freiTEXT | Paul Fehm

Misslinge.

Man schweigt vielleicht erst, wenn man sich in den Sand schmiegt, man rührt dann nicht mehr die Zunge, wenn sie zu lange nichts geschmeckt hat als den eigenen Hunger; das lässt sich leicht sagen, mit kleinen Modulationen und verschiedenen Akzenten wiederholen, ob es einen Unterschied macht, es bleibt misslich und wie in den Wind gesprochen.

So lange waren wir schon keine Menschen mehr, als ich meinen Liebling aus den Leichen gezogen hatte, waren wir für alle Zeit etwas anderes geworden und laufen rückwärts seitdem, den Berg von Leibern immer im Blick, als vereinigten sie sich, einmal aus den Augen gelassen, und verfolgten uns mit Riesenschritten gen Westen, der fliehenden Sonne entgegen; wie um nicht einen neuen Tag zu erleben, zerreißt die Sonne uns jeden Morgen über dem Grabhügel die Augen.

Wer einen Raum betritt, der macht den Bückling, wer sich aber verbeugt, meine Damen und Herren, hat die Füße im Rücken, ein Kommen, ein Gehen, ein Stoßen, ein Treiben, der Däumling, der den Finger hebt oder senkt, der über Tod und Leben fabuliert, geht ganz in der Masse auf; am Anfang aber war der Aufseher, der sich auf die Schulter klopft, der die Ströme dirigiert und auf Geheiß hin noch die blutige See teilt.

Selbst die Erde war bald angewidert von uns, wir stanken, wir nährten den allgemeinen Ekel, wo immer wir entlangkamen, der Mensch kein Mensch; auf dem Schiff gingen uns zuerst die Vokale aus, die Konsonanten rauschten dann übers Meer weg, salzverklebte Blicke warfen wir einander zu, als gäbe es Rettung, wo nur das Wasser herrschte und der Wind uns noch die Würde des Gestanks entriss.

Sollen sie sich doch einrollen wie der Engerling, vom Erdboden verschwinden, die sollen den Ball flach, den Kopf unten halten, die Sonne scheint in den Kleingärten immer noch am schönsten, der Maschendraht, die Fahne, Gleise; Unkraut und Ungeziefer weichen, im Notfall dem Frühling mit Beton einen Riegel vorschieben, da ist kein Durchkommen, sollen sie doch hingehen, wo ewig Sommer ist.

Willkommen, jeder an seine Stelle an der Wand, jeder stirbt den eigenen Tod; es ist zu wenig Platz auf der Welt für die himmelhohen Hoffnungen, ihr Ort aber ist das Meer, das Land ohne Morgen; jemand zu sein, musst du dir leisten können, wo ein Blick den Wert taxiert: Nimm die Hand und die Realität beißt dir gleich den Finger ab, mehr kann man wirklich nicht verlangen.

Die Unruhe der kreißenden Erde ließ Findlinge zurück, man schaffte sie rasch weg an den Rand der Straßen, wie Denkmäler, Eindringlinge aus der Urzeit, die an nichts erinnern, aus der Welt ließen sie sich nicht bringen, man verrückte sie unter allerlei Plänen; Fremdlinge blieben sie, undurchdringlich dem Blick, gewaltige Steine des Anstoßes, überflüssig zwar, aber dekorativ.

Gib mir einen sicheren Hafen, die Statur mit der Hand vor den Augen soll die schwankenden Wellen bewachen; schauen wir nach vorne auf die Füße, wenn wir laufen in Reihe mit den Häftlingen, die Kugel auf den Schultern; wir bleiben immer jung, sagen uns die Slogans, vielleicht gibt es ein Recht auf Leben, Pflicht und Privileg aber nicht, sagen die Ungeschorenen.

Paul Fehm

zuerst erschienen auf paulfehm.wordpress.com

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