freiTEXT | Luca Kosina

Sie passt mit unter seinen Mantel

Es ist wieder Mittwoch Nachmittag, als er beschließt, dass er sie wegbringen muss. Am besten laufen sie einfach, denn er hat noch zu viel aufgestaute Energie. Sie freut sich darüber, denn sie denkt, sie gehen wieder zum Spielplatz, wo sie einen Hund sehen kann. Erst später, wenn sie am Zaun und dem vorbeigehen, was sie dem Himmel am nächsten bringt, weil sie noch nie geflogen ist, sondern nur immer höher schaukelt, dann wird ihr klar werden, dass sie heute nicht dem Himmel näher kommen wird. Vielleicht wird sie stattdessen der Hoffnung näher kommen, die kann sie jetzt mehr gebrauchen.

Vor der Haustür zieht er sich seinen großen schwarzen Mantel an - sie wurde schon angezogen, bereit für den Regen mit gelben Stiefeln und Jacke. Der Gang war leise, denn es kann nur einen störend lauten Nachbarn pro Stockwerk geben. Wenn ihre Nachbarn leise sind, müssen sie also laut sein. Draußen liegen schon die ersten Blätter auf dem Boden, das orange hatte sie gestern noch zwischen ihren Wachsmalstiften gesucht, aber stattdessen musste sie eine surreale Welt malen, wo der Boden blau ist und es aussieht, wie wenn Menschen auf dem Himmel laufen. Die realen Blätter gefallen ihr auch gut, weil sie bedeuten, dass es Pfützen auf dem Weg geben wird, in die sie springen kann, wenn er gerade nicht hinschaut.

Wir haben deine Tasche vergessen.

Welche Tasche?

Na, wie willst du dich sonst morgen anziehen?

Da sie noch nicht weiß, dass sie dorthin gehen, wo sie gerade hingehen, versteht sie nicht, warum sie jetzt schon an morgen denken muss.

Warte hier draußen, ich laufe hoch und hole sie.

Weil sie noch jung genug ist, um nicht über Verantwortung nachzudenken und darüber, dass niemand sie beschützt außer sie selbst, versteht sie, dass sie weitergehen kann. Denn da hinten blühen noch Blumen und die will sie sich anschauen. Wenn sie so alt ist, dass sie seinen schwarzen Mantel ausfüllen könnte, will sie Biologin sein, hat sie entschieden, aber in fünf Jahren wird sie hier schon nicht mehr vorbeigehen und den Blumen Beachtung schenken.

Warum willst du Biologin werden?

Sie weiß keine Antwort, sie fragt sich immer nur, warum alle immer so viele Warum-Fragen stellen, vielleicht weil ihnen sonst keine Fragen einfallen, die man einem Kind stellen kann, denn es kann ja keine angemessenen Antworten geben.

Die Blumen hier sehen so ähnlich aus wie die, die sie neulich zu ihrer Mutter gebracht hat, aber die sind noch frisch.

Warum bleibst du nicht da stehen, wo du auf mich warten solltest?

Warum fragt ihr immer so viele Warum-Fragen?

Egal, komm, wir können endlich losgehen.

Er meint, er hätte keine Zeit, ihr das Leben zu erklären, wenn sie es doch noch erleben muss, dabei merkt er nicht, dass er ihr gerade eine Lektion erteilt hat: man muss nicht zuhören, um zu kommunizieren. Und deswegen läuft er los in Richtung Spielplatz. Weil sie nicht so schnell laufen kann, versucht sie, seine Hand zu fassen, aber er ist schon zu schnell weitergelaufen und bemerkt nicht, dass er in ihr Unbehagen auslöst. Denn wenn er immer weiter läuft die Straße entlang, heißt das, sie gehen gar nicht zum Spielplatz und sie kann nicht einfach in Pfützen springen, weil sie sonst verloren gehen würde.

Gehen wir zu einem anderen Spielplatz?

Nein, dafür haben wir jetzt natürlich keine Zeit mehr. Aber vielleicht wird morgen jemand Zeit haben. Oder du spielst einfach in der Schule.

Aber da muss ich doch morgen gar nicht hin.

Ja, das ist gut, dann kann dein Mutter nicht vergessen, dich abzugeben.

Warum soll sie mich abgeben?

Je mehr sie kommunizierte mit der Welt, desto mehr verwirrte das Leben sie - denn ihre Welt war noch nur eine Person, eine mit schwarzem Mantel. Aber manchmal wurde sie eben aus ihrer Welt gerissen, zum Beispiel an diesem Tag. Sie sind schon kurz vor dem Gebäude, in dem er sie verlassen wird. Während er ungeduldig immer schneller wird und sie erschrocken erkennt, wohin sie gehen, fängt sie an, langsamer zu werden. Sie will sich auf den Boden legen. Dann würde sich alles wieder leichter anfühlen, weil oben die Wolken so leicht aussehen, wenn sie vorbeiziehen. Aber er würde es nicht verstehen und sie will nicht, dass er wütend ist in den letzten Minuten, die sie zusammen haben werden, also läuft sie weiter, aber langsamer.

Vor ihnen biegt die Straße sich nun in eine andere Richtung und es erscheint das Gebäude, das sie auch wissen lässt, was die gesamte Zeit das Ziel ihres Weges war. Er drückt auf das Klingelschild links in der Mitte, da steht auch ein Teil ihres Namens und wie immer wenn das Summen der Tür beginnt, hält er ihr die Tür auf und sie muss in das Gebäude, weil sie sonst nirgendwo alleine sein kann.

Du weißt jetzt, wo du hin musst. Ich will nicht mitkommen. Irgendwann hole ich dich wieder ab. Wie immer.

Kannst du dieses mal schneller wieder kommen als wie immer?

Er nickt nur, was sie als Antwort akzeptieren muss, denn schon ist die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen und sie muss die Treppe nach oben laufen, wo im 2. Stock ihre Mutter im Türrahmen steht und wartet.

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Luca Kosina

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