freiVERS | Mara Wolf

Verhältnisse

Wie verhält es sich nun,
wenn ein Verhältnis darin besteht,
dass das Unterbrochene
unverhältnismäßig
auf unbestimmte Zeit vertagt wird?

Wie soll jemand sich verhalten,
wenn ein unbestimmtes Verhältnis
eintrifft,
vor dem Hintergrund des Untenstehenden,
wenn doch der Zeitpunkt auf unbestimmt lautet?

Jemand ging auf unbestimmt fort
Und säte Granatäpfel im Süden,
Und weil es so gut lief
Gleich Sanddorn im Norden.

Ein anderer streckte sich aus
Seiner bestimmten Größe nach
Und als er aufstand
Erblickte er schwangere Felder.

Und fragte den anderen,
Wie es sich nun verhielte,
Da er von den Früchten aß,
jetzt wolle er noch mehr davon.

Und der zweite meinte unverblümt,
er sei ja nur der Säer und nicht der Händler,
Habe es jetzt mit Glyphosaten aufgenommen
Und hätte selbst bestimmt nicht viel davon zu geben.

 

Mara Wolf

 

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freiTEXT | Sebastian Franz

Leipheim-West

Stahlgraue Sonnenstrahlen brechen an der Wohnblockwand. Dein Red-Bull-geschwängerter Atem kondensiert in der Morgenluft, und wir teilen noch den letzten Rest, um auszuharren. Zwei Schluck Smirnoff, drei Züge Luckies, alles was wir haben. Das war damals schon so. Damals sind wir oft hier hergekommen. Damals waren die Schaukelbretter noch aus Holz. Doch ihr Abstand beträgt noch immer exakt zwei Armlängen. Dein Rechter plus mein Linker. Im Wind kann ich kaum hören, was du mich fragst, deshalb lächele ich nur. Du lächelst zurück. Wir sind uns einig. Das war damals schon so.

Damals, als du Jahrgangsbeste warst und dein Vater mich fast durchs Abi hat fallen lassen. Als wir doch nicht zusammenkamen, weil du mich auf Abschlussfahrt mit der Schwedin erwischt hattest und ich so zum Glück niemals mit diesem Bastard von Mathelehrer gemeinsam frühstücken musste.
Alva.

Wie so oft nach der Night Lounge, sitzen wir jetzt auf unserer Schaukel, umgeben von ockermelierten 24-Parteien-Blocks und der Südumfahrung Leipheims. Zwischen alter US-Air-Force-Grundschule und ehemaligem Mannschaftsunterkunftsgebäude 5, wo alles zum ersten Mal geschah: Knutschen, rauchen, kiffen, saufen, ficken, kotzen. Und du warst ein jedes Mal dabei.

Ich stoße mich vom Boden ab und frage mich, ob das noch Sand ist oder mittlerweile eine Melange aus Dönerfleisch, Galle und Wodka-O.
…Wenn wir kommen, bist du Opfer tot… scheppert aus deinen Handyboxen und ich muss grinsen. Scheiß auf Schule, scheiß auf Uni, das ist wie Fahrradfahren, nein, wie zu Fuß zu gehen.
…Ich brauch´ nur ein Blatt Papier, um in der Juice zu stehen… Ich kenne noch jedes verdammte Wort. Ich kenne verdammt nochmal dich und könnte heulen vor Romantik.

Ein altersschwacher Transporter müht sich am Leipheim-West-Schild vorbei auf die Südumfahrung. Leipheim-West. Warum ist das eigentlich im verdammten Süden Leipheims? Heißt ja auch Südumfahrung und wir Gymnasiasten haben die alten Kasernen früher die Southside genannt. Außerdem ist das hier einfach Süden - wie Süden auf einem scheiß Kompass. Wer denkt sich überhaupt einen Namen aus, für die Kreisverkehrsausfahrt der Umgehungsstraße einer 7000-Einwohner-Stadt? Drecks CSU. Nachdem die Kupplung ein letztes Mal stottert, höre ich dich zwischen zwei Zügen sagen: „Du hattest es mir versprochen. Du bist echt ein Arschloch.“

Toni hatte mir in der zwölften Klasse auch was versprochen. Dass er das Abi mit mir durchzieht und dann weg von hier. Das Koksen sei ein Ausrutscher gewesen. Und jetzt? Ich kann genau sehen, wie blaues Licht durch die versifften Vorhänge im vierten Erdgeschossfenster wabert, male mir aus, wie seine Körperhülse vor der Playstation verkommt. Ein Leben zwischen Steinofen Original und Methadonstelle. Der Junge hat mal Jugend forscht gewonnen, also hier in Bayern. Trotzdem konnte man auf sein Versprechen nur soviel geben, wie auf deine Einladung nach München, in eure Giesinger Mansardenwohnung, die zumindest groß genug für das erste Kind sei, wenn dein Consultinghurensohn nicht mehr jede Woche auf das Projekt in Düsseldorf muss.

Im Augenwinkel erkenne ich Gerda, die ihre erste Runde dreht.
„Da ist kein Pfand drauf“, rufe ich.
„Dann räumt euren Scheiß selber weg!“
„Leck mich!“
Die Alte flucht etwas in die letzten Nebelfetzen und verschwindet dann irgendwo.

Glasklare Sonnenstrahlen wärmen die Wohnblockwand. Wir kennen uns seit der ersten Klasse, hassen uns seit der ersten Klasse, lieben uns seit der ersten Klasse und ich frage nur:
„Kommst du nächstes Jahr wieder aufs Klassentreffen?“
„Nur, wenn du mich nicht küsst.“
„Versprochen.“

 

Sebastian Franz

 

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freiVERS | Leontine Köhn

Supermarktenttäuschung

Morgens reflektieren meine lackierten Nägel
{hellblau wie der Himmel}
die Frühsommerstrahlen.
Ich frage mich wann er kommt,
um die Kälte in Dir abzuholen.
{seit ein paar Wochen bist Du so still geworden}
Im Supermarkt,
zwischen den Sonderangeboten,
kann ich kein Weichspülmittel fürs Herz finden.
{meine Tasche wäre zu klein gewesen}

 

Leontine Köhn

 

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mosaik28 - in Bildern

Die 6e des Musischen Gymnasiums Salzburg hat sich künstlerisch mit der aktuellen mosaik28 auseinandergesetzt. Aufgabenstellung war, sich einen Text aus der Zeitschrift auszusuchen und bildnerisch darauf zu reagieren. Eine Auswahl der dabei entstandenen Werke dürfen wir euch vorstellen. Und weils so schön ist, gibt's für die von euch, die grad keine Printausgabe bei der Hand haben, das PDF kostenlos dazu:

Download mosaik28 (PDF)

 

1: Nelly Ebert zu ‚Wut‘ von Sophia Fritz

 

2: Nelly Ebert zu ‚Januar‘ von Stefan Heyer

 

3: Benedikt Ziegler zu ‚Die sieben Todsünden - Lust‘ von Sophia Fritz

 

4: Hannah Laznia zu ‚Januar‘ von Stefan Heyer

 

5: Johanna Gamper zu ‚Hotelstaub‘ von Katharina Wulkow

 

6: Johanna Gamper zu ‚Der Mantel‘ von Marina Büttner

 

7: Tobias Hauer zu ‚Friedrichsblau‘ von Svenja Reiner

 

8: Noah Knapp zu ‚Abschluss‘ von Steffen Kurz

 

9: Klaudia Sobota zu einem Zitat im Interview mit Versatorium/Helmut Ege („Es entsteht beim Übersetzen ein Text, der vorher nicht da war.“)

 

 


freiTEXT | Julia Knaß

Vergessene Orte

„Auf uns, hatte man ja vergessen, abgelegt, unser Tal, keine ordentlichen Straßen, hin, auf uns, da hat keiner geschaut, war allen egal, was mit uns passiert, wir waren ja nicht wichtig, früher, nichts haben wir gehabt, das können Sie sich jetzt gar nicht mehr vorstellen, da bleibt die Jugend dann nicht, wenn es keine Arbeit gibt, auf uns, haben sie vergessen und dann ist er gekommen, da hat sich dann was geändert, da wurde dann endlich was für uns getan. Da hatten wir dann jemand, ihn, der auch auf uns gedacht hat, das darf man nicht vergessen, das muss man auch verstehen, dass das nicht alles so einfach war. So wie sie ihn jetzt schlecht reden, dass stimmt ja so alles nicht, das muss man doch auch sehen, dass er jemand war, der auf uns gedacht hat, das darf man wirklich nicht vergessen, das nicht“, aber sonst, ja, sonst soll man die Vergangenheit ruhen lassen, so sagt diese Talbewohnerin, die sich mit ihrer Wehklage an das Dirndl in dieser Geschichte wendet, also an unser Dirndl. Sie sagt ihm auch, unser Dirndl sei noch viel zu jung, um das zu verstehen, die ganze Geschichte. Aber nicht nur die Talbewohnerin, nein, wirklich alle in diesem Land sagen, dass man das jetzt endlich alles vergessen solle. Wollen selbst nicht vergessen werden, ja, aber die Vergangenheit, die soll man doch bitte in Frieden ruhen lassen, nicht? Die hat doch schon genug mitgemacht, die muss man doch jetzt nicht immer und immer wieder ausgraben. Aber wo, wo ruht sie denn, die Vergangenheit? Ja, wo haben wir sie denn, begraben? Wir wissen es doch eigentlich alle ganz genau, wo, alle wissen wir es ganz genau, weil wir jeden Tag darüber gehen, jeden Tag von neuem über die Leiche. Aber wir versuchen, das zu vergessen, versuchen, uns genauso zu vergessen, so wie die Orte vergessen sind, die Orte, die wir unsere Herkunft, unsere Heimat, unsere Ursache nennen müssen.

„Wo hat es dich hinverschlagen?“,

schreibt der Thomas dem Dirndl und es antwortet: „It’s kind of a funny story“, obwohl es das nicht ist und „in deine Heimat“, obwohl sie das für ihn ja doch nicht ist. Es ist jetzt dort, wo man noch immer mit Stolz darüber singt, wie man damals mit Blut die Grenze schrieb und er glaubt dem Dirndl zuerst nicht, weil er es dann doch so gut kennt und weiß, dass das nicht so vorgesehen war, nicht der Plan vom Dirndl: seine Heimat. „Was machst denn in Kärnten? Was machst du denn?“ und es erzählt ihm, dass es nicht so einfach war, nach dem Studium einen fixen Job zu finden und dass es sich einfach überall beworben hätte und so wäre es hier gelandet.

Früher oder später müssen wir darüber reden, warum das Dirndl ihm wieder geschrieben hat und über das Verhältnis der beiden zueinander. Tatsächlich ist es so, dass es hin und wieder an ihn gedacht hat und dass es dann wissen wollte, ob er das auch noch tut: an es denken. Das weiß es nun, weil er dem Dirndl nicht nur geantwortet hat, nein, er hat ihm sofort geantwortet und er hat es auch sofort gefragt, ob sie sich wiedersehen können, weil er zufällig bald in seine Heimat fahren würde. Das freut das Dirndl und es versucht, die Spinnweben und die Weberknechte aus seiner Wohnung zu entfernen, weil die sich ausbreiten, alles einnehmen, sobald es mal nicht hinschaut. Sonst versucht es nicht einmal mehr, dagegen anzukommen, gegen die klebrig gespannten Fäden, gegen den Staub, gegen den Dreck.

Hier bleibt nichts

unbemerkt. Als der Thomas mit seinem Wagen die Auffahrt hochfährt, kann unser Dirndl beobachten, wie sich die Vorhänge der Nachbarin bewegen, gleich wie sich die Vorhänge bewegen, wenn es in der Früh zur Arbeit fährt, wenn es am Abend von der Arbeit nach Hause kommt, wenn es im Winter Schnee schaufelt. Keinen Schritt kann es hier setzen, ohne dass es jemand weiß. Für unser Dirndl geht es ja noch, es ist nur aus einem fremden Bundesland gekommen. Es wird nur mit Blicken verfolgt, das wird es wohl aushalten, unser Dirndl. Anders ist es, wenn man aus einem fremden Land kommt, dann bleibt kein Schritt undokumentiert, mit Fotos, mit Videos, mit Postings im Internet: „Haben’s das gesehen, jetzt war schon wieder die Rettung bei der Unterkunft“ – „Haben’s das gehört, die sollen junge Frauen angegriffen haben“ – „Das sind ja alles Kriminelle, die sie da ins Land gelassen haben, die sollten besser in ihren Heimatländern im Osten bleiben, wo genug Platz ist, aber das versteht das linke Gsindel in Wien ja nicht, dass man da was dagegen tun muss, als guter Bürger, als Österreicher. Die passen nicht in unsere Kulturlandschaft, die Flüchtlinge.“ – „Die Wölfe, die passen nicht in unsere Kulturlandschaft. Da muss man ja was tun, als guter Jäger, als Österreicher. Aber das verstehen die Gutmenschen in Wien ja nicht, dass man da was dagegen tun muss, das sind wilde Raubtiere, die sie da ins Land gelassen haben, die sollten besser in ihren Heimatländern im Osten bleiben, wo sie genügend Platz haben.“ – „Haben’s das gehört, die sollen junge Kälber auf der Alm angegriffen haben“ – „Haben’s das gelesen, jetzt war schon wieder ein Wolfsriss in dem Wald“. Wenn man von einem fremden Land kommt, dann wird jeder Schritt verurteilt, nichts bleibt hier, nicht? Auch der Thomas ist nicht geblieben, er hat es nicht ausgehalten, deswegen ist er nach Wien gegangen.

Sie haben nicht darüber gesprochen, wie lange er bleiben kann, aber er hat seine Tasche mit und später, als sie sich hinlegen, schaut er einen Film, während es einschläft, genauso als hätten sie einen gemeinsamen Alltag. Und am nächsten Tag richtet es das Frühstück am Balkon, weil es warm genug ist. Der Thomas fragt das Dirndl, wie es das aushält, weil er könnte das nicht mehr. Und es meint, naja, es ginge schon. Unser Dirndl weiß schon, es müsste viel stärker widersprechen, wenn die Leute hier sagen, dass Homosexuelle nicht heiraten dürfen sollten oder wenn sie witzeln, dass man nach #metoo ja nichts mehr sagen dürfe und dann einen sexistischen Schmäh nach dem anderen reißen. Am Anfang, da hatte es noch dagegengehalten und erklärt und dagegengehalten und erklärt. Aber seit es hier ist, verändert sich die Sprache schleichend, vergessene Wörter fluten vermehrt zurück in die Köpfe. Darin ertrinkenden Gehirnen ist es wieder möglich, laut zu sagen: „Meine Wohnung will ich aber nur an Inländer vermieten“, weil es ist ja auch möglich, laut zu sagen, dass man geflüchtete Menschen konzentriert halten wolle, nicht? Weil „dass ist ja schon so lange her, das hat ja nichts damit zu tun, da denkt doch keiner mehr dran, an diese Zeit, das haben doch schon alle vergessen, da wird man gewisse Wörter doch schon wieder sagen dürfen.“ Und geflüchtete Menschen, die werden schon nach wie vor untergebracht, aber am liebsten weit weg von den Ortskernen, abgelegen, sind ja gut um die sinkenden Bevölkerungszahlen aufzubessern, aber sichtbar wolle man sie nicht haben, vergessen wolle man, dass die da sind. Unser Dirndl hat längst damit aufgehört, den Mund aufzumachen, weil es zu mühsam ist, weil es ja doch nichts bringt, weil es dem Dirndl schon lange nur mehr ums eigene Überleben geht. „Manchmal hoffe ich, dass ich eines Tages laut schreien werde“, sagt es. Aber wir wissen alle, dass unser Dirndl keine Stimme hat dafür. Das Dirndl ist einfach keine Kämpferin, das Dirndl will das alle es mögen, das Dirndl ist schwach und ruhig und nett. Das Dirndl ist ja ein liebes Mäderl, „das viel zu gut ist für die Welt“. Immer will es allen gefallen, unser Dirndl, deswegen lässt es sich auch alles gefallen.

Er schaut in die Sonne,

während er unserem Dirndl zuhört, und dann fragt er es: „Was können wir tun, damit du nach Wien kommst, Lisa?“ Weil er weiß schon, dass das auch der Plan vom Dirndl war: seine Stadt. Und wir wissen noch immer nicht viel über ihr Verhältnis zueinander, aber wir wissen, dass er vorher zum Dirndl gesagt hat, „wenn du in Wien wärst, könnten wir jeden Tag miteinander verbringen, meine Liebe“, und wir wissen, dass das viel bedeutet. Unser Dirndl stellt sich diese Welt vor, in der es bei ihm ist, sieht sich mit ihm gemeinsam zur U-Bahn rennen und das Dirndl muss lächeln, weil es so schön wäre. Zugleich wissen wir, weiß es, das wird nicht geschehen, nur er weiß es in diesem Moment nicht und er weiß auch noch nicht, dass er es vergessen wird, so wie er seine Heimat vergessen will. Unser Dirndl wird so zum Vergessen sein, wie es diese Orte hier schon sind. Es gehört hier vielleicht nicht hin, aber es gehört eben auch nicht in seine Stadt, weil es eben nicht gehört und nicht gehört wird.

Auch Sie, geschätzte Lesende, 

werden unser Dirndl wieder vergessen, Sie werden vergessen, dass Sie je von ihm wussten, Sie werden vergessen, weil es ja „zum Vergessen ist“ werden Sie sich sagen, „es ist zum Vergessen“. Hin und wieder werden sie ans Vergessen erinnert, weil es in Österreich ja zum guten Ton gehört, dass Journalistinnen und Autoren und Journalisten und Autorinnen in regelmäßigen Abständen in die Peripherie fahren, mit dem Auftrag, sie wollen verstehen, mit dem Auftrag, das müsse man zeigen, wie schlimm das alles noch immer sei, sonst könne man es ja nicht verändern. „So schlimm ist das, unfassbar ist das, wie das 2019 noch immer möglich sein kann“. demographische Abwanderung, Alkohol, Rechtsruck, Alkohol, Hass auf Ausländer, Alkohol, Leerstände, Alkohol, Volksfeste, und dann schreiben sie vielleicht eine Reportage, nicht? Über vergessene Dörfer und Städte, am besten über einen Ort mit einem sehr, sehr rechten Bürgermeister, einem Nazi, nicht? Oder über ein Dorf, an dem es die meisten Rechtswähler, also sehr viele Nazis auf einem Haufen, in Österreich, dem Naziland, gibt, nicht? Dann erscheinen diese Reportagen, anschaulich bebildert, in Hochglanzmagazinen und die Leute, die sich von den Dörfern, also den Nazihorten, entfernt haben, können das lesen und sich moralisch erhaben fühlen, über die ganzen Nazis, und der Journalist oder die Journalistin bekommt einen hübschen Preis dafür verliehen, für diese detailgetreue Beschreibung der Nazis, für diese authentische Schilderung der Nazis, weil da muss man ja mal ganz genau hinschauen, auf die Nazis, nicht? Genauso zum guten Ton gehören Romane, in denen man sein Herkunftsland, also das Naziland, basht, in denen man ganz subtil Keller, am besten Nazikeller, einflechtet in die Geschichte. Und Nazis, Nazis, Nazis, Nazis und die katholische Kirche, also die Nazikirche, vergleicht. Man muss THOMAS BERNHARD IN A NUTSHELL sein, man muss die beste Bernhard-Imitation ever abliefern, in Österreich, dem Nazireich, man muss auf Nazi-Österreich herabsehen, man muss Nazi-Österreich verachten, und dann bekommt man auch dafür vielleicht einen feschen Preis verliehen, am besten den GROSSEN nazi-österreichischen Staatspreis, nicht? Weil staatliche Preise und Förderungen nimmt man dann schon trotzdem an, ja, man sagt sich, man leistet ja was für Österreich, das Nazireich, und für die österreichische Kultur, die Nazikultur. Man sagt sich, man trägt ja zur Bildung der Nazis bei, man trägt ja dazu bei, dass die Leute, also die Nazis, nicht aufs Vergessen vergessen. Man sei ein Bildungsträger, und dadurch ändert sich vielleicht ja was, wenn man die Bildung nur oft genug trägt, wenn man Bildung nur immer weiter anhäuft, solange bis die Leute, also die Nazis, darunter begraben sind. Da hat die Literatur dann plötzlich großen Einfluss auf die Wirklichkeit, wenn’s grad ins Konzept passt, nicht? Aber was die Beschreibung von Frauen und Beziehungen angeht, na, da schreibt der österreichische Autor dann doch lieber sexistisch und a bisserl übergriffig, weil wissen’s eh, alles andere, über moderne Beziehungskonzepte, über einvernehmlichen Sex, das wollen Sie, verehrte Leser, wollen die Leute, also die Nazis, ja net lesen. und ist doch gut, ist doch gut, wenn’s da dann drüber lachen können, wenn Mann Frauen wie Dinge benutzt, ist ja nur ein Text, ist ja nur ein Text, das hat ja nichts mit der Realität zu tun, das hat ja keinerlei, nicht die geringsten Auswirkungen auf die Wirklichkeit, nicht?

Wir sollten nie vergessen,

dass wir für Geld alles tun würden, ich, du, wir, jeder einzelne in diesem Land. Wir sollten nie vergessen, dass wir für Geld alles schreiben würden, ich, du, wir, jeder einzelne in diesem Land. Wir sollten nie vergessen, aber vergessen ist das Einzige, was wir gelernt, das Einzige, was wir wollen.

 

Julia Knaß

 

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freiVERS | Armela Madreiter

Sommerbeinkleidung

Strassenbahn.
Neben ihr ein blasser Manneskörper
teigmassig in knapper Sommerbekleidung,
Sommerbeinkleidung,

Die Sommerbeinkleidung ist voller Palmblätter,
die sich zu knapp und verrutscht um das Päckchen
Geschlecht,
um das Päckchen Mannesgeschlecht ranken.

Die Oberschenkel keck breit aufgespreizt,
damit das Päckchen Geschlecht gemächlich gemächtig
abgelegt werden kann am Straßenbahnsitz ,
damit die engbepalmten Teigmassehoden,
damit auch diese wie der restliche westliche Manneskörper
ihre gemütliche Auflagefläche am Sitz finden.

Daneben sie,
ein begehrter fremder Frauenkörper,
sitzt Bein an Bein gepresst,
einen Becher Morgenkaffee in der Hand,
sitzt eng an sich selbst und an den Rand gepresst,
sitzt klein im Kleid,
sitzt ohne Platz auf ihrem Sitzplatz gepresst,
damit sich keine zufällige Berührung mit der Masse Mann
ergeben kann,
damit die massige Manneshand,
die gewohnt ist zu nehmen und schwere Lasten zu tragen,
nicht zufällig etwas nimmt, nicht seine Hand zufällig wie eine kühle Sommerbrise
zufällig auf ihre Schenkel nicht fallen lassen kann.

Aber es hilft nichts:
Die unvermeidbare Manneshand ist schon gelandet,
gehandet auf dem Schenkel
unverhofft kommt oft und er zwinkert
diese Masse Mann muss man mögen, denkt er sich vielleicht
und greift mit der zweiten Hand unvermeidbar an das engbepalmte, eingesackte, angelegte Geschlecht –

Ihr wird schlecht.
Sie zuckt zufälllig und zufällig fällt der Becher,
der Becher mit dem guten, frischen, heißen Morgenkaffe
fällt ihm zu,
direkt aus der Frauenhand auf das abgelegte Päckchen Geschlecht.

Der Mann schreit, schreit weit in die Strassenbahn hinein, weil er ist das Opfer der zufälligen Kaffeverschüttung der Sitznachbarin
Oh weh oh ach.
„Es ist schlecht fürs Geschlecht die Sommerhitze, ist gefährlich, zu viel Hitze sollten niemals nicht auf die zarten Hoden einwirken.
Es tut mir Leid
um den Kaffee.“
Und sie steigt aus dem Mannesgeschrei hervor aus der Strassenbahn hinaus siegreich in den Sommertag hinein.

 

Armela Madreiter

 

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freiTEXT | Tessa Schwartz

Flocken

Rosalía setzt einen Fuß auf den Boden, sacht. Die winzigen Steinchen auf dem Zement erst wie Flocken an ihrer bloßen Sohle, dann körnig. Als der Fußboden Form unter ihrem Fuß annimmt, als die Kühle des Zements sich von der Zehenspitze zur Ferse hin ausbreitet, fest, hält sie in der Bewegung inne. Schon entfernt sich die Sohle wieder vom festen Grund, wird emporgehoben in eine Luft, die sich nach nichts anfühlt. Der Schaukelstuhl wippt zurück. Er hält Rosalías Füße in ständiger Bewegung, ruhelos, nur ihr Kopf bleibt still im Raum stehen. Ihr Blick fixiert die Wand. Inmitten des Gewirrs abblätternder Farbschuppen, neben dem Gemälde, das einzige Bild in der Wohnung, Benno hatte es vor Jahren einem Straßenkünstler abgekauft, auf halber Höhe ein schwarzer Punkt. Ein Loch im Putz oder ein Insekt. Rosalías Blick starr. Falls es ein Insekt ist und sich entschließt, seine sechs dürren Beinchen in einem fein aufeinander abgestimmten, nie durcheinander geratenden Rhythmus zu heben, vorwärts zu bewegen, wieder zu senken, dabei den plumpen Körper mit sich zu ziehen, falls sich der schwarze Punkt bewegt, wird Rosalía es sehen. Ihre Augen sind scharf. Benno hatte ihr stets Komplimente für ihre Augen gemacht, davon gesprochen, wie tief sie ihn mit sich hinab zögen, wie hoch mit sich hinauf, und sie hatte erwidert, dass er sich vorsehen solle vor ihren Augen, denn nichts, was er tue, würde ihnen entgehen, woraufhin er bekräftigte, dass er ihre Augen liebe und er niemals etwas tun würde, sie zu trüben, und ja, er sei froh, dass sie scharf seien, denn dann würden sie sehen, dass er ein guter Ehemann sei. Und setzte eine Miene auf, die Unschuld und Verschmitztheit auf eine Art miteinander verschmolz, wie nur Benno es vermocht hatte, und dann lachten sie beide, sie mit rauchiger, er mit kichernder Stimme, und auch sein Kichern hatte sie geliebt.

Ihre scharfen Augen sind der Grund, warum Rosalía nicht so leben könnte wie ihre Nachbarin Lucía. Lucía ist übrig geblieben wie Rosalía, die Kinder in der Stadt, und hätte eines von ihnen angeboten, zu Rosalía zurückzukehren, jetzt, hätte sie sich gefreut und ihm dann die Tür vor der Nase zugeschlagen. Lucías Tür steht immer offen, um einen verirrten Windhauch anzulocken, ihn dazu zu bringen, von der Tür durch die Küche durch das Schlafzimmer zum geöffneten Fenster hinaus zu wehen und dabei ein wenig von dem Flimmern der Hitze mit sich zu nehmen, von der Hitze und von den Staubkörnchen, die auf den Sonnenbalken tanzen, welche das rissige, schräg gestellte Holz der Fensterläden in die Wohnung lässt. Auch Rosalías Wohnungstür steht tagsüber offen, so dass sie, wenn sie sich im Schaukelstuhl weit nach vorn und zur Seite beugen würde, direkt in Lucías Küche blicken könnte. Lucía hat überall Fotos aufgestellt, Fotos von Manuel mit Lucía, Manuel allein, Manuel, als er jünger war, Manuel, wie er zuletzt ausgesehen hatte. Rosalía könnte das ihren Augen nicht antun.

Die trockene Luft riecht nach nichts. Sie bietet keinen Widerstand für Fußsohlen, keinen Reiz für die Nase. Nur den Augen gibt sie etwas. Tanzenden Staub und Hitzeflimmern. Ein Flimmern, das die Welt in Bewegung versetzt, als könnte es etwas aus dem Nichts der Luft hervorbringen. Da taucht Benno im Türrahmen des Schlafzimmers auf. Er betritt den Zementboden der Küche, seine Füße sind bloß, er muss in diesem Augenblick dasselbe sich von den Zehen zur Ferse hin ausbreitende Gefühl an den Sohlen haben wie Rosalía, im nächsten Moment schon hebt er den Fuß wieder an, macht einen Schritt, noch einen, ist am Küchentisch jetzt, dreht an den Knöpfen des Transistorradios, dreht, bis die vertrauten Töne von Gitarre, Trompete und Laute die Küche erfüllen, wendet sich zu Rosalía um, blickt sie an mit dieser Miene aus Unschuld und Verschmitztheit, die nur er aufzusetzen vermag, dann tritt er an den Schaukelstuhl heran, sie ergreift seine ausgestreckten Hände, und schon schwingt er sie durch die Küche, als wären sie jung, ihre Füße wirbeln über den Zementboden, so leicht, dass sie ihn kaum berühren, nur Flocken an den Sohlen, nichts Festes, sie drehen sich, bis sich das Radio, der Tisch, die Spüle um sie herum drehen, bis alles sich dreht, und dann sinkt Rosalía in den Schaukelstuhl zurück. Die Luft flimmert nicht mehr. Die Küche ist leer. Wenn Rosalía lang genug auf einen schwarzen Punkt starrt, fängt er irgendwann an, sich zu bewegen.

 

Tessa Schwartz

 

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freiVERS | Larissa Böttcher

Druckstellen

Es ist aus zwischen Inhalt und Tiefe
auch die verträglichen Sieger
werben für die Kriege der Wachmacher
wie zeitlos überzeugte Minuten ohne Krone
und unterwegs hilft nur der süße Sand
denn im Handumdrehen packt einen die innere Legende
und dieser spektakuläre Abstand zwischen einfach und gut
erwärmt das Gedächtnis ohne Merkzettel
wie ein eingespieltes Schlafproblem
das Spiegel und Bild konfirmiert

 

Larissa Böttcher

 

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freiTEXT | Franziska Wotzinger

derAndere

Gestern hab ich ihn gesehen, diesen Anderen. Er stand in einer Gruppe, mit ganz vielen. Viele Andere, hab ich noch gedacht. Was die wohl sagen, hab ich noch gedacht. Diese Anderen. Wie Zaunlatten standen sie da und zwischen den großen, runden Kaubewegungen meines Kiefers, pfiff ich leise Luft durch diese Latten. Als einer leicht zu schwanken begann und die anderen Anderen misstrauisch zu mir hinübersahen, hörte ich auf. Ich weiß noch ich habe mir gedacht, diese Anderen sind doch nicht so stabil, wie man gemeinhin denkt. So habe ich gedacht und meinen Apfel gegessen.

 

Franziska Wotzinger

 

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freiVERS | Florian Kranz

spekulationsblase

am anfang warst da du, und
ich war wohl auch irgendwo.

unsere gemeinsamen pläne waren bald schon zerplatzt wie
zu große seifenblasen, die durch die gegend wabern als
schwabblige, triefende luft und
derer es dieser tage ohnehin zu viele gibt.

wenn du unten lagst, half ich dir auf, was trotz einiger
anstrengung auf dem glitschigen
boden nicht immer so ganz gelang und man
muss ja auch aufpassen: ich hätte mich fast verhoben.

dann habe ich die fischstäbchen in den kühlschrank gelegt,
die ringelblumen noch einmal gegossen,
meine schuhe angezogen,
den seifenblasenring fachgerecht entsorgt und dann

warst da du. doch wo war
ich?

 

Florian Kranz

 

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