Rahmet oder Wie Gleichmut geht

wenn du entschließt zu sterben
vergiss nicht den Herd auszumachen
und den Kühlschrank und das Bügeleisen
und den Fernseher aus der Steckdose
und schalte alle Lichter aus
oder noch besser
nimm die gesamten Sicherungen raus
schraub alle Glühbirnen raus
(die im Kinderzimmer
hast du ja lange schon herausgeschraubt)
zahle die Rechnungen
zahle die Kreditrate
zahle alle Schulden
versöhne dich mit Feinden
vergib ihnen, falls nötig
geh zum Grab deiner Mutter
geh zum Grab deines Vaters
geh zu allen Gräbern
zu denen du gehen solltest
küss dein Kind
küss auch das andere
küss deine Enkelinnen
streiche die Wohnung
fege vor der Tür
putz dein Badezimmer
wasch das Geschirr
putz deine Zähne
ziehe saubere Unterhosen an
ziehe ein sauberes Unterhemd an
damit die im Leichenschauhaus nicht lachen
bring den Müll raus
(denn, nur weil du entschlossen hast zu sterben,
bedeutet das ja nicht, dass morgen nicht Diensttag ist)
guck dir die Elbe an
geh runter und berühre sie
schau dir die Lichter in ihr an
zähle sie
guck nach oben
du siehst Sterne
zähle sie nicht
einatmen
ausatmen
schließe deinen Mund
hörst du in dir
etwas klopft
Hufen von Pferden
etwas schwellt und quietscht
Kinderschritte im Schnee
etwas brummt
der Regen als du geliebt hast
atme ein
atme aus
sie Rufen dich
du kennst seinen Namen
atme ein
fühlst du sie?

 

Ernad Osmic

 

freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>