Goldene Tage

Ich richte mich auf, hier entlang, stromaufwärts, hinauf, mit dem Handballen voran.

Draußen drängt die Sonne mit ihrem taubenblauen Licht. Es schwappt über die Dächer. Jagt durch die Straßen. Bombardiert die Fassaden. Sprengt das Eis von den Frontscheiben. Klettert durch das Fenster zu mir herein, während ich still dasitze und direkt hinein stiere, nicht mal blinzle. Es zerrt an meinen Zügen, wälzt sich durch die Poren und zieht darunter jede einzelne Faser straff. Ich richte jeden Finger meiner Hand einzeln auf, greife zu und ziehe, ziehe an diesem Hebel, immer wieder, in alle Richtungen, bis der Rahmen knackend nach außen schwingt.

Der Wind treibt meinen Atem hinaus in den Hof. Unten, an der Hauswand, kleben zwei Schatten. Sie flüstern und zittern und stecken die Köpfe zusammen. Ich beuge mich vor, etwas zu weit, etwas zu schnell. Kälte schlägt mir ins Gesicht, meine Gedanken, meine Entwürfe, meine Utopien geraten ins Taumeln. Sie schreien auf, rutschen ineinander, verknoten sich und kippen mit mir nach vorn, prallen von innen gegen meine Stirn und ich klopfe vorsichtig dagegen und es klopft zurück. Ich friere, doch ich dränge weiter hinaus, ich verrenke mir den Hals, denn ich richte den Blick aus.

Irgendwo da unten, da hinten, wo sich alles mit Menschen füllt und Worte abgestoßen werden wie Fremdkörper, gibt es einen Fleck. Ich bin mir sicher, es gibt ihn noch, diesen Fleck, zinnoberrot, den ich auf die Tapete gemalt habe, groß wie ein Kieselstein. An diese Wand, diese Wände, deine kahlen Wände, hinter denen es still war, hinter denen es still ist. Hinter denen dieser Fleck existiert.

Nur du, ein ganz und gar geräuschloses Wesen, konnte unbemerkt verschwinden.

Meine Gedanken raufen sich frei. Gebliebene, Wiederkehrer, Fremdgewordenes. Ich öffne den Mund. Meine Lippen sind trocken, sie reißen auseinander und ich rufe etwas in den Tag hinaus, etwas, dass ich nicht verstehe und ich blinzle, blinzle immer schneller, ich spüre, wie es mich schüttelt, wie es mich aus dem Bett reißt, mich herumwirbelt, wie die Fasern unter meiner Haut auseinanderplatzen und durch meinen Körper schnellen. Ich greife nach dem Fensterrahmen, kralle mich fest.

Draußen gurren die Tauben so laut, dass man glauben könnte, ein Gewitter rollt heran und vielleicht ist es so, dass du das auch in der Ferne noch hören kannst. Vielleicht sitzt du dort am Fenster und schweigst, während ich den Rahmen loslasse und in die Welt hinausstürze wie ein Kind, guck mal, ohne Hände, siehst du’s? Wie ich in das blaue Licht eintauche, Funken schlage und versinke?

Die Schatten schrecken auseinander.
Ich nicke ihnen zu.

Es sind diese goldenen Tage.

Larissa Böttcher

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