Die Frau

Dann sah sie, wie die Worte sich immer dunkler färbten und zäh aus seinem Mund tropften, sein Blick eisig, starr auf sie gerichtet. Sie fröstelte. Sie schlang ihre Weste fest um ihren Körper und verschränkte ihre Arme, um sich zu wärmen. Sie sah ihn an. Jetzt war sie etwas tiefer in sich gesunken, und konnte mit eigenartiger Gleichgültigkeit seine immer düster werdende fern gerückte Gestalt beobachten. Im Raum waren jetzt nur ihre Augen. Wenn sie sie schließt, das wusste sie, dann wäre sie ganz verschwunden für ihn. Das fand sie seltsam beglückend, fast meinte sie zu lächeln. Doch ihr Lachen ist doch schon lange geheim und sollte ihm verborgen bleiben. Sie erinnerte sich daran dass da, wo sie jetzt war, er sie ohnedies nicht sehen konnte. Nur ihre Augen auf ihn gerichtet und ihre Gestalt, wie sie ihm aus seiner Erinnerung vertraut, immer noch zu sein schien. Es ist lange her, dass er es wagte, in ihre Augen zu blicken, denn es gefiel ihm schon lange nicht was er dort sah und was er empfand, wenn er ihr dort begegnete. In diesem Abgrund. Es machte ihn immer wütend. Weil er verstand, auf eine nicht in Worte zu fassende Weise, dass er sie dort niemals erreichen konnte. Das sie immer unbeherrschbar bleiben wird und unfassbar, mit so vielen Gesichtern. Und er erschrocken vor langer Zeit beschloss, nie wieder an diese tiefgelegenen Orte zu blicken. Er verachtete sie für diese Freiheit, weil sie ihn damit beunruhigte und ihn zu einer panischen Erregung bringen konnte, wenn sie sich so weit aus seiner Moral herauswagte und ihn mitreißen wollte. Nein, er wollte keine unberechenbare Weite und wilde Stille, in der alles möglich ist. Er hielt sich an seine sorgfältig zurechtgelegten Träume vom Leben und sie sollte ihm das nicht kaputt machen, mit ihren Blicken und schwarzen Eingängen zu gefährlichen Beunruhigungen.

So blickte er stets nur bis an die Grenze ihrer Augenlinse, vermied es, dass ihre Pupillen sich trafen, denn das schien im riskant. Er klammerte sich an die ungefährliche Landschaft der Iris. Dort verweilte er als flüchtiger Gast, manches Mal suchend und selten als Eroberer in einem fremden Land.

Es wurde immer kälter. Sie bemerkte eine dünne Schicht Eis, die sich um ihn herum gebildet hatte. Eine langsam wachsende, alles verschlingende Kälte, die in ihrer strahlenden Reinheit einen krassen Gegensatz zu den dunkeltrüben Worten bildete, die zähe Lacken zu seinen Füßen bildeten. Die Eisdecke, die stetig in alle Richtungen sich verbreitete, schön in ihrer klaren Schlichtheit,  hatte schon das Sofa erreicht, die bestickten Kissen, die achtlos am Boden verstreute Zeitung, den Schrank, kroch schon unaufhaltsam die Wände hoch, überzog alles mit starrer Kühle.

Er sprach weiter. Sie wusste es, obwohl sie seine Stimme nicht hören konnte. Nur ein an und abschwellendes dumpfes Dröhnen aus seinem worteformenden Mund. Aber wenn sie sich zu sehr darauf konzentrierte, dann war wieder diese erdrückende Beklemmung da, die sie vergessen lies zu atmen. Ihr Herz klopfte jetzt etwas lauter. Sie dachte wieder an ihre Augen und das sie sie einfach schließen konnte. Sie atmete tief und da war wieder diese ruhige Gleichgültigkeit, die sie so wohlig empfand. Sie stand fest am Boden ihres Innersten. Sie lies ihren Atmen strömten, doch nur bis an die Grenzen ihres Körpers, nicht hinaus durch die Poren. Dann würde sie der im eisig kalten Raum aufsteigende warme Hauch verraten. So blickte sie atemlos still hinaus zu ihm.

Am kleinen alten Holztisch in der Mitte des Raumes, blank glänzend von einer Schicht Eis bedeckt, hatten sich mittlerweile am Rand tropfend gefrorenen Eiszapfen gebildet. Schön, einem märchenhaften Tuch gleich, mit handgefertigten Quasten. Ein Gedanke an zärtliches Verlangen und einer weiten Sehnsucht mit umschlungenen Küssen heftete sich an diese Eisgebilde. Haben sie die ersten eisigen Fasern dieses handgewebten Tuches, jetzt spiegelnd glatt mit einer Borte Eiszapfen, von ihrer ersten Begegnung mitgebracht? Die vage Erinnerung blieb mit ihrer Frage in der Mitte des Tisches kleben und wurde augenblicklich zu einer kleinen merkwürdig geformten Eisskulptur. Sein Mund war nun bewegungslos. Die Lippen aufeinander gepresst.

Jetzt hatte das Eis ihre nackten Füße erreicht. Ein Schauer durchlief ihren Körper. Ein leises Zittern blieb und fortan bewegte sie sich, fast unmerklich sachte schwingend, im Rhythmus dieses fröstelnden Zitterns. Er war näher an sie herangetreten. Sein Blick war immer noch eisig. Doch jetzt verdunkelten keine zähen Tropfen seinen Mund. Er stand einfach da. Sie machte einen Schritt zurück. Ein Knirschen. Das Eis brach. Tiefe Sprünge durchzogen den Boden und sie machte einen weiteren Schritt rückwärts, hin zur Türe. Alles Eis schien zu zerspringen. Das Klirren war ohrenbetäubend laut und doch hell klingend schön. Die dunklen Schatten um ihn verblassten. Ein scharfer Schmerz durchfuhr sie. Sie schloss die Augen, doch nun war sie nicht mehr tief in sich versunken, wo alles wohlig warm und sicher war. Die Töne der zerspringenden Eiskruste hatten sie hervorgelockt. Sie klangen wie ein Versprechen, das sie schon oft gehört hatte. Wie konnte sie so unvorsichtig sein. Doch diesmal hatte sie Glück gehabt. Er hatte es nicht bemerkt. Er ging wortlos aus dem Raum. Er sah fast wieder aus wie der Mann, der sie einst angeblickt hatte.

Sie sah hinab zu ihren Füssen und ein feines Rinnsal Blut erinnerte sie an den kurz zuvor so scharf gefühlten Schmerz. Jetzt blieb ein sanftes Pochen. Langsam löste sich ihre innere Verdichtung und sie verbreitete sich weit hinein in ihren Körper und lies ihren Atmen wieder herausströmen durch alle Poren und richtete Ihren Blick wieder weit hinaus.

Er war zurückgekommen. Sie konnte seine Worte wieder hören. Es waren keine dunklen Flecken, nur seine Stimme. Ruhig, wie er sie immer erklingen lies nach solchen eisigen Ausbrüchen. Und sie war wieder ganz zurückgekehrt in den Raum und sah in an, mit dem Teil ihrer Selbst, der noch für ihn bestimmt war.

Martina Onyegbula

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