freiVERS | Hanna Göbel

Ein Witz

Es ist ein Witz – una broma.
Nur ein Witz.
Ein dummer Witz, aber eben nur
ein Witz.

Ich sitze am Tisch, unter meinen Handflächen klebt
die Wachstischdecke.
Mir gegenüber sitzt –
er – ich werde seinen Namen vergessen.
Sein süßlich-herbes Aftershave bleibt in meiner Erinnerung
kleben
wie Harz.

Wir reden über seine Zeit in Kolumbien
und wir reden über mich.
Ich komme aus Deutschland und er
war einmal im Schwarzwald –
la Selva Negra.
Wenn ich wieder in Deutschland bin, weiß ich,
wo ich schlafen kann, scherzt er
und lacht.
Mein Gastvater lacht mit.

Ich wende den Blick ab,
ziehe meine Mundwinkel hoch.
Etwas in mir
zwickt.

Somos seis chicas, entgegne ich.
Ich glaube nicht, dass dir das gefällt.

Viele Jahre später
werde ich die
internalisierte Misogynie
in meinen Worten erkennen.
Doch jetzt
ist es nur ein Versuch,
aus der Ecke zu kommen, weil ich
gegen ihre männliche Präsenz
nicht ankomme,
obwohl sie in der Unterzahl sind.

Und wenn wir zu zehnt wären,
dann blieben wir
Frauen –
chicas –
und zwei Männer.

Er lacht schallend,
sein Lachen hallt
von den Wänden des kleinen Esszimmers wider,
dringt in meinen Körper ein,
erschüttert mich.
Das stört mich nicht, lacht er und grinst
dreckig.
Er lacht und mein Gastvater
lacht mit.
Seis chicas, das stört sie nicht.

Es ist ein Witz – una broma.
Nur ein Witz.
Ein dummer Witz, aber eben nur
ein Witz.
Macht euch mal locker.
Versteht ihr etwa keinen Spaß?

Meine Gastmutter schweigt
unter zusammengezogenen Augenbrauen
weicht sie meinem Blick aus.
Ich schrumpfe,
mein Körper sinkt
in sich zusammen.
Ich verurteile sie
für ihr Schweigen,
dass sie zulässt, wie er
über mich,
über meine Familie,
über Frauen
spricht.

Später erkenne ich, dass sie
ebenso wie ich
Opfer des Patriarchats ist.

Ich spreche nie
darüber; ich
schweige.

Es ist ein Witz – una broma.
Nur ein Witz.
Ein dummer Witz, aber eben nur
ein Witz,
den ich vielleicht einfach nicht
verstanden habe.
Unerfahrenes, unsicheres, fünfzehnjähriges
Ich.

Ein Witz, der mich
auszieht, meine Mutter
auszieht, meine minderjährigen Schwestern
auszieht;
Die jüngste erst zwei,
aber Alter zählt nicht,
denn wir sind
Frauen.

 

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Hanna Göbel

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