ZZZ 8/12 | Silke Vogt

Silke Vogt wurde 1966 in Hannover geboren, studierte bis 1992 in Bonn Geographie, Volkswirtschaft und Städtebau. Mitte und Ende der 90er Jahre war sie für insg. drei Jahre in Japan. Seit 1999 wohnt sie im Westerwald, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Dissertation wurde 2001 beim Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ) publiziert. Zur Zeit ist sie “schreibende Hausfrau” und hat erste Lyrik- und Kurzprosabeiträge in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht.

Silke ist Teil von Zweifel zwischen Zwieback, der Kurzprosa-Anthologie zur 20. Ausgabe des mosaik. Ihr Text "Unzweifelhafte Zwieback-Geschichten" ist einer von 12, die anonym ausgewählt wurden, sich in diesem Band zusammenfinden und am 2. Dezember 2016 erschienen sind.

 

Unzweifelhafte Zwiebacks-Geschichte(n)

Zweifel zwischen Zwieback - ein zweifelhaftes Thema? Nein, weltbewegend, wie einige Stippvisiten in verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte beweisen. Chronologisch aufbereitet, damit der rote Faden zweifelsfrei erkennbar ist, kein geneigter Leser vor zu viel Neigung aus dem Gleichgewicht kommt, wobei er sich auf der globalen Universalreise verzweifelt verkrümeln könnte, unterwegs aufgepickt wird wie bei Hänsel und Gretel. Hier geht es nicht um Märchen, sondern um nackte, de facto zugleich anziehende Tatsachen. Anzügliche lassen wir weg.

Das am längsten zurückliegende Ereignis verdient ebenso die Bezeichnung historisch wie hysterisch. Es widerfuhr dem Erfinder des Zwiebacks, einem antiken Griechen Namens Πυρά, gelesen Pira, was, nomen est omen (kleiner Exkurs ins Lateinische), wahlweise „Feuerstelle“ oder „Scheiterhaufen“ bedeutet. Nicht bloß Name, zugleich Berufsbezeichnung, war er doch als versierter Bäcker berühmt für seine leckeren Brote, die nach wohltemperiertem, zeitlich minutiös, nein, sekundiös dosiertem Backen eine unvergleichliche Saftigkeit aufwiesen. Kein Konkurrent konnte ihm das Mehl reichen, was manch einen zum Konkursenten degradierte. Mit der Zeit schürte das, analog zum Feuer, auch den Neid.

Eines unglückseligen Tages ließ der größte Nebenbuhler einen metaphorisch-finalen Rettungsschuss in den Ofen los: Er lenkte das Genie mit einer schier endlosen Geschichte über unglaublich günstige Kornbezugsquellen derart geschickt ab, dass der Superbäcker, ganz Feuer und Flamme, alle Brote in der Hitze des Gefechts, in diesem Falle Ofens, vergaß. Tatsächlich schaute er erst wieder nach ihnen, als sie das Doppelte der üblichen Zeit darin geschmort hatten, eingegangen in die Geschichte als „Doppler-Effekt“. Rein mathematisch betrachtet, worin die alten Griechen schon seit Adam riesig sind, war der Teig quasi zweimal gebacken worden. So blieb ihm nur, knochentrockene, hellbraune, fast steinharte Gebilde aus der Glut hervorzuholen, und das, obwohl er sonst nichts anbrennen ließ. Die Dauer der Backzeit dauerte ihn zutiefst, mit höchst fatalen Folgen.

Unser Grieche war nicht nur antik, zugleich auch äußerst antiquiert, weshalb er Neuerungen jeglicher Art zweifelnd, dem von ihm zwangserfundenen Zwieback sogar verzweifelnd gegenüberstand. Für ihn als Mann von Ehre, die damals noch viel zählte (eins, zwei, drei, viele), bot sich nur ein vertretbarer Ausweg an: er musste aus dem Weg, weg. Minimal zwiespältig biss der Zwiebäcker todesmutig in eines der misslungenen Etwasse hinein, brach dabei einen unter Kollateralschaden zu verbuchenden Schneidezahn ab und spülte das Zwieback-Zahn-Blutgemisch, für uns heute schier unglaublich, mit einem Schierlingsbecher hinunter.

[...]

Auszug aus Zweifel zwischen Zwieback


mosaik20 - Zweifel zwischen Zwieback

Zweifel zwischen Zwieback

Intro

Das soll ein Thema sein? Was soll man denn da schreiben? Wem ist denn das eingefallen?

Nein, leicht haben wir es unseren Autor*innen nicht gemacht. Und wir haben selber auch gezweifelt, ob zur zwanzigsten Ausgabe des mosaik der Zwieback ein geeignetes Thema ist, haben uns zwischen Zwetschgen und Zwiebeln (und ganz klar gegen „Zwanz-ich“ oder „2.0“) entscheiden müssen. Aber eine Buchausschreibung braucht ein Thema – und so bewegen wir uns mit ZZZ nach „X“ zur zehnten Ausgabe 2014 nicht nur im Alphabet voran.

Viel ist passiert seit der letzten vergleichbaren Ausschreibung. Auch diesmal wurden die Texte für diese Zusammenstellung aus den zahlreichen Einsendungen, die um dieses Thema kreisen, anonym ausgewählt. Ein Dank an dieser Stelle an die Jury: an Sigrid Klonner, Marlen Mairhofer und Christian Lorenz Müller.

Dass uns der Junge von der Zwiebackpackung in Texten begegnen würde, konnten wir ahnen, in welche Körperöffnungen er bröseln kann oder welche Rolle er in der Weltgeschichte gehabt hat, nicht. Uns freuen die zahlreichen zweifelnden Texte, die Beziehungen, die Erinnerung oder die Logik an sich in Frage stellen. Zwischendurch mussten wir uns fragen, ob sich der eine oder andere Text zu weit vom Thema entfernt – die Kreativität der Autor*innen hat uns dann aber nicht mehr zweifeln lassen.

Ein großer Dank gilt Manuel Riemelmoser als leitenden Lektor dieses Bandes sowie Felicitas Biller, Marko Dinic und Antonia Leitgeb, die ihn (und uns) dabei unterstützt haben. Ein Dankeschön auch an Gabor Schuster vom Verlag Neues Leben, der uns und der edition mosaik das Vertrauen entgegenbringt – und nicht zuletzt auch an die Literaturabteilungen von Stadt und Land Salzburg sowie dem Bundeskanzleramt Österreich und der ÖH Salzburg, die unsere Arbeit in den letzten Jahren ermöglicht haben.

Zwanzig Ausgaben des mosaik liegen mit dieser hinter uns – wir hoffen, dass noch viele folgen mögen. Darum bedanken wir uns bei jeder und jedem von euch, die ihr gerade dieses Vorwort lest und damit ein Teil des mosaik seid. Ohne dich wäre das alles hier nicht möglich. Vielen Dank.

Zwölf Texte von zwölf Autor*innen wurden von der Jury ausgewählt: