Das Geständnis

Seit die Dienstvorschriften geändert wurden, dürfen wir die Hauptverdächtigen nicht mehr aufs Revier holen, um ihnen durch Schläge und Anbrüllen das Geständnis zu entringen. Unser Dienstherr ist neuerdings der Ansicht, dass es schädlich sei, die Verdächtigen zu beeinflussen. Der Wahrheit – so drückte er sich aus – müsse Gelegenheit verschafft werden, ganz von selbst durch den Mund des Delinquenten ans Licht zu kommen. Meine Arbeit beschränkt sich jetzt darauf, bloß dazusitzen, abzuwarten und im entscheidenden Moment alles zu notieren. Inzwischen bin ich täglich in der ganzen Stadt zu Hausbesuchen unterwegs, wobei mich das Unterwegssein an sich nicht stört, vor allem, wenn ich an die trübsinnigen Stunden im Büro denke. Dennoch steige ich nur widerwillig in den Dienstwagen. Ich erfahre erst jetzt wieder bei meinem neuesten Fall, wie nutzlos meine Arbeit doch geworden ist: Drei Stunden lang saß ich dem Delinquenten mit dem Notizblock in der Hand auf dem Sofa gegenüber und alles, was er von sich gab, waren schwache Seufzer, ein dumpfes Schluchzen und ein gelegentliches Hochziehen der Nase.  Dann hatte er auch noch begonnen, sich mit dieser Orange zu beschäftigen. Wohl eine halbe Stunde lang musste ich mitansehen, wie er sinnlos und selbstvergessen daran herumschabte, ohne auch nur die Schale vom Fleisch zu lösen. Peinlich war es, zu beobachten, wie er sich dabei mit dem Handrücken immer wieder über den offenen Mund fuhr, um den Speichel abzuwischen. Es geschah wohl aus einem kurzen Moment der Schwäche heraus, dass ich mich plötzlich über den Couchtisch beugte und ihm den Dienstausweis drohend vors Gesicht hielt. Es fehlte nicht viel, und ich hätte ihn auch noch beim Kragen gepackt, aber dann dachte ich wieder daran, dass ich mir ja vorgenommen hatte, mich unbedingt und so streng wie nur eben möglich an die neuen Vorschriften zu halten, um so dem Dienstherrn endlich ihren Unsinn zu offenzulegen. Ich ging ans Fenster und streckte den Kopf hinaus in die Dämmerung. Von der Stadt her drang ein dumpfes Trommeln und Wummern durch die Luft. Unten auf dem Gehsteig sah ich einen Mann in Tarnkleidung gehen. Er hatte sich das Gesicht schwarz angemalt und stach mit einem langen Messer auf die Mülltonnen am Straßenrand ein. Potthoff, mein Assistent, drängte sich zu mir ans Fenster und flüsterte mir irgendetwas Unverständliches zu. Zu allem Übel hatten sie mir den nervösen Potthoff an die Seite gestellt. Ich hatte gleich gewusst, dass es ihm niemals möglich wäre, sich auch nur zum Schein an die Vorschriften zu halten, daher hatte ich ihn angewiesen, während des Verhörs bei der Wohnungstür zu warten und meinen Mantel bereitzuhalten. Ausgerechnet in diesem  Augenblick musste er die Nerven verlieren. Er wollte gar nicht mehr aufhören, an meinem Ärmel zu zupfen, und als ich ihn beiseite stieß, wagte er es auch noch, sich zu widersetzen. Um ihn nur irgendwie abzulenken, machte ich ihn auf den Mann unten auf der Straße aufmerksam, der womöglich ein Mörder war, aber Potthoff fasste es ganz falsch auf, dass ich mit dem Finger hinaus auf die Straße deutete, und dann geschah es, dass der dumme Potthoff einfach aus dem Fenster sprang. Hoffentlich ist ihm nichts passiert.

Robin Krick

freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>