freiVERS | Thomas Wagner

Prominenz in der Pampa

Ein unfreundlicher Tag
Auf dem Rückweg vom Kaufland werde ich von der Seite angesprochen
Eine erste Begegnung aber Ich erkenne ihn sofort
Ein waschechter Refugee
So viel habe ich schon darüber gehört und gelesen
Über nichts wird so viel berichte
Nichts erhitzt so sehr die Gemüter
Weltgeschichte vor meinen Augen

Er hält mir ein Schreiben hin
Mit Stadtwappen, Aktenzeichen und Rechtsbehelfsbelehrung
Deutschland zeigt ihm gleich seine schönste Seite
Er soll sich bei der Caritas melden
Das heißt wir haben ein Stück denselben Weg
Englisch spricht er nicht also gehen wir schweigend
Ich in meinem zehn Jahre alten Adidas Anorak
Per Definition also in Markenklamotten
Er in irgendwas Abgerissenen
Wahrscheinlich etwas Gespendetes oder aus dem Container
Die Hosenbeine zu kurz
Die Jackenärmel zu lang
Viel ist nicht dran an dem Kerl
Hängende Schultern
Müder Gang
Der Auftritt passt so gar nicht zu dem
Was sie ihm alles nachsagen
Wofür er alles verantwortlich sein soll
Die Spaltung der Gesellschaft
Die Spaltung Europas
Sogar die vormals heißgeliebte Bundesmutti bringt er ins trudeln

Wir kommen vorbei an der Ecke
Dort wo die Brombeerhecke
Letzten Sommer runtergebrannt ist
Der Wind Fetzen von blauen Plastesäcken
Gegen einen Zaun drückt
Pestschwarze Erde
Auf der es nur noch Abschaum, Tod und Müll aushält
Willkommen in meiner Welt
Was denkt er wohl wenn er das sieht?
Vertrau nie wieder den Verlockungen eines Gauners am Mittelmeer?
Denn auch wenn die Flugzeuge über unseren Himmel
Die unterlegene Welt
Nicht mit Bomben
Sondern nur mit Amazonpäckchen und blasierten Geschäftsleuten traktiert
Hat er im Großen und Ganzen
Nur die Station in diesem Irrenhaus gewechselt
Wo die Einen ihn mit Plüschtieren bedrängen
Und die Anderen gleich die Zähne zeigen
Als ob er nur wegen ihnen gekommen wäre

Wir sind schon ein erschütterndes Duo
Ich nicht der typisch deutsche Prinzipienreiter mit ständig zusammengekniffenen Arschbacken
Und er mit Sicherheit nicht der arabische Machohengst mit Anschlagsplänen
Die Stars sind eben in echt anders als man denkt
Die Wolkendecke reißt auf
Und die verfluchten Götter schauen auf uns herab
Lachen höhnisch über ihren Schabernack den sie mit uns Menschen treiben
Sie hören die Brandenburgischen Konzerte von Bach
Nuckeln an Weintrauben
Und fühlen sich köstlich unterhalten

Instrumentalisiert von jeder Seite
Steckt mein Begleiter einfach nur in dem gleichen Dilemma wie jeder Artgenosse
Auch er wurde einmal von einem Mann gezeugt
Und von einer Frau zur Welt gebracht
Die ihn nicht gefragt haben
Ob er das überhaupt will
Und nun sind sie tot
Oder haben ihn vergessen
Die Folgen darf er selbst ausbaden
Lasst ihn in Ruhe
Er ist nicht der Feind
Aber vielleicht wird er mal Verbündeter

Zum Abschied tippe ich mit zwei Fingern an meine nicht vorhandene Hutkrempe
Er nickt lethargisch
Ich schau ihm noch kurz nach
Dem gebeugten Spielball des Schicksals in Menschenform
Take care Du Superstar

 

Thomas Wagner

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