6 | Steve Strix

kinderweihnacht

 

in der mitte der strasse
im schein der strassenlaterne
sehe ich mich aus einem der
schmalen fenster sehen
ich stehe in der mitte der strasse
jemand hat mich mit bunter kreide
auf schwarzen asphalt gemalt
ich gehe
nicht mehr
nach oben
nach unten
nach vorne
oder zurück
über entfernte abgründe
die strasse ist leer
ich wohne hier nicht mehr
ein paar dinge bleiben
verlaufen in mir

.

Steve Strix

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Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen:

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freiVERS | Jakob Stoiber

sonnenkönige auf flammenden streitwägen (berge dersims in mir)

vor dem schönsten
urlaub:
ich komme um zu brennen
wer will mich aufhalten?

vor der zittrigsten
party
nacktes fleisch,
schaum und
linien zuhauf:
ich komme für den krieg
wer will mich aufhalten?

vor dem eintritt
in ein sonnenreich
das sich dreht
wie indische götter:
ich komme um zu sterben
wer will mich aufhalten?
hü!

.

Jakob Stoiber

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freiVERS | Alexander Rall

Alte Wege - Altes Land

ein paar altbekannte Wege
die ich gehe, der
jüdische Friedhof, den man nur
über eine Mauer erreicht, im Versteck
reicher Gärten, aus Stein
ein aufgeschlagenes Buch
Chiffren ausgewaschener Zeit

Spiele die nie zu Ende gespielt wurden
als Kind schlug ich den Tennisball
gegen die Wand mit kleinen Händen
gegen die Zeit - heute
lag er mitten im Herbst zwischen
gelb-roten Spuren, rau welk
abgespielt war sein Filz

alte Garagen offen ein Käfer
die Kotflügel abgefallen, rostig und halbtot
wie die Raupen und der Kran
im Stillstand des zukünftigen Bauens
da kommst du nicht mehr vor
in den neuen Geschichten
in lichten Fenstern, wie abgeschnitten
die Strassen - du brauchst nur
zu klingeln, alte Bekannte
sind immer noch da, verharren
grüßen und laden sich ein - wenn
du willst gehör ich dazu - rede
über den Match-Ball
den perfekten Volley, das
Stipendium im Ausland
das nächste Kind, den neuen Besitz, die
kranke Kasse ‚Anything goes‘
nicht weit das alte Land
Licht in den Bäumen
Gezwitscher in Gärten
faulendes Obst, Moor und Moos
massig im Schlaf

schau weiter in die Stille
blicklos das auftauchende Meer
eine Landschaft aus Dünen und Worten
gezeichnete Wege mit weichen
stampfenden Schritten im Sand
hinter geschlossenen
hellwach spiegelnden Augen
bis zum nächsten Zug
einatmen und aus

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Alexander Rall

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freiVERS | Quentin Lennox McMahon

Strandspaziergang

Wir laufen am Strand und du hältst meine Hand
vor uns ist eine große Pfütze
"meine Beine sind zu kurz" sage ich mit gespieltem Trotz und du sagst
"nein, die Pfütze ist zu groß!"
vielleicht hast du recht, denke ich und gehe um die Pfütze herum, wir laufen weiter
und meine Gedanken fangen an zu spinnen
wenn meine Beine nicht zu kurz sind.. sondern die Pfütze zu groß
was wenn ich nicht zu klein bin, sondern das Regal zu hoch?
wenn ich nicht "zu gut für die Welt bin",
sondern die Welt zu böse, narzisstisch, kaputt?
wenn ich nicht zu bunt bin sondern der Rest zu trist und
wenn ich nicht zu träge bin sondern
die Erwartungen zu hart
"lehrjahre sind keine herrenjahre!"
schon klar
aber gefühlt nur einmal Lob im Jahr?
denn wenn ich alles geb' und auch das nicht genügt
wenn mein Bestes vom Besten nicht reicht
ist dann bei mir was falsch? oder vielleicht
bei denen ganz oben mit Glück und Ansehen
und ich mich nicht zusammenreißen und aufste'n
sondern sich was ganz anderes ändern muss
wir laufen zurück und ich lächle in mich rein
vielleicht reicht es ja doch ich selbst zu sein

.

Quentin Lennox McMahon

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freiVERS | Martin Baumeister

der letzte sommer

schub um schub, feldbetten und
fertiggerichte.
die vignette klebt auf der
windschutzscheibe und
der busfahrer sagt, er muss für einen alten
mann auf der straße bremsen:
geh‘ nur. das wird dein letzter sommer sein.

unter den pinien ruhen die zelte, sie
bleiben ein unterschlupf für rucksäcke.
wir schlafen im freien
und trinken heimlich auf den steinen
abseits, am schotterweg.
später pflastern wir die wände der stadt
mit oliven aus der fletsche.

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Martin Baumeister

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freiVERS | Anika Hoffmanns

Kegeln gehen

Jeden Freitag Abend
marschierte der Club in die Stadt.
Über den Kirchplatz, rechts in die Gasse
zum hell erleuchteten Kolpinghaus.

Wie früher in den Sechzigern
malt sie sich heute die Lider blau an.
Schlüpft in ihr altes Lieblingskleid,
das kraftlos hängt wie ihr Haar.
Die Dauerwelle zur Feier des Tages
hat der Friseur ihr verwehrt.

Sie öffnet die Haustür, schließt sie wieder,
die Nachrichten fallen ihr ein.
Die leeren Straßen und die Sonntage
an denen der Pfarrer schweigt.

Aber trinken! Das kann sie noch,
im Kühlschrank steht billiger Sekt.
Und später beim dritten Doppelkorn
hat sie die Kugel in der Hand
und Holztäfelung unter den Fingern.

Es läuft ein Schlager im Radio,
der macht sie zur Königin.
Während sie blinzelt, keucht und schnieft
wiegt sie sich weiter im Takt der Musik.

Klirrend wirft sie mit leerer Hand,
beim ersten Versuch alle Neune.
Sie taumelt, reckt stolz die Arme empor,
die Scherben lässt sie liegen
wie jeden Freitag Abend.

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Anika Hoffmanns

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freiVERS | Johannes Bruckmann

Der Weg von der U-Bahn nach Hause und der Aufenthalt in der Wohnung

Weil ich
Ein U-Bahnfahrgast
Ebenso gut auch U-Bahnführer hätte sein können
Nahm ich mich vor mir selbst in Schutz
Bis ich
Den unterirdischen Blumenladen passierend
Spürte
Dass ich auch Florist hätte sein können
Statt U-Bahnführer statt U-Bahnfahrtgast

Aber dann
Als ich in mir einen Nachtwächter sah
Irrte ich mich in der Zeit
Ebenso
Als ich in mir einen sah
Der den linken Fuß vor den rechten setzt
Weil ich doch in diesem Moment
Den rechten vor den linken setzte

Erst in meiner Wohnung
Konnte ich nicht mehr alles sein
Konnte ich nicht mehr versehentlich auf neue Gedanken treten
Allerdings nur, bis ich mir den Klang des Telefons vorstellte
Und mich fragte
Was würde derjenige, der abhebt
Demjenigen antworten, der anruft
Würde derjenige sich als eine Castingagentur ausgeben?
Und würde es sich dabei um einen Scherz handeln?

Kämest du jetzt nach Hause
Dann könnte ich vielleicht am Ton deiner Stimme eine Antwort...
Dann könnte ich vielleicht an deinem Geruch...
Dann könnte ich vielleicht...
Aber dafür müsste es dich geben
Dürfte ich jedenfalls in Bezug auf dich
Keinem Irrtum unterliegen

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Johannes Bruckmann

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freiVERS | Andreas Hippert

Inkarnation

Mit Schwung
spannt der Turmfalke
über flüchtiger Feldmaus
den Bogen.
Zischend,
pfeilt
er hinab
auf die
Stoppelzeile.
Die Rückennaht trennt er,
den Felleinband schlägt
krallend er auf
Eingeweide durchblätternd
stößt er
vor
zum pulsierenden Herz.

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Andreas Hippert.

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freiVERS | Klaus Roth

mittags

die tauben stieben auf
und wir erwachen
aus unseren tagträumen
am stadtbrunnen
die tauben stieben auf
und immer neue gespräche
entspinnen sich
über die asymmetrie
der verhältnisse
und das glück
dem wir nachjagen
seit jahren
mit flatterigen herzen
die tauben stieben auf
und hinterlassen
ihre unsichtbaren spuren
so sitzen wir so reden wir
so reden wir so sitzen wir
und geben einander ein alibi
für all unser versäumtes leben

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Klaus Roth

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freiVERS | Philipp von Bose

Nun verzichte ich wissentlich

erkläre mir das lied vom tod,
damit ich mich nicht fürchten muss.

gibt es eine große tat, im tiefen
etwas mystisches,
wenn alles kalt & nennbar ist?

mondän ist die erschütterung, die
aufgeklärt durch köpfe zieht...
wie wolken: keine schäfchen mehr.

das wunder liegt verwundet da
und die tat, die möglich ist – erosion
durchs definieren

der zeit
der farben
und des lichts.

am anfang gab der geist
uns scham, nun...

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Philipp von Bose

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