dem verzicht

der morgen lässt die stadt, bevor er sie, muss der morgen durch die stadt, muss die konturen, bevor er den tag vorweg. der morgen dem tag, lässt sich schritt in schritt den nächsten stein. und dem stein der beton. dem beton das grau. das grau die stadt ins hirn. wo das auge hohl, die stirn zerrissen. die gleise abwechselnd und das bild jeder welt, der abwesenheit.

wo die augen in vorbeigewehtem parfum. das parfum vom dreck, der dreck das gleis, der dreck die treppen tief, der dreck die treppen hoch, das holz, das grün der bank. der dreck das warten zerfressen. das warten den kopf voll, das warten den kopf schwer, gesicht in gesicht verstummt. dem atem vorgeschoben, um es hinter sich. aus dem weg, geh mir aus dem weg, den hohlen augen zusammengesetzt mit jedem wort weiter: dass es liebe, diese nazis, diese beiden nazis, die sich da in ihrer liebe, gottgegebener liebe, von jesus gegeben, jesus christus der ihnen seine liebe, die liebe dieser finsteren nazis, diesen sex-nazis, diesen sex-menschen, die überall, überall diese sex-maschinen, in diesem sex-staat, in der sex-ddr, dass die erziehung zum sozialistischen menschen lüge, dass der mensch keine gefühle, dass der mensch bloß ficken, diese sex-menschen, diese sozialistischen sex-maschinen, die sich alle gegenseitig ficken müssen – – die stille des verhallens, des wartens, der augen die den boden. die stille des näherkommens, eine flasche zwischen den zähnen, der suff ihr ins auge, der suff ihr ins bein. ihre augen ins papier, die finger die flasche aus den zähnen, die finger das papier von der säule: drei bis vier zimmer, studentin – eine studentin vier zimmer – vier zimmer, was ist denn das für eine scheiße, eine studentin, vier zimmer – ich brauche eins, ein zimmer, ein verficktes zimmer, diese verfickten studenten, diese sex-studenten, diese sex-nazis, die finger die flasche in die zähne, die finger das papier in die gleise, die hand die flasche in den boden, in den bahnsteig gebrüllt: WAS FÜR EIN VERFICKTER DRECK DAS – IST DAS ALLES? OB DAS ALLES IST?

dem beton das dunkel, das dunkel dem hell, das hell dem morgen.

die häuser schnell, das blau darüber.

den fingern der dreck, sich wohin – sich – hinter sich – –

einem schmierigen die augen voll. den augen die fäule, das gelb seiner zähne.

einer jungen blond der ansatz schwer, blond die blässe den brüsten das kleid. ihr kleid im hell, ihre augen die leere dem fenster dahinter.

wo der schweiß die haare in die stirn, der schweiß die hose ans bein, der schweiß das hemd gefleckt, wo hände kreuzend schwielig hart.

die dächer flirrend, die stadt beendend.

die junge ihr blond zusammen.

der schmierige die augen überall.

der jungen die augen ins nichts.

dem schmierigen die spucke im hals.

der jungen die arme verschränkt.

dem schmierigen die zunge schnell.

der jungen die brüste verdeckt.

dem schmierigen die augen geheftet.

dem schmierigen dann die nächste station.

der jungen sich finger aus finger entspannend.

dem schmierigen die tür ins gesicht.

der jungen die augen zurück.

das blau des waggons still. das dunkelblau des teppichbodens, das meerblau der wände, das königsblau der sitze, das himmelblau der kopfpolster. das blau des waggons lässt das nachmittagsblau blass.

die büsche flimmernd, die vorstadt flach.

das schweigen der gesichter aus der stadt heraus.

was sich im dahinter, hüllen sich wohin – –

die sonne einen der bahnsteige in flecken. das licht die leere zerbrochen, der leere eine frau die arme weit die augen geschlossen ins licht. auge haar gesicht.

die bäume schneller, die stadt vorbei.

die sonne den schweiß in den waggon. der schweiß die finger aneinander, der schweiß die blicke schwer, der schweiß das hemd geöffnet, die gänge eng und keinem ende bei.

wo die felder weit, die stadt ins klein.

ins gefasel dem gang sich zwischen die polster gehängt:

dass man selbstverständlich alles mit allem, aber ob das dann auch so zusammengehe –

dass der sohn ein rotzlöffel, ein schnösel der die eigene mutter übervorteilt –

dass die tochter ein stück möbel sondergleichen –

dass man immer schon sonntags zum pilzesammeln nach eberswalde.

und die wiesen weiter, die stadt entfernt.

wo der atem dem blau die weite. der weite, dem weitesten feld, jeder feldweg entgegen. und die felder die wiesen die hecken die angehäuften steine als schon da. irgendeiner ruhe sich. und der wind die wiesen zum mühlenrad. der wind teilnahmslos wie die nacht, über jeden baum jeden strauch jeden stein. schiebt der wind die beine weiter. und der feuerstein lässt die hände und der feldweg die schritte.

bis den feldern die gärten, den wiesen die häuser. ihre vollen gärten grün und grün und gelb. jedem grün.

und die weite die fabrikschornsteine dem kirchturm gleich. die schornsteine stillgelegt, den kirchturm blass ins blau. wo dem kirchturm das dorf verlassen.

und dem asphalt die sonne, dem asphalt jeder riss und sie an der bushaltestelle. ihrem braun die augen noch fern, ihren armen das nichts. aus diesem moment in den nächsten, und es immer nur dieser eine, wenn der eines anderen zum eigenen und umgekehrt und dann vergangen und nicht mehr nachzuvollziehen. der kürze des moments verhangen. als ihr dann die augen weit, dass es dieser sommer und: willkommen in der provinz, dahingelacht die arme die luft, die haare den wind.

der wind ihre schritte schnell und ich im hinterher, kein blick kein wort, die wiesen der weg das dorf sich hinter uns. bis das dorf klein, lässt es noch die schornsteine und das blass des kirchturms. und erst jetzt ihren atem, schritt um schritt. und ihr arm dem wasser:

wo dem weiß der segel das blau, den segeln fest der wind, zur schau gestellt. dem wind im dicken schilf.

dem horizont das wasser, wie dem kirchturm der backstein.

und das wasser matt, die stadt gelöst.

und ihr der blick abhanden: dass der wind ein fisch in aufgelhobenen linien, in wasserfarbenen konturen, in ungeahnten umrissen. dass nur der wind ohne gesicht.

und der wind die pappeln ins flimmern. der wind die pappeln höher. und ihr summen dem rauschen: dass man ein lied ein bild den silberpappeln im wind. das bewegen der pappeln, und der wind ihre arme ihr haar dazu. wo die ruhe ihrer augen. wo der weg im sand vom wasser weg und die pappeln hinter sich.wo der weg vom feldweg zum waldweg. die fichten dürr und in reihe gestellt. die fichten tief, die stadt entblößt.

aber ihr die stimme dumpf: dass alles feld, jeder baum, alles einer berechtigung – –

und die finger den waldboden tief.

und die finger einen zapfen.

und die nase den harz.

und sie sich herunter, die augen im gegenüber, die augen nah und die härchen ihrer arme. und in ihrem näher, auszuweichen dem erstaunen dann vibrieren lässt auch mich das braun ihrer augen haare zu einem punkt ihrer stirn der das wasser den wind das haar in sich und mich und eine träne dann der haut wie einer verbindung bei. von minuten und stunden und tagen. vom morgen zum abend. angehalten. bis ihr langsames zurück ihren augen das lächeln ihren armen die härchen sich, unterschieden, wie von einem neuen an – –

und der wald den bäumen die wurzeln blank. wo ihr die füße nackt, die augen. ihren händen die wiesen der wald. hände arm verzicht. und der wald sich aus seiner verlassenheit, dem weit eines weihers. dem weiher die sonne, dem weiher der morast. der morast die füße, das wasser die brust, die sonne die köpfe, die hände das wasser flach. wo jemand am ufer, dem geschrei der vögel und wir den geräuschen kommend gehend jedes einzelne – wie es durch die sonne den weiher die fichten. dem wasser unberührt. dem wasser nur die haut, auge dem auge, dem atem die nähe. dem atem vertraut. die nähe haut in haut, dem atem schnell, dem zittern der haut, jedem geruch. aber der haut schon der abend, der haut schon ein anderes und das wichtigste nicht zu erinnern.

und ihren augen dann: die weite dem verzicht, in jeder einzelheit, dem aufgelösten tag. und sich nichts verstellt. der sicherheit hierher und ihre augen dann entfernt – sich wer wohin gehüllt – lässt mich der stadt zurück – –

und ihre stimme dann schon dünn, dass der sommer einem manchmal unendlich, aber dass er ein faden, dessen ende ganz sicher – – und ihr schatten dann von den scheunen im stein. wo den schwalben der abend. den schwalben die scheunendächer die bögen enger. und der bahnhof vernagelt, vom fahrscheinautomaten ersetzt. wo das abendgelb dem morgen recht, dem abgelaufenen tag ins bild. wo das abendgelb die häuser tief, jedes gartentor jeden zaunpfahl dem eigenen ende vor. dem beton dem stahl dem dreck. lässt das abendgelb sie noch kurz erreichbar scheinen. bis das dämmern dem tag. und das dunkel schnell, die stadt von vorn. damit die nacht in ihrer teilnahmslosigkeit darüber hinweg – – –

 

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Christoph Michels

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