Wiener Episoden, Erste

Montag, 7. Jänner, welches Jahr? Das weiß ich nicht. Wird schon eines geben. Seh nach. Stört mich nicht. Montag Morgen, zu früh zum Denken, die Glieder sind schlaff, und der Spiegel im Bad beschlagen. Das kalte Wasser ins Gesicht, Traum. Traumwelt. Wo bin ich hier? Ich weiß es, aber ich will es nicht. Sie sitzt draußen. Ich steh hier.

Mittwoch. Ich habe das Bad verlassen. Was soll ich denken? Die Tür fiel ins Schloss. Es war nicht sie. Es war ihre Freundin. Ich reiß sie auf und eile hinaus. Es ist heiß. Die Sonne hinter den Wolken. Grauer Schleier. Aber heiß. Nebenan teeren sie die Straße. Aber die Hitze verfolgt mich. Die U-Bahn ist nur einige Blöcke entfernt. Ich habe keine Lust den Bus zu nehmen, also laufe ich.

Mittwoch, etwas später. Hastig würge ich die Spinattasche hinunter. Der Kakao schmeckt ausgezeichnet. Wische die Krümel von meinem Shirt. Könnte schwören, ich hätte keine Schuhe an. Aber da sind sie. Ich bewege die Zehen. Muss albern kichern. Man sieht mich an. Die Türen schließen sich und wir fahren los. Noch ein bisschen. Gegenüber, da liest sie ein Buch. Irgendwas Englisches. Ich langweile mich. Draußen ist es dunkel. Und nur das Innere spiegelt sich hell in den Scheiben. Ich am dunkelsten.

Donnerstag. Sie liest wieder. So gelangweilt. Ich schau genauer hin. Fear. Zweig. Warum nicht auf Deutsch, denke ich. Minimalistisch.

Freitag. Die Ausschweifungen zehren an mir. Er findet kein Halt. Amok. Zweig. Flut überflutet den Tunnel. Und ich denke: Herrliches Licht.

Samstag. Sie steigt aus. Ich bin allein. Der Zug nicht.

14 Uhr 35. Station. Machen wir mal einen Halt. Das Bein müde auf dem Parkett. Tänzel mal hinauf. Die Treppe rollt und rollt. Und wieder Licht. Wieder heiß. Es brennt. Das Haar fackelts ab. Und ich bin kahl. Gedankenwelt.

19 Uhr 20. Der Schlüssel steckt im Schloss und ich dreh ihn um. Wunder mich noch, wie er dahinkam. Sie sitzt da und schaut aus dem Fenster. “Hallo.” “Hallo” kommts zurück. Ich geh in mein Zimmer und leg mich aufs Bett. Sie kommt dazu.

Montag. 13. Jänner. Ein anderes Jahr. Es ist aus. Die Wunde klafft am Finger. Und wieder in der Bahn. Kein Zweig mehr. Dafür Deutsch. Der Baum ist kahl. In meinem Kopf rauscht “Junge Römer”.

Wenig später: Kontrolle. Hab den Schein vergessen. Muss hinaus. 100er wird fällig. A paar Zerquetschte. Ich zuck die Schulter. “Hab’ ich net.” “Hab ich doch.” Weiß noch nicht. Die Rechnung ist da. Was scherts mich? Werden wir sehen. Die Wohnung kalt und leer. Das Bett. Ein Stuhl. Der Fernseher auf dem Pappkarton. Darin die Alben. Darin die Bücher. Die paar. Und nebenan hört man sie singen.

Mittwoch: Wie vor einem Jahr. Die Tür fällt ins Schloss. Oder ist es schon länger her? Diesmal bin ichs. Vielleicht wirds auch erst bald geschehen.

Donnerstag: Zeitlos. Was ist Zeit? Ich geh und ich fall und ich steh und die Zeit geht irgendwie weiter, aber ich denke nur ich lächle und wenn ich aufhör zu denken, was dann?

Sonntag: Mutter geht immer in die Kirch. Sollte ich wohl auch mal. Meint sie. Schließlich sei das nicht abträglich. Und ein Muss. Aber muss ich denn mit ihr? Ich lass es mir auf der Zunge zergehen und dabei schmilzt mein Kopf. Und dann greif ich sie und zerr sie hinaus. Ne Backpfeife tuts auch. Sie weint. Arme Mama, denke ich mir, wird bald nichts mehr mit der Kirch. Ich sags ihr ins Telefon. Sie weint.

Dienstag. 21. Jänner. Man könnt meinen, das Leben wär zu fabelhaft, um den Moment zu kosten. Denkste. Ich strecke die Zunge raus und koste den Regen. Denke, wie lecker diese Schlammpfütz doch sein müsst, da, zu ihren Füßen. Ich schau an ihr auf und denk mir, hübsche Latern.

Mittwoch. Auf dem Weg zum Schauspielhaus. Denk mir, was gäbs schon zu sehen. Vielleicht gibts ja was. Könnt auch in der Oper stehen. Aufm Programm! Staat oder Volk? Ist doch egal. Was machts schon, ob’s Staat oder Volk? Auf den billigen Plätz’. Aber die Schlange ist lang. Und auf die Bühne will ich nicht. Also Schauspielhaus. Dort seh’ ich sie wieder. Liest mal wieder. Die Krone baumelt am Baum. Ich hab gezahlt, sag ich laut, man schaut mich an, und ich nehm mir eine.

Donnerstag. Ich schmeiß sie fort. Nichts Gescheits. Dies und das. Und jenes. Jenes interessiert mich besonders. Normalerweise. Ich lese es und schneid es mir aus. Dann hängts im Bad. Am Spiegel. Der sonst immer beschlagen ist. Seltsam. Duschen ohne Ende. ‘S Bad wird niemals sauber.

Freitag: Maria-Magdalena. Die Überschrift. Das Bild. Ich küss das Bild und ich küss den Text. Schmeckt nach Tinte. Ich schau mich an, seh aber keinen Fleck. Könnt ja abgebrochen sein, denk ich mir, und man hats mich bedruckt. Aber nein. Verschmitztes Lächeln. Verschwitzt. Weiß und weiß. Was kann ich schon seh’n?

Samstag: Heuer! Heute solls sein! Ich geh hin. Ich klopf. Sie macht auf. Ich klopf auf den Tisch. “Gut siehst aus! Gut hörst dich an.” “Danke.” Sie sagts nicht, aber ich sehs ihr an. Das rote Cover. Blutüberlaufen. Blutunterströmt. Hübsch. Ich denke an Banana. Greif mir eine. Alles Banane. Essen, Schlingen, weg damit. Leere Schale. Nun ist alles gelb. Die Sonne strahlt in den Kern. Kernforschung. Was betreib ich hier? Sie sitzt da und schaut mich an und auch ich sitz da und schau mich an. Nein. Stopp. Schau sie an. Und ich sage: “Gratulation.” “Danke dir.”

Sonntag: Jetzt. Als hät’ ich Sünden zu bereuen. Sind mir die liebsten. Ich sprech mit dem Pfaffen, ich habe ihn kaum erkannt. Alt ist er geworden. “Gott tut ihnen nicht gut.”, sage ich. “Ich weiß.”, erwidert er. “Aber steht ihnen gut.” “Ihnen auch.” Wir lachen, schütteln Hände. “Grüß mir Frau Mama. War schon lange nicht mehr hier.” Wir sitzen in einer Bar und bechern eimerweise. Eimer mit Chips und Flips und Knabbereien. Der Whiskey sitzt tief. Der Äppler auch. “Ein Saft wär mir lieber gewesen.” “Vergiss den Saft.”

Montag, 27. Jänner. Heuer gehts weiter. Ich steig nicht aus. Verfolg sie nicht. Weiter. Ihre Füß’ über die Schwelle. Ich seh auf das Schild und geschwind eil’ ich hinterher. “Drei-Fünfzig.” Ich zahl. Es ist nicht viel. War ja nicht weit. Die Koffer hat sie in der Hand. Die Tasche. Passt viel rein. Würd’ gern wissen was. Hab das Gesicht nicht vergessen. Besonders nachts. Wenn ich’s vom Bett aus sah. War schön. Schön anzusehen. Das Fenster offen. Die Jalousien auch. Und dann haucht sie einem die Nacht um die Ohren. Stolz stolzer stolziert sie die Ringstraß’ entlang. Wohin des Weges, meine Holde? Deine? Sie lacht und entreißt mir das Gepäck. Immer brav zu Fuß. Nimm mich noch einmal in den Arm. Schlingt sich um mich. Wehrlos. Das bin ich. Ich stoß sie weg. Und sage: “Wiederhol es gern.” Kuss. Wange. Verflogen.

Mittwoch, 28. Jänner. Gähn. Müd. Dunkel. Immer im Kreis. Auf und ab den Ring. Vielleicht find ich die Hinterlassenschaften. Drecks Köter. Scheiße. Klebts an mir wie sonst auch immer. Jetzt regts mich auf. Die Bahn zischt vorbei. Und das Rad, das klingelt. Und das Radio tönt herüber. Und in meinem Kopf rauscht der Verkehr.

Donnerstag, 29. Jänner. Ganz vergessen.

Sonntag, 1. Jänner. Neujahr. Ich lieg krank im Bett. Kopf schmerzt. Die Flasche neben mir. Ich küsse sie. Aber sie ist tot. Na, nicht tot, aber so leblos. Sie schläft. Und ich habe ihren Rausch geschlafen. Ausgeschlafen. Zieh die Decke weg, und merke, sie liegt gar nicht mehr da. Im Bad rauscht das Wasser.

Sonntag, 2. Jänner. Ich hab mich ausgesperrt. Sie ausgesperrt. Wer ist jetzt der Klügere? Es ist dunkel. Die Rollos sind unten. Und was ich sehe, ist das Licht des Weckers. Und das Licht von der Steckleiste. Könnt sie umlegen. Dann geht auch der Router aus.

Mittwoch. Zeit später. Es ist still. Ich hör sie nicht. Ich seh sie nicht. Ich riech sie nicht. Ich schließ die Augen, schleich ich aus dem Haus. Schleich ich zurück, tu ichs auch. Manchmal geh ich darum herum. Manchmal hinten rein. Das freut sie sehr. Dann sieht sie mich auch. Aber nur erhascht und erahnt. Nichts Essentielles. Ekstase. Mutter ruft an. Sie lästert. Das tut sie gern.

Dienstag: 25. Jänner. Liebes Fräulein. Hab ich zu ihr gesagt. Ich hab ihr wieder was abgenommen. Hab gezahlt. Ehrlich. Hab ich zu ihr gesagt. Dank’ schee auch. Torkel heim. Leucht mir den Weg. Doch sie geht aus. Wohin, frag ich sie. Doch sie sagt nur: Nichts. Sie weiß es nicht. Kann sein. Weiß nicht, wann sie wieder kommt.

Mittwoch: Die Ungeduld wächst. Wohin? Das weiß ich auch nicht. Kalt ist’s. Es schneit. Die Heizung tot. Ich auch. Kopf leer. Im Bett. Schau aus dem Fenster. Drüben weiß ich –

Freitag: Lange Nacht. Die Bahn ist voll. Die Fliege schlaff. Und der Frack – bekleckert. Teure Sache. Für nichts zu schade. Aber bereuen tu ichs doch. Hät’ nicht so lange bleiben sollen. Wär ich auch nicht gegen die Stang’ gelaufen. Tut noch immer weh. Das Brett vorm Kopf.

Sonntag: Stelldichein mit Klaus und den anderen. Sie funkelt mir zum Abschied zu. Oder war es ein Willkommen? Wie dem auch sei, hab sie gehalten. Rosiger Körper, rosige Haut. Und so kalt. Ich bin direkt in Flammen aufgegangen.

Spät am Abend: –

Sonntag, spät in der Nacht: Es ist eigentlich schon Montag.

Montag: Das Buch lag da. Confusion. Habs in der “3”. Liegen lassen.

Pascal Andernacht

freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>