A und B und C, oder Möchten Sie an Ihrer Destination ein Hotel buchen?

Wissen Sie, verehrte Lesende, mit der Reibung ist das so eine Sache. Es kann durch Reibung zum einen ganz warm werden – heiß direkt. So heiß etwa, dass beim Eislaufen das Eis unter den Kufen schmilzt und dadurch die derartige Fortbewegung überhaupt erst ermöglicht wird. Wird’s aber zu heiß oder passiert die Reibung an unangebrachten Stellen, kann es zu garstigen Verbrennungen führen: man reibt sich auf oder gar wund. Zum Auf- bzw. Wundreiben braucht es im Übrigen nicht zwangsläufig zweierlei. Das funktioniert allein mitunter ebenso gut. Diese diversen Reibeverhältnisse werden in freier Wildbahn des Öfteren eindrücklich demonstriert und beobachtbar gemacht – wie etwa im Folgenden bei A und B und C. Sämtliche möglichen Formen der Reibung – alleine, aneinander, heiß, kalt, wund, warm, um nur einige zu nennen – wurden und werden derart lehrbuchartig praktiziert, dass A und B und C und deren jeweiliger Reibung eigentlich ein Platz in denselben gebühren würde – gäbe es solche Lehrbücher denn. Denn mit der Reibung ist das so eine Sache. Sie entsteht nun mal nicht nach Lehrbuch, sie entsteht dazwischen.

Also, es ist so: Ich reise berufsbedingt überdurchschnittlich viel. Jede Woche eine andere Stadt, ein anderer Gig. Jede Woche eine andere Destination. Dafür buche ich der Gewohnheit halber One-Way-Flüge. Einen von A nach B, einen von B nach A, einen von A nach C, einen von C nach A, und so weiter, nur in den seltensten Fällen von B nach C oder dergleichen. Und am Ende jeder dieser Buchungen werde ich von der Buchungsplattform gefragt: Möchten Sie an Ihrer Destination ein Hotel buchen? Auch bei den Buchungen nach A werde ich von der Buchungsplattform gefragt: Möchten Sie an Ihrer Destination ein Hotel buchen? Dabei ist A so oft Ausgangspunkt und Rückkehrort meiner Flugstrecken, man möchte meinen, die Algorithmen hätten bereits eins und eins zusammengezählt und konkludiert, dass A wohl mein Wohnort sein muss. Aber ich werde am Ende jeder einzelnen dieser Buchungen von der Buchungsplattform gefragt: Möchten Sie an Ihrer Destination ein Hotel buchen? Wofür?

Ich finde, wir sollten wieder einmal Sex haben. Wir könnten uns wieder einmal treffen und uns betrinken, dann läuft es ohnehin darauf hinaus. Wir würden einen Wein trinken, oder mehrere, bei dir im Wohnzimmer oder in einer Bar – ganz egal, es würde dann damit enden, dass wir uns angreifen und uns gegenseitig ausziehen – dafür reicht die Leidenschaft, fürs sich gegenseitig Ausziehen – und dann würden wir wieder einmal Sex haben. Betrunken. So lange, bis wir nicht mehr betrunken sind. Dann ein bisschen Dösen und Reden und Dösen und Reden und nochmal Angreifen und dann würde ich nicht dableiben, weil ich ja wie immer schon was vorhabe.

Es wird mir also vorgeschlagen, nur temporär hier zu wohnen, wieder abzuhauen. Es wird mir vorgeschlagen, ein temporäres Bett zu kaufen, kein eigenes zu haben. Es wird mir vorgeschlagen, mir ein Bett mit den Gästen zu teilen, die vor mir in diesem Bett geschlafen haben und nach mir in diesem Bett schlafen werden, und dazwischen die Bettwäsche nicht selbst zu waschen. Es wird mir vorgeschlagen, keine eigene Küche zu haben. Ich soll mich in der Früh, zu Mittag und/oder abends bekochen lassen. Es wird mir vorgeschlagen, bald wieder abzuhauen, denn das wird doch von einem verlangt, wenn man im Hotel schläft.

Reibung wird gelegentlich als Friktion bezeichnet und beides weist doch unabdinglich onomatopoetische Qualitäten auf. Passend, wenn man bedenkt, dass Reibung oder Friktion etwas ist, das zuweilen durchaus hörbar ist.

Die Nachbarn über deiner Wohnung haben deiner guten Freundin, die noch eine Wohnung darüber wohnt, mal gesagt, dass da wohl jemand neuerdings regelmäßig recht „ausführlich“ miteinander schlafen muss. Sie hatten laut deiner guten Freundin tatsächlich „ausführlich“ gesagt, weißt du noch? Was haben wir uns tot gelacht und dabei nickend zugeben müssen: Mit welchen Worten man unsere Male auch beschreiben wollen würde, „ausführlich“ wäre das passendste unter ihnen. Und hinter dem Gelächter hatte unser Inneres mitgenickt und zugegeben: Das ist auch schon das Einzige, das an uns „ausführlich“ ist.

Warum sollte ich mir ein Hotel in einer Stadt nehmen wollen, in die ich immer wieder zurückkehre? Also ein- bis zweiwöchentlich. Also andauernd. Als wäre das nicht Grund genug, mir eine bleibendere Bleibe zu suchen als ein Hotel. Aber was soll’s – dann wird mir eben vorgeschlagen, dort ein Hotel zu nehmen, wo ich eigentlich eh wohne. Dann wird mir eben vorgeschlagen, nicht meinen eigenen Kaffee zum Frühstück zu trinken. Nicht mein Kaffee. Ich muss mich ja nicht darauf einlassen und kann die Meldung genauso einfach übersehen, wie ich auch die anderen Meldungen übersehe: Mietauto, Zusatzgepäck, Reiseversicherung.

Ich finde, wir könnten jetzt langsam wieder einmal Sex haben. So ohne Netz und doppelten Boden. Ohne Poolnudel und Schwimmflügerl – wofür denn? Wir wären locker und ungezwungen und würden uns angreifen und ich könnte es mittlerweile sogar greifen, denn inzwischen hätten wir uns ja schon öfter angegriffen und irgendwann gewöhnt man sich. Außerdem wäre in der Zwischenzeit viel passiert. Vielleicht haben wir da ja gelernt, keinen Rettungsring zu brauchen, und ich, dass du doch keine Gewohnheit bist.

Interessant zu beobachten sind auch die Reibungsunterschiede, je nachdem in welche Richtung gerieben wird. Hinwärts verhält es sich ähnlich, wie bei einer Wasserrutsche, wobei am Ende das erfrischende Schwimmbecken wartet. Dazwischen ist vor allem in den Kurven verhältnismäßig viel Herzklopfen zu erwarten. Rückwärts: mehr so flauschige und feste Seite des Klettverschlusses.

Es ergibt eigentlich von der Logik her überhaupt keinen Sinn, aber ich finde die Anreisen immer anstrengender als die Rückreisen. Ich bin bei der Ankunft im Hotel in B und C und dergleichen immer fertiger, als bei der Rückkehr in meine Wohnung in A.

Nur blöd, dass die Schwimmbeckenreibung die Klettverschlussreibung überhaupt erst verursacht.

Von der Logik her müsste doch die Anreise vor lauter Vorfreude und so weiter viel weniger zermürbend sein. Vielleicht liegt’s daran, dass ich beruflich und zu viel reise.

Manchmal erzähle ich lieber, wir hätten uns auf Tinder kennen gelernt, denn die Eislaufgeschichte glaubt uns eh kein Mensch. Du rutschst aus, fällst in mich hinein, ich falle und schlage mir am Eis einen Zahn aus. What are the odds? Manchmal denke ich: Heute würdest du nicht mal mehr in Tanzschuhen auf dem Eis ausrutschen, um nicht in mich hineinzufallen.

Vielleicht liegt’s dran, dass ich im Hotel in B und C und dergleichen nicht erst herausfinden muss, wie die Dusche funktioniert, und dass [zuhause] (Anm.: nachträglich eingefügt) die Bettdecke vertraut riecht.

Das vorletzte Mal, dass wir miteinander geschlafen haben, hätte ich sogar noch ein bisschen bleiben können, aber du hattest schon was vor.

Das letzte Mal hab ich dich auf Tinder gesehen.

Vielleicht liegt’s auch daran, dass bei der Anreise gefühlt mehr schiefgeht als bei der Rückreise. Aber das kann auch Einbildung sein.

Vielleicht liegt das daran, dass du immer so selten zu mir und ich immer so oft zu dir gefahren bin. Vielleicht liegt’s auch daran, dass ich dann wieder nicht dageblieben bin, weil ich – ja, warum eigentlich?

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Katrin Rauch

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