Rezension: Birgit Birnbacher – Mal lichterloh, mal wasserblau

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Birgit Birnbacher - Mal lichterloh mal wasserblau
 
Christian Morgenstern tat es. Theodor Storm tat es. Joachim Ringelnatz tat es. Ganz zu Schweigen von Erich Kästner, Mark Twain oder Oscar Wilde. Sie alle haben es getan, waren die Ausnahme. Zwei neue können in die Liste aufgenommen werden: Birgit Birnbacher und David, Janas Bruder.
 

AutorInnen, die sowohl Erwachsenen- als auch Kinder- und Jugend-Literatur schreiben sind selten, etwas Besonderes. Ebenso besonders ist David: „Ab und zu regnet es und auf den parkenden Autos sammeln sich lauter kleine Regentropfen, so wie heute. Auf dem glänzenden Lack der Autos werden sie immer schwerer, bis sie einfach abperlen. David liebt diesen Vorgang, er kann sich an den Regentropfen nicht sattsehen.“

Eigentlich ist David wie alle anderen Kinder in der Klasse: Jeanshose, Turnschuhe, Frisur. Wer allerdings länger mit ihm in Kontakt steht bemerkt die Unterschiede: Das Rascheln des Papiers ist interessanter als jedes Schiff, das man daraus basteln könnte. Statt in die Pause zu rennen ergötzt er sich am Klang der Glocke.

„Was hat er?“, fragen seine KlassenkollegInnen bald seine Schwester Jana, „eine andere Wahrnehmung“, wiederholt diese die Worte der Mutter. Doch was ist das: Wahrnehmung? Und was ist bei David so anders?
Er ist „zurückgezogen in die innere Gedankenwelt“, wie das Krankheitsbild in frühen Phasen der Forschung beschrieben wurde. Frau Rot, die Lehrerin, versucht es anders zu erklären, die Methode: ein gemeinsam einstudiertes Theaterstück. Zwei Welten prallen aufeinander und bilden so das Weltbild ihrer Schüler.

Zwei Ebenen treffen auch im Buch aufeinander: Neben der Erzählung in großen Lettern von Birgit Birnbacher fallen insbesondere die Collagen von Karoline Neubauer auf. Aus verschiedensten Papiersorten, unterschiedlichen Mustern und groben Schnitten entstehen Bilder, die diese „andere“ Wahrnehmung widerspiegeln. Mindestens ebenso stark wie im Text entstehen aus den unterschiedlichen Kindern Charaktere, die mit Ausdruck und Gestik punkten.

Es ist ein Buch über Stolz, Scham und Eifersucht – und über ein Zweiergespann zwischen Wasser und Licht. Es ist aber insbesondere auch ein Buch der Fragen. Fragen, die sich die Umwelt stellt, Fragen, die sich Jana stellt und Fragen, die sich David stellt. Und Fragen, die man sich viel zu selten stellt, etwa: „Wie fühlst du dich?“

 
Birgit Birnbacher: Mal lichterloh, mal wasserblau |  mit Bildern von Karoline Neubauer | Edition Tandem 2013 | 40 S. | gebunden: € 14,80
Ein Kinderbuch ab 4 Jahren (insbesondere auch für  Kinder und Nicht-Kinder über 4 Jahren)
 
Diese Rezension von Josef Kirchner findet sich auch in mosaik8.