„Wir sind Wurst!“ könnte die Kronen Zeitung morgen auf die Titelseite schreiben. Weil „Österreich“ hat ja gewonnen. Viel Schelte gab es im Vorfeld, die wahre Kontroverse findet wohl gerade erst statt. Man kann von Conchita, ihrer musikalischen Leistung, ihrer PR und ihrer Einstellung zu Sexualität halten, was man möchte, die Berichterstatter sind sich einig: Eine Kunstfigur hat gewonnen. Doch was ist das eigentlich, eine Kunstfigur?

Fiktive Biographie, Künstlername und charakteristische künstlerische Ausdrucksweise, könnte man meinen. Doch sind nicht eher alle Teilnehmer des Eurovision Song Contests Kunstfiguren, getrimmt auf den Erfolg vor dem europäischen Publikum?

Komponisten erstellen ihre Lieder, Agenten kreieren eine öffentlichkeitswirksame Person dazu, Presseagenturen verkaufen sie. Es wird festgelegt, welche Kunst sie wann und wo präsentieren. Sie werden „vermarktet und verwurstet“, wie es (als Aufforderung) in einem Text zur Performance berlin.HANUSCHPLATZ heißt (nachzulesen in mosaik11). Oder wie Jean Debuffet meint:

„Wo die Kultur ihre pompösen Podien aufschlägt, wo es Preise und Lorbeer regnet, da sollte man schleunigst das Feld räumen: die Aussichten dort auf Kunst zu treffen sind minimal. Und sollte sie jemals dort gewesen sein, hat sie sich schleunigst in ein besseres Klima verzogen. Sie kann nämlich die Luft der kollektiven Zustimmung nicht vertragen. Selbstverständlich ist die Kunst ihrem Wesen nach verwerflich! und überflüssig! und asozial, subversiv, gefährlich! Und wenn sie das nicht ist, dann ist sie weiter nichts als Falschgeld…“

Doch wenn eine Eintrittskarte, zu welcher „künstlerischen“ Veranstaltung auch immer, mehrere hundert Euro kostet, so kann man als Veranstalter nicht das Risiko des Missfallens eingehen. Dann wird Kunst auf den Publikumsgeschmack hin produziert. Sie ist nicht mehr Ausdruck eines individuellen Bedürfnisses sondern reine Ästhetik und Ausdruck einer gesellschaftlichen Norm. Der „Künstler“ wird zur Kunstfigur einer Öffentlichkeit.

Josef Kirchner