Ameisenstraße

Es ist Sommer. August. Die Tage waren eben noch lang. Schon werden sie kürzer. Alles was ich sehen kann ist die Dunkelheit, es ist als hätte es keine langen, hellen Tage gegeben. Ich versinke im Schneechaos. Im August. Kinder toben vergnügt, Wassertropfen aus kreischenden, bunten Spritzpistolen treffen auf gemusterte Badebekleidung, das kalte Nass ändert die Farben. Bälle rollen. Knie werden aufgeschürft. Sand fällt aus den geringelten Socken, auf die kalten weißen Badezimmerfließen, die von grauen Fugen getrennt werden. T-Shirts mit Flecken vom geschmolzenen Eis landen auf dem Schmutzwäschehaufen in der Ecke.

Und ich mittendrin. Bis zu den Knien im kalten Schnee. Stecke fest. Kann nicht vor, nicht zurück. Die Kälte krabbelt durch meinen Körper wie die Ameisenstraße, die in der Küche ein neues zuhause gefunden hat. Die schwarzen Punkte haben sich so stark angepasst, dass es scheint als wären sie immer schon da gewesen. Als hätte der Architekt sie genau an dieser Stelle eingeplant. Ich sollte ihre fleißigen Arbeitstage unterbrechen, ihre Linie, die die Küche durchzieht vor die Türe setzen.

Doch das kostet Kraft. Die winzigen Eiskristalle, die um meine Füße Klumpen bilden, kosten Kraft. Das Essen von der Hand zum Mund ist schwer. In Anbetracht dessen sind die kleinen schwarzen Monster nicht mein größtes Problem. Dabei beneide ich sie, während ich mit meinem inneren Monster kämpfe. Sie stehen jeden Tag auf. In aller Früh und schuften ohne dabei Anzeichen von Erschöpfung zu zeigen. Ich bin schon erschöpft, bevor ich anfange zu arbeiten. Erschöpft bevor ich überhaupt aufstehe. Gar zu erschöpft um zu Schlafen. So tief bin ich gesunken. Ich beneide Insekten.

Die Sonne steht wieder einmal hoch und brennt auf den kleinen Balkon, auf dem ich den dritten Espresso trinke um die Müdigkeit zu vertreiben, doch wie die Ameisen hat sie sich längst eingenistet und brütet ihre Eier. Aus den Eiern schlüpfen Ekel, Selbsthass und Scham, die sich weiter mit der Erschöpfung und der Müdigkeit paaren bis ihre Larven beginnen an meinem Innersten zu nagen und ich verfalle. Die schwarzen Stoffe in die ich mich hülle verbergen die hässliche Seele, die ich mit mir herumtrage, für die ich mich schäme.

Das Feuerwerk, das vor meinem Fenster tobt und ein Schillern in der Luft zeichnet dringt dumpf zu mir durch. Ich verabscheue. Wen? Was? Alles. Die Farben im Nachthimmel sind längst wieder weg. Es erinnert mich an mein Leben. Kurze Farbexplosionen gefolgt von Dunkelheit. Im bewölkten Himmel der Nacht ohne Mond und ohne Sterne finde ich einen Verbündeten. Durch das offene Fenster strahlt er mich an mit einer Schwärze, die sonst niemand wahrnimmt, weil die Welt schläft. Nur ich bin wach. Die Gedanken kreisen in spinnenden Bewegungen und der Wind weht die laue Spätsommerluft ins Schlafzimmer. Die Müdigkeit drückt mich ins Bett, die Decken umschlingen mich. Mein Kopf versinkt im Kissen und die Worte in meinem Kopf geben keine Ruhe. Sie wollen weitermachen, herumschreien und springen, statt sich in meine Traumwelt zu verzupfen. Und mich einfach schlafen zu lassen. Bald kommt die Sonne wieder. Ich werde nicht viel schlafen. Gleich wird sie mich wecken und morgen werde ich wieder müde sein und nichts schaffen. Mit diesen Gedanken schlafe ich ein und träume wirr von Worten, die wie Flummis aussehen und Farben, die verschwimmen.

 

Clara Heinrich

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