Unsichtbare Dritte

Seit du mit ihm geschlafen hast, sehe ich dich mit anderen Augen. Wir haben seitdem nicht mehr viel miteinander gesprochen. Als ich das Autoradio anmachte, hast du es leiser gestellt. Du fährst zu schnell.  Ich frage mich, wohin. „Halt an!“, höre ich mich sagen.

Du ignorierst mich.

„Halt sofort an!“ Diesmal schreie ich.

Ich merke, wie du die Geschwindigkeit drosselst und scharf bremst. Die Landschaft wird langsamer, die Felder halten an.

„Was?“

Ich öffne die Tür und steige aus. Ich stehe einfach nur da. Du lehnst dich über den Beifahrersitz und ziehst die Tür zu. Der Wagen zieht an, beschleunigt, eine Staubwolke weht hinter dir her. Auf dem Asphalt klebt ein Stück Fell. Jetzt ist das Auto nur noch ein verwaschener Punkt am Horizont.

„Hau ab, Arschloch!“ Meine Stimme klingt fest.

Hier am Straßenrand fühle ich mich seltsam banal. Ich gehe nicht zurück. Die Hitze lädt mich auf. Ich schreite voran. Felder, unermesslich weit. Irgendwann höre ich ein leises Rauschen. Hinter mir. Ich sehe mich um. In der gleißenden Hitze glänzt etwas metallisch. Es kommt auf mich zu.
Der Güterzug ist endlos. Wir ziehen nebeneinander her. Ich schwitze. Meine Füße brennen. Als der letzte Waggon vorüber rollt, fühle ich mich verlassen. Meine Beine müssen weitergehen. Mit dem Handrücken wische ich mir den Schweiß von der Stirn. Eine Kreuzung.

Die unsichtbare Dritte: Das bin ich.

Kein Flugzeug taucht auf. Nichts. Ich gehe weiter gerade aus, biege nicht ab. Nicht mehr. Meine Schritte werden kürzer. Ich ignoriere den Durst. Die Sonne brennt. Kein Auto kommt, kein Truck, kein Mensch, kein Tier.
In der wabernden Pfütze auf dem Asphalt erkenne ich sein Gesicht, seinen Leib, nackt. Du liegst auf ihm, hier mitten auf der Straße. Du siehst mich an. Eine Fata Morgana. Ganz real. Ich stolpere über eure Körper, falle, rappele mich wieder auf. Den Nachmittag halte ich noch durch. Meine Sohlen schleifen über den Asphalt. Die Straße trägt mich, ad infinitum. Ich blicke hinauf ins Weiße. Ich bin frei.

Ein kleiner Punkt kommt näher. Ich habe Schwierigkeiten, ihn im Auge zu behalten. Dann höre ich Motorengeräusche. Vielleicht lasse ich mich retten.  Der Wagen hält an. Du öffnest die Tür. „Steig ein!“, sagst du. Ich sehe dich an. Wenn ich dich anschaue, sehe ich auch ihn. „Hau ab, Arschloch!“

Du kneifst die Lippen zusammen. Schlägst die Tür zu, fährst an. Dein Blick hart. Dein Schwanz war es sicherlich auch.

Katja Bohnet

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