Ein Tag im September

Als ich heute morgen aus dem Haus trat und das Gartentor aufsperrte, fiel mir noch nichts Außergewöhnliches auf.
Erst als ich mich umdrehte um meinen Weg in die Stadt anzutreten, sah ich, dass der gesamte Weg von Fischen übersät war.

Es waren hauptsächlich Forellen und Brassen, mit weit aufgerissenen Mündern und stumpfen Augen. Auffällig waren blutige Striemen, die sich quer durch ihre Kopfpartie zogen.
Kurz bildete ich mir ein aus dem linken Augenwinkel noch ein Zucken, ein Zappeln eines Fischschwanzes wahrgenommen zu haben, ein letztes Aufbäumen noch vorhandener Lebenskraft.

Sonst war alles still.

Bei meinem Weg in die Stadt sah ich kaum Menschen. Eine ältere Frau kehrte die Straßen vor ihrer Haustür. Ihr gesamter Vorgarten war voller Hechte. Als sie mich sah, kehrte sie sich rasch um und schloss die Türe hinter sich.

Je weiter ich ging, desto mehr schien es mir, als wäre ich der einzige Mensch auf Erden. Keine Straßenbahn fuhr mehr, die Geschäfte waren geschlossen. Mit Menschen kam ich nicht in Berührung, abgesehen von ein paar wenigen dunklen Schatten an den Straßenecken. Als sie mich sahen, verschwanden sie jedoch und zogen sich in die dunkleren Ecken der Stadt zurück.

Ich ging die Herrengasse entlang, als ich plötzlich in einer Seitengasse, die mit Garnelen bedeckt war, einen Mann mit oranger Warnweste stehen sah. Er trug Brille und Klemmbrett und schien sich etwas zu notieren. Als ich Anstalten machte, mich zu ihm hinzubewegen, fuchtelte er wild mit den Armen und wies mich an, stehenzubleiben.

“Was machen Sie denn da?” schaffte ich es zu fragen, während er wild damit beschäftigt schien einen Bereich mit Klebeband abzusperren. Meine Worte trugen einen eigenartigen Nachhall. Dennoch war ich im selben Moment als die Worte meinen Körper verließen, unsicher ob ich die Frage überhaupt gestellt hatte. Er sah zunächst unsicher aus, ob ich eine Antwort wert wäre, dann schien er sich zu fassen und setzte eine gewichtige Miene auf. Er sei vom Ministerium, teilte er mir mit, und seine Aufgabe sei es, die vorhandenen Fische zu klassifizieren und in nach Größe zu ordnen. Generell beschränkte sich das Fischvorkommen auf die Familie der Lippfische, die Garnelen in der Gasse seien jedoch ein neuer Fund. Dies bedeutete wahrscheinlich, dass ihm eine nähere Verwandtschaft zwischen Garnelen und Lippfischen entgangen sei, viel konkreter und drängender war jedoch die Frage, ob er die Garnelen in der Größenaufstellung und dem Säulendiagramm berücksichtigen sollte, oder nicht. Gliederfüßer zählten schließlich, strenggenommen, nicht einmal zu den Wirbeltieren, die zu klassifizieren er den Auftrag hatte. Als ich ihn von den Brassen in meiner Wohngegend in Kenntnis setzte, die seiner Lippfisch-basierten Theorie grundlegend widersprachen, winkte er mich ungeduldig fort, als hätte ich ihn bei etwas Wichtigem gestört.

Der Rückweg erwies sich als anspruchsvoller als gedacht. Die Fische hatten alles, was sie jemals an Anmut an sich gehabt hatten, verloren. Stattdessen hatten sie begonnen einen starken Verwesungsgeruch von sich zu geben. Sich einen Weg durch die Fische zu bahnen, war ebenfalls schwieriger geworden. Einige waren, wahrscheinlich durch meine eigenen Fußtritte, schwer beschädigt worden und präsentierten ihre offenen, aufgeplatzten Wunden der steigenden Mittagssonne.

Ich wollte nicht warten, bis die Fliegen kamen, und legte die Strecke nach Hause so schnell wie möglich zurück. Als ich mich jedoch noch einmal umdrehte und die Stadt mit ihren tausenden und abertausenden Fischen dampfend vor mir liegen sah, musste ich zugeben, dass ich nie Schöneres gesehen hatte.