Zwei Personen im Gespräch. Dazwischen eine Glasscheibe. Asghar Farhadi zeigt uns in Le passé – Das Vergangene französisches Erzählkino von seiner komplexesten und dichtesten und gleichzeitig klarsten Seite.

Ahmad kommt am Flughafen an. Er will der juristischen Scheidungsprozedur mit Marie beiwohnen. Vor vier Jahren verließ er mit Marie und den Kindern auch den Pariser Vorort und lebt wieder in Teheran. Sie ist es nun auch, die ihn vom Flughafen abholt. Doch im ersten Dialog der beiden sehen wir zwar die Bewegungen der Lippen, Worte kommen jedoch weder bei uns noch beim Gesprächspartner an. Ein Bild das mehrmals im Film wieder aufgegriffen wurde.

Doch die Familienkonstellation ist noch komplexer, als wir es von vielen Französischen Dramen gewohnt sind: Ahmad ist Mann zwei von drei von Marie, Mann eins ist nur mehr in seiner Tochter präsent, diese hat nämlich ein deutliches Problem mit Mann drei, den Marie nun heiraten möchte und von dem sie (Spoiler, Spoiler!) ein Kind erwartet. Von Mann 2 (Ahmad) ist auch noch eine Tochter im Haus, dazu kommt der Sohn von Mann 3 sowie außerfamiliäres Personal. Fangt gar nicht erst an, das Beziehungsgeflecht aufzeichnen zu wollen!

Achja, das Haus: Schmelztiegel und Sammelpunkt – und damit auch Abbild der aktuellen Situation: Chaos. Die große Tochter ist (wie erwähnt) gegen den neuen Mann, dieser hat noch eine Frau (liegt seit einem Selbstmordversuch im Koma), die immer mehr ins Zentrum rückt. Und Ahmad soll jetzt Ordnung in die Sache bringen.

Es gelingt ihm nicht – so viel darf gesagt werden. Doch es werden immer mehr Wunden aufgerissen und Geheimnisse gelüftet, die individuelle und kollektive Vergangenheit aufgearbeitet. Es entsteht ein film de querelle continuelle, ausgeführt von für einen realitätsnahen Film vielleicht äußerlich zu schönen Figuren.

So inhaltsschwer und mühsam wie es die Zusammenfassung und der Titel vermuten lassen ist Le Passé glücklicherweise nicht. Er überzeugt mit einer dichten Handlung, einer nachvollziehbaren Personenstruktur und Handlungsabfolge sowie überzeugender darstellerischer Leistung. Dem iranischen Regisseur Asghar Farhadi gelingt die Integration in die französische Filmtradition bei gleichzeitiger Weiterentwicklung dieser. Aber irgendwann kippt die Szenerie vom realistischen ins hyperrealistische. Die Frage, die bleibt: Muss in dieses Chaos wirklich Ordnung gebracht werden?

Josef Kirchner
(mit Dank an die Kino- und Diskussionspartner)