Schiebetür

What fresh hell can this be?
Dorothy Parker

Aus irgendeinem Grund öffnet die Schiebetür sich nicht, sondern zeigt mir nur mein Spiegelbild, blass, von der Sonne angeknallt, einzelne Haare wie weiße Leuchtfäden. Eine große Frau mit Hut wird hinter mir immer größer und schreit „Cornelia“, die Tür öffnet sich für sie, ich verschwinde vor mir, die Frau überholt mich und Cornelia überholt sie mit hüpfenden Locken und einem alt aussehenden Autorückspiegel in der Hand. Ganz kurz fängt mich der Rückspiegel ein, dann sind Mutter und Kind verschwunden, hinter irgendwelchen Regalen.

Der Mitarbeiter wirkt enttäuscht und fragt mich, ob ich das getan hätte. Wir stehen beide vor unzähligen bunten Plastikbehältern mit Flüssigwaschmitteln. Ich schüttle den Kopf und sage, dass ich gar kein Interesse an Waschmittel hätte, dass mir nur heiß gewesen sei. Jetzt rutschen dem Mitarbeiter die Schultern runter, während er laut ausatmet, dann verschränkt er die Arme und nickt. Wir starren beide auf eine leuchtend violette Packung von Persil, in deren unteres Drittel, direkt unter dem Etikett, ein sehr präzises kleines Loch gestanzt wurde. Aus dem Loch tritt gleichmäßig und langsam das Waschmittel.

Ich sage: Was sagt man dazu. Und: Alle möglichen Gedanken drängen sich auf. Aja, sagt der Mitarbeiter und es klingt halb wie eine Frage, halb wie Zustimmung. Dann sagt er sehr nüchtern: Wer könnte das gewesen sein.

Ich merke, durch unser beider Alltag bläst jetzt eine ganz frische Böe, kurz geht es sogar in meinem Bauch elektrisiert zu und ich sehe, wie witzig alles ist. Ich blicke den Ladenmitarbeiter erstmals länger an, er ist untersetzt, trägt eine Schürze, trägt Koteletten und eine runde bronzen-gerahmte Brille, und schafft es trotz alldem humorlos auszusehen. Dennoch: Die Situation, dieses Rätsel, verpasst dem Tag einen unerwarteten Farbton, eine Leichtigkeit, vielleicht weniger: Ein Lachfältchen – und ich stehe hier mit einem Schicksalsgenossen. Irgendetwas Witziges sollte mir doch zu sagen einfallen. Ich überlege und blicke auf sein Namensschild. Hans. Ich überlege weiter; irgendwas muss sich aus dieser Situation machen lassen.

Da sagt Hans: Das gibt’s nicht.
Was?
Na, sehen Sie das nicht. Eins nach dem anderen jetzt.

Ich sehe es. Viele bunte, zähe Rinnsale, sie fallen als einzelne Strahlen, bilden kleine Seen auf den Regalflächen, die eine Etage tiefer liegen, fallen dann von diesen in mehreren Fällen, manchmal nur in langsamen Tropfen; mir fällt nichts ein. Es ist zu verrückt und doch ist alles wie davor; die kleine Entrückung wird schon zur Belastung.

Cornelias Mutter hält ein Werkzeug, von dessen Griff ein schmales Metallteil weggeht in der einen, und einen eleganten Hammer in der anderen Hand; sie geht in einer tänzerisch wirkenden Schrittfolgen auf das Regal zu, schlägt mit dem Werkzeug und dem Hammer ein Loch in einen Flüssigwaschmittelbehälter und entfernt sich schließlich wieder mit derselben Tanzschrittfolge rückwärts von dem Regal.

Hans fragt mich unsinnigerweise: Sehen Sie das?
Ich will unserer Schicksalsgemeinschaft auf die Sprünge helfen, schließlich haben wir jetzt einen gemeinsamen Feind.
Ich frage: Was sollen wir tun?
Hans sagt: Wir? Ich sage: Na, Sie sehen das doch.

Irgendetwas stimmt nicht mit Hans, es wirkt, als würde er gleich etwas Unüberlegtes tun. Ich sage: Jetzt nur keine Affekthandlungen, Hans!

Er blickt mich entgeistert an und deutet unbestimmt und seltsam langsam auf die Frau. Wo ist ihre Tochter?
Ich sage zu Hans: Sie hat eine Tochter.
Was? Kennen Sie diese Frau etwa?
Wir sind gemeinsam hereingekommen.

Cornelia kauert hinter einem Regal und schaut der Tätigkeit ihrer Mutter zu. Sie macht kleine Mundbewegungen; es wirkt, als würde sie immer wieder Mama sagen oder wie eine Kaulquappe nach Luft schnappen, kein Ton kommt heraus. Das sieht schrecklich aus, abgründig, und verdirbt mir gehörig die Laune. Ich zeige auf das Mädchen und will etwas zu Hans sagen. Der steht aber inzwischen bei der Frau, Cornelias Mutter, hat eine Hand auf ihrer Schulter und begleitet unbeholfen ihre Schrittfolgen, redet dabei offensichtlich beruhigend auf sie ein. Jetzt wirkt es wirklich wie ein Tanz; es wirkt, als gehöre es so und nicht anders, als wäre es davor unvollständig gewesen.

Ich merke, die Einschätzung der Situation fällt mir zunehmend schwer, der klimatisierte Raum hilft auch nicht mehr; ich beschließe zu gehen, jetzt. Am Weg nach draußen sehe ich noch einmal den Rückspiegel; Cornelia hat ihn einfach in der Mitte des Gangs mit den Parfums und Deodorants liegen lassen. Das wäre nun eine Chance doch noch einmal in die Situation einzusteigen, in Kontakt zu treten, hilfreich zu intervenieren, somit ein Teil davon zu werden; es würde sich bestimmt gut anfühlen. Aber meine Beine tragen mich träge weiter in Richtung der Schiebetür.

Als ich davor stehe, geht das Ding nicht auf. Ich sehe kein Spiegelbild, nur das Gleißen eines Tages, der sich selbst satt zu haben scheint.

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Simon Stockinger

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