts.

Beide Frauenkonzepte lassen sich – das zeigen diese beiden Gedichte eindrucksvoll – auf Zuschreibungen an die Katze übertragen: Auch hier gibt es das Bild der erhabenen, stolzen und schönen Sphinx, die über allem thront auf der einen Seite und die Vorstellung vom abhängigen Stubentiger, der eine menschliche Bezugsperson als Ernährer und mentale Stütze benötigt auf der anderen. Doch trotz jeder Abhängigkeit ist es der Katze immer noch wichtig, ihren Stolz zu wahren:

„Sie wird ihm entgegenstolzieren,/so, als wollte sie’s nicht,/sehr langsam,/auf äußerst beleidigten Pfoten.“

 


 

[1] Die österreichische Tageszeitung Der Standard verwendet bewusst Bilder von Katzen um auf den wöchentlichen Wetterbericht auf ihrer facebook-Präsenz hinzuweisen. Sie tut dies laut eigenen Aussagen, um auf den ansonsten oft vernachlässigten wöchentlichen Post hinzuweisen, wurde allerdings auch von LeserInnen gebeten, diese Routine beizubehalten.

[2] Goethe, Johann Wolfgang: Reineke Fuchs. Andere Versionen des Stoffen reichen bis in das Mittelalter zurück.

[3] Hoffmann, Heinrich: Struwwelpeter, Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug.

[4] Hoffmann, E.T.A.: Lebensansichten des Katers Murr.

[5] Lovecraft, H.P.: The cats of Ulthar.

[6] Elliot, T.S.: Old Possum’s Book of Practical Cats.

[7] Sōseki, Natsume: Wagahai wa Neko de aru.

[8] Wilde, Oscar: Die Sphinx.

[9] Rilke, Rainer Maria: Schwarze Katze.

(c) Fotos: Damian Klamka; Wikipedia Commons