Multiple Gedächtnisabfolgen

Jetzt wollen wir es nochmal wissen. Ausgelutsche Worte neu ordnen, uns nicht selbst zum Verhängnis werden. Sprache ohne Gesprochenem, Erläuterungen aus den Mündern, alle Jahre wieder. Höchste Zeit, die keinem gehört. Verkalkter Filterkaffeegeruch schreit herein von der Kücheninsel. Wir trinken das Gesöff bekanntlich nicht wegen dem Geschmack, der Lifestyle muss es sein. Frisch gebleichte Zähne glitzern Richtung future. Gleichzeitig braune, ausgekühlte Lacken im Porzellan. Raus aus den zwei Zimmern, schnalzen mit der Zunge, frustrierend. Die gelbe Sau blendet wieder.

Müssen Vater bei jedem Gedanken um Erlaubnis fragen. Sitzt draussen mit der sechzehnten Tschick im Atem. Hatten wir alles schonmal. Täglich das selbe Schauspiel, euphorisierte Jogger zwingen sich selbst in die Unschärfe. Der Föhn flüstert uns Lügen zu, von denen wir Migräne bekommen. Komplett zugedröhnt meditieren, Mondsucht bewältigen.

Unser kleines Geheimnis, der zweiköpfige Teddy der Nachbars-tussi. Zum Monatsanfang impft sie plastische Substanzen in ihr Gesicht. Forever Young. Einsame Zweisamkeit. Zuckersüße Freuden, zum in-die-Hände-klatschen. Fast hätten wir sie vergessen. Deja-vu von Platzwunden und Bergsteigen. Dann, zurück zum Tatort. Brennend heisses Gold bringt den Durst unmittelbar um die Runden. Erschreckend lebhafte Tagträume vor dem Bildschirm, Gespräche ausschließlich über Kabel. Vier Hausblöcke weiter, mischt jemand Salz in den Kaffee. Schon wieder.

Selbstverständlich ist unsere zwanghafte Ordnung erdrückend. Abfolgenwahnsinn zum verdammten Wohlbefinden. Die weisse Kugel löst die Gelbe ab, mitten im Geschehen. Noch eine Sucht im saftigen Zukunfstshokuspokus. Freya sieht uns an, vom zweiten Zimmer aus. Geblendet, weil wir uns gegen Vorhänge sträuben. Die Blechwellen glitzern vom anderen Ufer herein. Wir fragen sie, was los sei. Das Übliche. Der Pfirsichsaft am Fenster fängt langsam zu gären an. Genau so wie wir. Ungewissheit sprudelt von Glasboden Richtung Freiheit und macht die Luft ein Jahr älter. Jetzt wollen wir es nochmal wissen, fällt uns wieder ein. Kurzer Ansturm von Selbstmotivation weil Beobachtung aus nächster Nähe. So wirken als würden wir.

Die am Himmel sind immer die Krähen, die in der Hauswand immer Ungeziefer. Stufenweise Weberknechte gekleidet im kühlen Orange der Morgendämmerung. Freya liebt Nebel, nur bei Vollmond. Seltene Angelegenheit. Für andere Phänomene ist sie nicht zu begeistern, wofür auch.

Der siebzehnte Sonntag zieht vorüber, erzählt uns Geschichten von damals, Vorfreude für die Zukunft. Die Steuer erklärt sich im Nebenzimmer selbst. Grünes Licht zittert von der Südseite und trägt uns weiter in Entfernung. Freya schlägt uns vor, eine Kunstpause zu machen. Mit Druck hält sowieso alles besser.

Kürzlich kam das Atmen einer Absurdität gleich. Die Luftaneignung stellt eine minütliche Gewohnheit dar, die, wäre dies nicht die Machenschaft eines Automates, eine sehr tödliche Angelegenheit sein könnte. Solche Gedanken verirren sich meist zwischen „nichtexistent“ und „arbiträr“.

Entlang der Allee am immer gleichen Schlagloch halten, zur Kontrolle. Verfolgung von verlorenen Wörtern, die keiner besitzen möchte. Aus dem letzten Winkel der Sammlung, unvergesslich. Freya verheddert ihre feuchtwarmen Finger mit unseren ausgekühlten. Schwindelerregende Führung unter Einfluss des Nachthimmels.

Später bei einer Tasse Tee Sudoku.

Zahlen zählen ist angenehmer als Buchstaben sammeln und ordnen. Kurzfilme von eckigen K und schwangeren B lassen uns nicht träumen. Statische X wechseln sich mit eleganten G im visuellen Geschehen hinter den Augen ab. Teilweise so tief, dass es uns vom Orgasmus abhält. Sieben Uhr siebenundzwanzig ist die meist gesehene Zeit unseres Weckers. Ohne Beweis ist das ganz klar die Wahrheit.

Die Motten begrüßen uns ausnahmslos, Freya mahlt Bohnen. Quietschend. Aufguss und Wirkung genießen, dem hypnotisierenden Wasser danken. Hals drehen, das beruhigende Geräusch von Nacht verschenken.

Wir packen den Rucksack voll mit Mysterien und gehen auf Suche. Sanftes Moos klettert Wände hinauf zum blauen Licht. Vater schnürt die Tür hinter dem Nacken zu, schnipst vier Mal die Finger. Feuer in der Stimme. Freya fliegt vorbei, wie sonst immer. Steppmusik der Stiefel am Asphalt. Aufgeräumte Wesen schreiten vorüber und sparen sich viel Mühe. Bald müssen wir uns gehen lassen, seither viel passiert. Aus „wir” soll „ich“ werden. Das sich-nicht-hinein-steigern und in-den-kalten-Brunnen-setzten, hängt uns tief aus der Kehle.

Offenes Knacken aus halbtoten Pflanzenresten, zur Feier des Zyklus. Kalender drehen sich zu unseren Gunsten. Die Gewohnheit will uns verlassen, zum Glück können wir noch schreiben. Verschlossene Lebensträume isolieren sich für die Ewigkeit, tragen Tinkturen zusammen und mischen die Sehnsucht der Unmöglichkeiten. Langsam schwinden unsere Stimmen, die keiner hören kann. Zwei von fünf verabschieden sich mit maßlos überreiztem Lächeln. Sie wartet schon auf uns. Freya, ich nenne sie so, aber nicht weil sie so heisst. Alles stimmt und darauf gibt es keine Antwort. Singend lädt sie uns ein, Ölfarben zu mischen. Wassergelb, Ultramaringrün und Sonnenbraun, in dieser Reihenfolge. Jetzt müssen wir in vielen Sprachen laut lachen. Das Verlangen kommt auf, nach Niederschrift. Wir sprechen uns selbst zu, mit Zuversicht lallend, tanzend. Keine Zeit mehr, irgendwer zu sein. Uns einigen und ineinander stülpen. Take yourself away.

Wenn wir träumen, glühen wir vor Wärme, sagt Freya. Die Herrschaft mit anderen zu teilen fällt uns nicht leicht, trotzdem muss es passieren. Der Mond leuchtet, es riecht nach Holz und Maroni. Das Zepter ist abgegeben, dann Entspannung. Die Pflicht für Momente vergessen, fliehen von uns selbst. Wir sehen uns zu, wie im tragischen Film, es ist 10 Uhr abends. Durch das Fenster tauschen sich Luftgespräche aus. Wasser heult einladend in das Bett, rauscht weiter, ohne sich jemals zu beschweren. Die kleinen Antikörper bringen uns um den Verstand, sie wissen wenig und löschen lang. Zusammenkunft für wen auch immer. Leer durch chemische Reaktionen. Wir schlafen immer sachter und bekämpfen keinen Hirnkrieg mehr. Haben eine weitere Stimme verloren, die letzte scheitert immer schöner. Plastikmusik fühlt sich durch die Sphären der Gehirnbreimasse. Honig tropft aus dem Wasserhahn, ein Glas voll Süße. Wieder ein absurder Morgen. Wieder keine Stimmen. Wieder Stille.

Ich, als einziger Protagonist wurde zum König meiner eigenen Gedanken gekürt.

Freya nennt mich nun das letzte Individuum, weil ich so heiße. Aus Gewohnheit höre ich auf die Stimmen, die mich alleine lassen. Schlimmes Schweigen der Welt lässt mich überirdisch in Vergessenheit schweben. Explodierende Ideen und Freiheiten, Bäume pflanzen. Lichter sind laut, Gefühle wirbeln durch mikroskopische Partikel in den Sehnerv. Es stört keinen, dass ich einfach so am Asphalt liege und höre, wie die Sonnenstrahlen schreien.

Freya beobachtet mich auf Teufel komm raus, weil ich jetzt geheilt bin. Ausgesprochen einsam bin ich. Alle sagen das ist richtig so. Rauche mit Vater Zigaretten. 
Genieß-es-so-lange-du-noch-kannst-Gespräche über Jugend und Pflichtversprechen mit sich selbst. Unangenehm, alles alleine zu vollziehen. Fast sagt er sowas wie „intensive Gedanken führen zu instinktivem Verhalten“. Kaffee über Bord schütten und Kopfüber am brennheissen Holz hängen.

Tabus auswendig lernen, Deja-vus ignorieren. Zufällig Vollmond, total verliebter Gedanke. Fenster und Türen schließen sich von selbst und Wasser kocht über. Salz ist voller Weisheiten.  Leise flattern Schmetterlinge unter meinem selbst gestrickten Pollunder. Quetsche sie bis zum Künstlertod.

Ich bin Nachbar der Krankheit des Geistes. Was sie so macht, hab ich niemals gefragt. Nebenwelt im Nebenhaus. Zukunftsverschiebungstatsache.

Mir fällt auf, dass ich nicht weniger hab, obwohl ich alleine bin. Gleichzeitiges Freya-Vater-Lächeln. Ich mach mit, weil ich muss. Langsamer atmen, damit ich schlafen kann, ohne Fokus. Tauchgang im Verarbeitungsmodus. Fließendes Wasser, wo ich täglich vorbeischreite. Kann mich erinnern, an nichts und sterbe wegen allem. Freya meint nur gut, dass ich schreiben kann.

Urlaub in fremden Träumen.

Statisch geordnete Töne bewusst aneinandergereiht. Ich will tanzen, abstraktes Grinsen aus allen Richtungen. Russisch fliegt sanft durch die Luft. Der Gedanke noch warm. Treffe ein südliches Kunstwerk im schwarzen Rollkragenpullover. Stell mich vor als Ich-kann-schreiben-Literaturfetischist. Wir sprechen in Reimen ohne Stil oder Kultur. Erzähle von dem „uns“ und dem finalen „ich“.

Auch ohne Verständnis, versteht er. Sieben Personen besitzt er. Das weiss keiner, sagt er.

Freya sehe ich nicht. Tatsächlich existieren mehr Personen als Menschen. Fühle das jünger werden in den Zähnen. Alles um uns wird schneller, nimmt sich in Acht und vergisst. Aus „ich“ wird wieder „wir“.

Bis heute kenne ich seinen Namen nicht. Er trägt sein Mysterium im Rucksack und lässt ihn niemals los.

Nachts treffe ich ihn im Schlaf und wir erzählen uns Geschichten aus der Hauptstadt, die erst passieren werden sollen. Ohne jemals Worte zu verwenden, wirken wir, als würden wir.

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Sophia Hauser

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