freiVERS | Tom Riebe

blick I

morgens stehe ich auf der brücke
werfe steine auf das dunkle eis
unter dem sich weiße
klar voneinander getrennte
amorphe schlieren bilden
die erst verharren
dann aus sich heraus zucken
ich beobachte ihre bewegungen
schaue
wie sie trachten
sich zu vereinigen
um der vereinzelung
zu entgehen
etwas größeres
zu werden
als ihnen bestimmt ist

bis zum abend
haben es nicht alle geschafft
trotz meines unausgesetzten blicks.

.

Tom Riebe

.

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freiTEXT | Carlotta Voß

Kerstin‘s.

Die Eier kommen um sechs, die Brötchen eine halbe Stunde später.
Eier: Sechs mal sechs, Bodenhaltung, direkt vom Hühnerbaron, der eigentlich ein Graf ist und ein Vermögen gemacht haben soll mit seinen Hochleistungshennen. Brötchen: In fünf großen Tüten vier Sorten, dazu Laugenstangen; oft sind sie noch warm: die Backstube ist gleich am Ortseingang.

Die Eier werden von Männern gebracht, die ständig wechseln, aber immer aus Osteuropa sind. Sie springen schnell aus dem Lieferwagen, die Fahrertür lassen sie offen, Kerstin hat das Geld schon bereitgelegt. Die Brötchen bringt Heiner, der seit zwanzig Jahren für Bäckerei Soltau ausfährt; er kauft immer auch den Tagesanzeiger und die BILD und dann stützt er sich auf ihrem Tresen auf und sie reden eine Weile, bevor er sich erst an den Kopf tippt, dann an die Tür klopft und seine Fahrt fortsetzt.

Kerstin schaltet dann das Radio ein und wischt die Krümel von gestern aus der kleinen Brötchenauslage. Sie prüft, ob alle Eierpackungen sechs weiße Eier enthalten, und fährt mit dem Staubwedel über die Ware in den Ladenregalen. In der Morgensendung reden sie über das Wetter und man kann Tickets zu einem Konzert gewinnen, wenn man anruft. Kerstin füllt das Bier im Kühlschrank auf. Er brummt an diesem Morgen besonders laut; sie rammt ihn kräftig mit ihrer Schulter. Manchmal verstummt er dann, heute nicht. Sie kann ihn nicht leiden; er verstopft ihr den Laden und blockiert die schmalen Wege, auf denen sie sich früher durch den Raum bewegt hat. Günstig aber war es, dieses eckige Monster; sie hat es von der Tankstelle Reimers übernommen. Die Leute tanken heute alle an der Autobahn.

Um sieben Uhr dreißig kommen die Grundschulkinder, denen kein Pausenbrot geschmiert worden ist. Sie sind noch still und verschlafen zu dieser Uhrzeit. Die Riesenrucksäcke auf den Rücken geschnallt, taumeln sie durch die Morgenluft wie ausgesetzte Astronauten. Sie kaufen hoffentlich die Mohnbrötchen und die Laugenstangen auf.

Wenn der letzte Nachzügler davongetrottet ist, raucht Kerstin die erste Zigarette. Sie steht dabei in der Ladentür und bläst den Rauch in die Morgenluft, die heute mildsommerlich ist, aber so frisch, wie sie es nur in Meeresnähe sein kann. Der weiß-schwarze Kater, der niemandem gehört, läuft über die Straße, auf der nur manchmal ein Auto fährt.
Kerstin holt sich einen Kaffee von oben und setzt sich auf ihren Stuhl; er hat über die Jahre die Form ihrer Schenkel angenommen. Sie hört noch einmal die Nachrichten, sieht im Laden umher, macht Rechnungen, geht auf Facebook. Sie hat sechs Benachrichtigungen seit gestern; sechsmal ein Like für ihr neues Foto, dreißig Likes sind es jetzt insgesamt für ihre neue Frisur, und außerdem ein Emoji mit Herzchen-Augen.

Kerstin hat kurze, graue Haare. Vor sieben Jahren, da schloss Bei Ute, der Friseur im Dorf, hat sie mit dem Färben aufgehört; davor war burgunderrot. Alle zwei Wochen musste nachgefärbt werden, sonst sah es unordentlich aus, nein, als habe sie lichtes Haar, denn aus der Entfernung scheint der weiß-graue Ansatz weiche Kopfhaut zu sein, die unter dem falschen Burgund hervorschimmert. Das verletzt Kerstins Stolz. Sie hat kräftiges Haar. Es war ihr bestes Pfund. Das ist dein bestes Pfund, hatte ihre Mutter immer gesagt, wenn sie ihr mit festem Strich die Haare bürstete und zu Zöpfen flocht.

Manchmal packt Kerstin die Lust auf Farbe, oft im tiefsten Winter oder im späten Sommer, dann lässt sie sich eine bunte Strähne färben, ein Farbtupfer im Grau. Er macht ihr gute Laune, wenn sie sich morgens im Spiegel ansieht. Seit drei Tagen hat sie eine neue Strähne und die Frisier-Azubine hat ein Foto von ihr gemacht, das Foto, das jetzt auf Facebook Likes sammelt.

Die Schwiegertochter von Frahms, die im letzten Jahr plötzlich sehr dick geworden ist, kommt herein und kauft Eier. Auf Facebook postet der Bestatter ein neues Gedicht. Es steht in weißer Schrift auf einem roten Sonnenuntergang über schwarzen Bergen. Der Bestatter dichtet viel und immer Trauriges, heute geht es um den Spätsommer und den Herbst, der kommen wird.

Die alte Maria von gegenüber holt drei Brötchen und eine Dose Sauerkraut mit Speck. Sie muss kurz verschnaufen und erzählt, dass ihre Tochter am Wochenende zu Besuch kommt. Als Maria weg ist, raucht Kerstin noch eine Zigarette; vom Schulhof her kommt Geschrei, es ist große Pause.

Kerstin spielt ein bisschen Karten am Computer. Dann fährt der Pastor in seinem kleinen roten Dienstwagen vor; er bringt, zusammengerollt, das Plakat für das Sommerfest der Kirche. Sie kleben es zusammen an die gläserne Ladentür, zwischen Tesa-Reste, die bunten Ecken längst abgerissener Aushänge und die Suchanzeige für den Kater von Familie Wolters, für den es wahrscheinlich zu spät ist. Der Pastor hat es eilig, weil er zu einem achtzigsten Geburtstag muss.

Um halb eins ist die Schule aus und der Ansturm kommt. Schnaufend stolpern die Kinderkörper in den Ladenraum; die Riesenrucksäcke stoßen an Türrahmen, Regale, gegeneinander, und branden schließlich gegen ihren Tresen. Dahinter, an der Wand, gestapelt auf drei langen Brettern, da ist das süße Gummizeug in milchigen, runden Plastikdosen.
Kupfermünzen verlassen mühsam Kinderhände; Kerstin pult Deckel ab, greift mit der linken Hand nach den weißen Papiertüten, mit der rechten nach ihrer kleinen silbernen Zange und los geht es: Drei Cola-Kracher, zwei Schlümpfe, eine weiße Maus, eine Schaumerdbeere, nein, doch nicht, kann ich doch lieber die Lakritzschnecke haben?

Manchmal beschweren sich Mütter, die Süßigkeiten würden nach Zigarettenrauch schmecken. Die Kinder beschweren sich nie. Sie verschwinden mit den weißen Tüten in der Hand in Paaren und Horden in den Sommernachmittag. Kerstin fegt den feinen Zucker zusammen, der auf den Tresen gerieselt ist, dann dreht sie das Schild an der Tür von Offen auf Geschlossen, zieht ihren Kittel aus und geht durch den Lagerraum nach oben. Manchmal nimmt sie sich eine der Dosensuppen aus dem Laden mit. Früher ist sie in der Mittagspause oft zum Friedhof gegangen. Jetzt zupft sie ein bisschen Unkraut im Garten. Vielleicht liest sie den Stadtanzeiger.

Vor zwei Jahren wurde der Laden dreißig Jahre alt, da gab es im Anzeiger einen großen Artikel. Der Journalist kam vorbei und stellte ein paar Fragen und machte ein paar Fotos. Zwei Wochen später sah sie sich selbst in schwarz-weiß entgegen: die Fäuste auf dem Tresen aufgestützt lehnt sie den Körper der Kamera entgegen; sie lächelt wohl ein wenig, kampfeslustig mehr als freundlich. Je länger sie das Bild ansah, desto mehr gefiel es ihr. Im Text drumherum ist von ihr als Manemann die Rede; der Nachname wurde ihr im Lesen sehr fremd, sehr gewichtig. Manemann eröffnete den Laden im Frühjahr 1989 nach dem Tod ihres Ehemannes. Er hatte vorher in den Räumlichkeiten Artikel für den Heimwerkerbedarf verkauft. Und: Bei Manemanns „Kerstin’s“ findet jeder, was er braucht: Batterien für die Taschenlampe, ein frisches Brötchen zum Frühstück, Zucker für den Kuchen, Zahnbürsten und Putzmittel. Auch der neue Bürgermeister kommt zu Wort: Er sagt, dass ,Kerstin’s‘ eine Institution ist, dass ihr Laden zur DNA unseres schönen Dorfes gehört und das ist, was Dorf ausmacht: Ein Raum der Begegnung. Kerstin hat den Artikel ausgeschnitten und gerahmt und im Laden aufgehängt.

Um halb vier kommen die Bauarbeiter von der Neubausiedlung, wo Häuser mit glänzenden blauen Dächern und weißem Putz entstehen. Die Bauarbeiter zahlen immer in bar, mit gefalteten Scheinen aus der Hosentasche, genau wie die Freiwillige Feuerwehr. Mit Karte zahlen die Mütter, die eine Stunde später Zucker oder Eier brauchen, weil das Kind gestern vergessen hat zu sagen, dass es morgen einen Kuchen in die Schule mitbringen soll, Jetzt wird es eben nur ein schneller Rührkuchen. Haben Sie Vanillin?

Kerstin hat Vanillin und Backpulver und Tütenhefe und Schokodrops und diese kleinen gläsernen Aromakapseln in der Sorte Bittermandel von Dr. Oetker, und auch geringelte Aufsteckkerzchen und ein paar Röllchen Zuckerperlen, rosa und gold. Backsachen verderben nur langsam und es macht großen Spaß, sie einzukaufen und sie im Laden anzusehen; Kerstin hat sie gegenüber von ihrem Platz aufgestellt, sodass ihr Blick darauf fällt, wenn sie aufschaut.

Manchmal nehmen die Mütter noch passierte Tomaten mit oder eine Buchstabensuppe aus der Tüte. Vor einiger Zeit fragte eine von ihnen: Haben Sie Kuskus?
Beim Frauenfrühstück in der nächsten Woche – einmal im Monat ist Frauenfrühstück im Gemeindehaus –, sagte Kerstin zu Christa, jemand habe bei ihr Kuskus gewollt. Sie erzählte eigentlich nur davon, um die Stille zu füllen, die immer eintritt, wenn man neben Christa sitzt; Christa sagt zu allem Ach, das ist ja interessant mit ihrer weichen Stimme, aber eigentlich scheint sie sich für nichts zu interessieren, nicht für Klatsch, nicht für die Nachrichten, nicht für Urlaub oder Gartenarbeit, nur für Fußball ein bisschen; sie geht mit ihrem Mann ins Stadion. Auch der Kuskus war für sie interessant, aber interessierte sie nicht weiter, doch zu Kerstins Glück hatte Helga alles mitangehört, und sie beugte sich weit über ihren Kaffee und sagte, Kuskus, das esse ihre Tochter manchmal, so als Salat, mit Gurke und Tomaten. Und Pfefferminze ist auch drin. Das soll ganz gesund sein.

Am nächsten Morgen googelt Kerstin Kuskus. Couscous oder Cous Cous, steht da, ist ein Grundnahrungsmittel der nordafrikanischen Küche. Die Grundlage besteht aus befeuchtetem und zu Kügelchen zerriebenem Grieß aus Hartweizen, Gerste oder Hirse.

Grieß also, sagt Kerstin laut in den Laden hinein, zu den rosa Zuckerperlen. Das ist ja bloß Grieß. Grieß sollte sie noch dahaben. Sie kramt im Nudelregal, und wirklich, ganz hinten findet sich eine Packung Grieß, der Karton ist ein wenig verblichen, die darauf abgebildeten Nockerl in klarer Brühe sehen gräulich aus. Kerstin blickt auf das Ablaufdatum; der Grieß läuft im nächsten Monat ab. Sie nimmt ihn mit zu ihrem Tisch und verpasst ihm ein rotes Etikett und stellt ihn in die große Kiste mit der reduzierten Ware. Da liegt er bis zu seinem Ablauftag und Kerstin wirft ihn weg. Am selben Tag fährt sie auf Einkaufstour in den großen Supermarkt in der Stadt. Er ist gerade neu gemacht und vergrößert worden; alles glänzt und die gläsernen Türen der Kühlschränke öffnen sich automatisch, wenn man sie antippt, und schließen sich wieder von selbst. Kerstin denkt, dass die alten Leute sich hier doch kaum noch zurechtfinden können; dasselbe hat sie dem Journalisten gesagt.

Der Kuskus steht in der Ecke für ausländische Lebensmittel. Auf den Verpackungen mancher Marken reiten Männer auf Kamelen unter Palmen in eine Wüstenlandschaft hinein. Kerstin studiert die Zutatenliste, auf der nur Hartweizengrieß steht, und geht weiter. Der richtige Grieß ist wie immer beim Mehl; die fotografierten Nockerl sehen gelb und appetitlich aus und sind mit gehackter Petersilie garniert. Kerstin nimmt zweimal Grieß und schiebt den Wagen an die Kasse. Die Schlange ist sehr lang, an allen Schaltern stehen die Leute weit in den Gang hinein und lange geht es nicht vorwärts. Kerstin sieht auf ihre Grießpackungen und denkt an den Kuskus. An Kasse eins hat die junge Frau hinter der Kasse ein technisches Problem und die Kollegen von Kasse zwei und drei unterbrechen ihre Arbeit, um ihr bei der Lösung zu helfen. In den Schlangen seufzt man. Kerstin seufzt und kaut an ihrem Daumennagel. Verstehen Sie sich als Unternehmerin?, hat der Journalist gefragt. Da hat sie gezögert und dann Ja gesagt. Im Artikel ist davon nicht mehr die Rede gewesen. Unternehmerin-Sein heißt natürlich: mit der Zeit zu gehen. Aber es heißt doch auch: auf Bewährtes setzen.

Grießnockerlsuppe, das gab es zu ihrer Konfirmation, vor dem Braten. Manfred, glaubt sie, hat gerne Grießnockerlsuppe gegessen, aber vielleicht irrt sie sich. Ihr fällt ein, dass sie niemanden fragen kann, ob sie sich richtig oder falsch erinnert, weil da niemand ist, der sich besser daran erinnern könnte als sie oder sich überhaupt noch an Manfred erinnert.

Es ist zu warm in dem Supermarkt und aus den Lautsprechern kommt zum sechsten Mal dieselbe Werbesingle, und weil sie alles in diesem Moment lieber täte, als auf ihren schweren Beinen zu stehen und auf diese Petersiliensprenkel auf den Grießpackungen zu blicken, lässt Kersten ihren Wagen in der Schlange stehen, die sich ja ohnehin nicht vorwärtsbewegt, und geht zum Regal für ausländische Lebensmittel. Wir öffnen Kasse fünf für Sie, heißt es da plötzlich aus den Lautsprechern und also wird nun Bewegung in die Schlangen kommen; Kerstin greift dreimal Kuskus und dann ist sie zurück bei ihrem Wagen, der natürlich schon beiseite geschoben worden ist; sie schwitzt und stößt ihn mit ihrem Körper nach vorne, in das kakophone Kassen-Piepen.

In ihrem Laden ist es still und kühl. Sie räumt ein, den Kuskus als letztes; sie stellt ihn neben die Nudeln. Drei Packungen, sonnengelb, mit buntbemaltem Tontopf darauf. Sehr ordentlich, sehr leuchtend stehen sie da und werden für viele Wochen von niemandem bemerkt.

 

Carlotta Voß

 

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freiVERS | Eline Menke

Es sieht so leicht aus

wie die Sonne aufsteht
ohne Gähnen und Recken.

Wie sie schlafen geht in den
Langlaufspuren der Sätze

wo ich Dinge vermute, die sich
gegen die Laufrichtung stellen.

Es sieht so leicht aus, wie das
Wasser abläuft, Worte

auf dem Trockenen liegen
zurückgelassen an der

Mündung zum Satz.

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Eline Menke

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freiTEXT | Leon Zechmann

Mach's gut (Das Ende der Welt)

Am letzten Tag der Erde wache ich auf und schneide mir die Nägel. Ich habe dutzende Nachrichten bekommen, von allen Menschen, die ich je gekannt habe. Es hat sich angefühlt, wie alle Feiertage zusammen. Und zusätzlich vermissen dich, plötzlich, all deine Ex-Partner gleichzeitig. Entfernte Familie will Geld von dir und deine spielsüchtigen Freunde wollen in ihrem Kinderzimmer auf dem alten, brüchigen Nintendo DS mit dir spielen. Nur schreiben sie alle nicht das, was sie dann eigentlich schreiben würden. Sie schreiben alle dasselbe: „Mach's gut“. Jeder schreibt das, überall. Irgendjemand hat sich das als Motto des Weltendes ausgedacht.
Nachdem ich mir die Nägel geschnitten habe, laufe ich barfuß durch die Wohnung. Das ist mein Mindestanzeichen von Weltuntergangsstimmung. Ich hatte mir eimerweise Wasser aus dem um die Stadt fließenden Fluss geholt. Mitten in einem umliegenden Dorf war, weiß Gott wieso, noch ein Café geöffnet, die Dame dort wollte Wucherpreise für Gebäck. Also habe ich mir eine Kugel Eis geben lassen, und im Eis waren Marshmallow-Stücke. Es war relativ grässlich. Aber es hat den Trip über die Bahnschienen verfeinert, später mit den Eimern unterm Arm.
Ich wasche mir den Becher von gestern nicht mehr ab. Das passt doch auch in die Weltuntergangsstimmung, oder? Und den letzten Rest Wasser kippe ich in die Badewanne. Es ergibt sich kaum mehr als eine Pfütze. Es ergibt sich gar nichts. Ich hatte vergessen, den Abfluss zu verschließen. Ich schlage mir die Hände über den Kopf zusammen. Das kann doch nicht wahr sein. Mehr wollte ich doch gar nicht vom Ende der Welt, außer in einer modrigen Pfütze zu sitzen. Ich war bei meiner letzten Powerbank angekommen, ich hatte meine letzten Akkuprozente perfekt vorausgeplant. Ich hätte heute Musik gehört, die ich vor einem Jahrzehnt heruntergeladen habe, gesungen, mich abgeschrubbt. Vielleicht finde ich noch irgendwo zeit- und ortsnah Wasser.

Ich kann nicht genau erklären, wieso ich genau vor ihrer Wohnungstür stehe. Ich weiß gar nicht genau, ob sie da ist. Aber ich klopfe ziemlich sicher laut genug. Dann knarzt die Tür auf. Als sie vor mir steht, fällt mir auf, dass sie mir gar nicht geschrieben hatte, heute. Obwohl wir uns nie besonders geliebt oder gehasst haben. Es war eben einfach nichts zwischen uns. Am Ende bin ich vermutlich nur hier, weil wir nah beieinander wohnen.
„Wieso hast du mir nicht geschrieben?“, frage ich sie.
Sie fängt an zu prusten, so richtig, mit Spucke, so lacht man, wenn die Welt untergeht. Wir begrüßen uns trotzdem, während ich mindestens mitgrinsen muss.
„Ich hab keinen Akku mehr, seit zwei Tagen, und zu mir nach Hause fährt buchstäblich gar nichts mehr. Selbst wenn ich mit einem dieser provisorischen Nachtzüge fahren würde, würde ich nirgendwo ankommen.“
„Wieso fragst du dann nicht mich?“
„Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, aber wann haben wir bitte das letzte Mal miteinander geredet?“
„Fair, aber ist es nicht irgendwie so ein bisschen das Ende der Welt? Leute machen krassere Sachen, als sich gegenseitig nach Strom zu fragen.“
Ich bringe ihr meine allerletzte Powerbank, auch wenn ihr das kaum mehr bringen sollte als 50%. Sie hat noch überschüssige Wasserflaschen gebunkert, die nehme ich zu mir mit rüber. Das Mobilfunknetz scheint bis zum Ende nicht abzubrechen, während aus den Buchsen in der Wand seit ein paar Tagen keine Meldung mehr kommen will. Wer auch immer die Kommunikation im Land aufrechterhält, muss ein wirklicher Gutmensch sein. Das Ende der Welt passiert planmäßig gegen 22 Uhr, was mir noch etwa eine halbe Stunde gibt, um mich mit zwei Wasserflaschen abzuwaschen. Ich kaure mickrig am Badewannenrand. Es ist einfach nur kalt.
Dann fangen die Anrufe an. Und als es am anderen Ende weint, weine ich mit. Ein Großteil meiner Familie hat es zum Schluss noch geschafft, zusammen zu sein. Aber genauso wie meine großzügige Wasserspenderin bin ich viel zu weit weg. Außer Apokalypsen-Reichweite. Wäre ich direkt mit der Ankündigung nach Hause gelaufen, hätte ich es auch nicht geschafft. Wer noch angefangen hat zu reisen, hatte genauso verloren wie die, die alleine geblieben sind.
Und dann weint meine Mutter. Ich hatte mir nie vorstellen können, dass ich am Ende allen Seins in mehrere Decken eingewickelt auf meinem Schreibtischstuhl sitzen würde, dutzend Meter in der Wohnung über dem Boden, auf die kahle Stadt starrend, die mir vereitelt, mit meiner Familie zu sein, und dann weint sie, und sagt mir mit ihren beinahe letzten Atemzügen, dass sie immer stolz auf mich war, aber damals Recht damit hatte, dass ich nicht so weit hätte wegziehen sollen, und ich bin gar nicht sauer auf sie wegen des Seitenhiebes. Ich muss einfach nur weinen. Ist das eine Scheiße. Das ist der größte, der größte, gottverdammte Blödsinn, den ich je gehört habe. Wer so etwas schreiben würde, will nur, dass Leute leiden.
Es klopft an der Tür, beinahe zeitgleich mit dem 22-Uhr-Schlag. Wir verabschieden uns. Ich höre zum letzten Mal, wie meine Familie, geteilt, in ihrem komischen Dialekt ins Mikrofon brüllt, und das Tränenfließen hört nicht mehr auf. Mein Magen verkrampft sich, ich muss mir an die Brust fassen, weil mein Atmen stückig wird. So stolpere ich zur Tür, vor der sie steht, mit der Powerbank in der Hand, die, die ich ihr gerade erst gegeben hatte.

Ich glaube, es ist eine Eigenschaft des Menschen, zu weinen, mit Schnodder und Grunzen, wenn die Erde untergeht. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir beide uns vorher nicht im Entferntesten je umarmt hatten. Aber man hält sich eben gegenseitig fest, wenn es zu Ende geht.
„Bei dir ist die bessere Aussicht“, stellt sie fest, „und ich wollte dir die Powerbank wiedergeben.“
„Also, ich wollte einfach nicht alleine sein.“
Am Ende ist nur Feuerwerk.
Es ist ziemlich sicher kein Feuerwerk, es ist viel zu viel zu laut. Meine Ohren klirren. Es kommt grell durch die Fenster ins dunkle Zimmer. Wir zerfließen in die Schatten, die es wirft. Auch wenn ich die Worte hasse, die alle sagen, und sie glaube ich auch, tragen sie uns davon.
Sie ziehen sich durchs schemenhafte Sterben hindurch.
„Mach's gut.“

 

Leon Zechmann

 

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freiVERS | Sigune Schnabel

Im Meer sind Geschichten weicher als an Land

I Ursprung

In einer Maus werde ich wachsen.
Ich liege in ihrem Schoß
und rieche, wer ich bin:
Wind und Gras oder ein Tag,
der räuberisch verklingt.

Sie glauben, sie kennen mich
aus früheren Zeiten, aus Waldgebieten
und Nächten.
Ich lief durch die engen Schatten
ihrer Rufe, schlief
auf wilden Worten.

Bald werde ich ein neuer
Tag; doch verschwinden soll ich,
wo alte Geschichten
unter Zungen hausen.

Die Steine wissen vielleicht
noch von mir.

II Niemand kennt den Grund

Im Meer drehen sich die Zeiten
in die Tiefe.
Ich rieche den Atem der Steine.

Einst nahm sich der Staat Gewässer
und nannte sie sein Eigen.
Aber sie schwimmen davon
wie ich.

Überleben will ich in Wasserhöhlen.
Immer seltener möchte ich sprechen.

Am schönsten ist das Meer,
wenn es mich hält.

III Die Nacht fällt von der schwarzen Liste

In Laubwäldern heult der Wind
durch Bäume.
Kinder sprechen von Farbmustern.
Ihre Stimmen kann ich dunkel
von der Landschaft unterscheiden.

Das Leben ist schneller als ich,
überquert Flüsse und Gezeiten.

Mein Haus erzählt eine Geschichte.
Ich höre zu
und weiß nicht: Ist sie wahr?
Nie bin ich größer als ihre Worte.
Vielleicht stirbt sie vor mir aus.
Die Gräber kenne ich
und die Stille. In der Nacht
gehören alle Farben mir.

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Sigune Schnabel

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freiTEXT | Jonas Galm

aus einem leeren Mund kann man nicht flüchten, auch einen leeren Mund gilt es zu fürchten

Szenario eins.
Die Suppen: gelöffelt — jegliche Sorten von Suppe: legierte Suppen, Samtsuppen, kalte Suppen. Gebundene Suppen, Pürree. Eintöpfe. Menge, Zutatenliste, Reihenfolge ablesbar an den ehemals weißen Hemden der Tischgemeinschaft.

Hier wird gekleckert, nicht geklotzt.
Systematisch.

Infragestellung und Verfeinerung der Suppe: check.
Ist es noch eine Suppe, wenn niemand sie an- oder umrührt.
Wenn eine Suppe kein Schüsselchen findet, wohin verschwindet sie dann.
Monokel, plansch.

Die Sitte (veraltend, verhalten) verlangt es, klare Suppen — Kraftbrühen —
werden in Tassen, gebundene Suppen — püriert — dagegen in tiefen Tellern serviert,
die Sitte forciert es, die Sippe
kennt es nicht anders, hier Suppen in vorgewärmtem Geschirr und jenseits der Fingerkuppen, in Vogelschwärmen, Geschwirr,

vor dem Fenster fallen unbemerkt Schwalben aus unseren Himmeln, stupide, verstummt.

Good news: hier stellt ein Anheben der Suppenteller zur Vollendung der Speise keinen Verstoß gegen die Tischsitten dar.
Hallelujah.
Allein das heftige Pusten ist gemeinhin zu unterlassen, dagegen sollte man — zuliebe der Witterung unterer Atemwege — die Speise leicht mit dem Löffel, dem kleinen, mittleren Finger bis zum vollständigen Eintritt in den Zustand der abgekühlten Verzehrbarkeit rühren. Rührend,

um ein Verkleckern je nach Bedarf zu verhindern oder herbeizuführen, empfiehlt sich die Miteinbeziehung der Tischplatte, präzise Gewalteinwirkung auf dieselbe, Tremor, Tremolo, Crescendo, da capo!, das große Finale — die Kleckerei, endlich: das Plustern
hat sein ertrinkendes Ende gefunden,

Tischdecke, Vorhang.

Schluss.

 

Szenario zwei.

inmitten der Suppenverspeisung
Stromausfall —

Der Teller glüht. Der Löffel glüht. Die Zähne glühen.
Jemand erkundigt sich, ungefragt, nach Ursprung und Form

der Vergangenheit,

schlürfend. Die Tasse glüht.
Ich hab die Verpackung weggeschmissen,

ich habs mir geschworen, die Sitten erlauben es — Störungen, Überflutungen
zulassen. Schütter,

mit wallenden Kerzen such ich den Sicherungskasten, durchwühle den Plastikmüll, die Notversorgung ist bereits eingeschaltet,

die Lichter brennen bereits, der Müll ist bereits Suppe, dampfend,

Die Suppe hat mich verspeist.
Ich erwarte ihre Verdauung, letzte Hoffnung — carry on phenomenon —
die Gottheit in der Not, mein
last resort: Metabolismus.
Die Suppe wird selbst zum Refugium.

 

So war das,
so könnte das gewesen sein.

Man hat mir gesagt: ich hoffe, wir sehen uns bald wieder
mir gefällt dein Unterton, — ohne zu zwinkern

oder Ironie,
und ich war nackt.

Man hat mir gesagt:
Sonnenuntergang, du stöhnst sehr schön

— ein Gesicht, das zurückschaut —

wie traurig, dass nichts davon bleibt, oder nicht? (ich wollte dem weder zustimmen noch widersprechen)

Schön, dass es nun zu Ende sein muss,

J'ai faim
— aime-moi, alors!

Das ist viel leichter, als ein Gedicht zu schreiben, das nicht stupide und kurzsichtig und wahnsinnig unterkomplex gerät, trotz aller Sperrigkeit. Aime-moi, alors. Alors, warum auch nicht.
Ich habe Hunger —

Man hat gesagt,
heute schlaf ich nackt,

Oder: ich wünsche ihnen viel Gesundheit und ein interessantes Leben,

woanders, sehr nah: man ist am Ende natürlich allein,
aber ich hoffe, du vergisst trotzdem nicht: du bist nicht allein,
man muss sich verbünden.

jemand: der Rest sei ja vollkommen wurscht —

So war das.
nett.

 

Jonas Galm

 

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24 | Anna Magdalena Mähr

Gemeinsam essen

Mama sagt am Telefon, dass sie nicht mehr konnte und entschuldigt sich. Rücken und Nerven am Ende, Haus und Garten vernachlässigt. Da sagte sie ihm: Aus. Dorthin jetzt, die waschen dich, die geben dir was gegen die Schmerzen. Er hat sich von mir überreden lassen, aber dafür trinkt er jetzt nicht mehr, sagt sie und macht eine beklemmende Pause, damit ich Zeit habe, mir vorzustellen, was das bedeutet, komm lieber heute noch! Zuhause könnte ich etwas Legeres anziehen, aber auf dem Nachttisch liegen die Tabletten. Ich würde mir eine rausdrücken oder zwei und schlafen gehen. Also lieber direkt ins Hospiz.

Eine Pflegerin begrüßt mich und weiß schon, wer ich bin. Auf ihrem Schild steht nur der Vorname. Sie trägt eine Goldengel-Dauerwelle und pudriges Make-up. Statt dem erwartbaren Krankenhausgeruch tauchen wir ab in einen heimeligen Hauch von frisch gewaschener Wäsche. Da sind Linoleumböden, Hygienespender und satinglänzende Vorhänge im Farbton der unberührten Sitzgarnitur. Wir gehen an einigen offenen Zimmern vorbei und der Goldengel sagt: Aufenthaltsraum, Transzendenz- und Ruheraum, Gemeinschaftsküche. Fühlen Sie sich wie zuhause. Aber das werde ich sicher nicht. Vor einem der geschlossenen Zimmer bleiben wir stehen. Möchten Sie Kaffee oder Tee?, fragt sie. Ein Wasser bitte, sage ich mechanisch. Mein Durstgefühl funktioniert noch. Bringe ich Ihnen gleich. Sie kneift freundlich ihre Augen zusammen, als würde sie mich damit umarmen. Und wenn Sie sonst einen Wunsch haben, einfach klingeln, sagt sie und drückt mit dem Daumen auf ein Gerät aus Luft, das nicht größer ist als eine Fernbedienung. Ich nicke, als hätte ich sie verstanden. Daraufhin öffnet sie mit professioneller Zurückhaltung die Tür. Mama eilt zu uns, auf Zehenspitzen, damit die Stöckel ihrer Pumps nicht lärmen. Auf diese merkwürdige Weise huschte sie schon öfters durch unsere Familie: Bei Hochzeiten, um schnell ein aufgetrenntes Fädchen der Schleppe abzuschneiden. Bei Taufen, um dem spuckenden Säugling ein Tüchlein unterzulegen. Schön, dass du endlich da bist, sagt sie. So schnell ich konnte, sage ich, wie geht es ihm?, und linse zum Bett. Der weiße Vorhang bläht sich auf. Mama ergreift meine Hände und versperrt mir die Sicht. Sie lässt mich nicht hereinkommen. Lauwarmer Luftzug. Eine Gratwanderung, tuschelt sie, du weißt ja, wie er das alles findet. Sie macht einen Jammerschade-Seufzer. Der Vorhang galoppiert lautlos ins Zimmer hinein. Er hat keine Schmerzen und wehrt sich nicht, haucht sie fast unhörbar und hält meine Handgelenke fester. Gut, dann lass mich rein, sage ich in normaler Gesprächslautstärke, was sie mit unfreundlich zugekniffenen Augen quittiert. Ich winde mich aus ihrem Griff und betrete den Raum. Er bemerkt mein Kommen und wendet den Kopf zu mir. In seinem Gesicht breitet sich eine müde Erleichterung aus, die mich ansteckt. Was?, sagt er. Schau, wer da ist, flötet Mama und schließt die Tür. Der Vorhang fällt entkräftet an seinen Platz zurück. Hallo Papa, sage ich und streiche über seine gelbstichige Hand. Die Haut ist kühl und papieren. Wie geht es dir? Wie soll es mir gehen, sagt er mit der Schwerfälligkeit von hochdosiertem Morphium. Siehst du ja, sagt er und klopft sperrig auf die Bettdecke, um mir das fremde Bett zu zeigen, in dem er liegen muss. Ich setze mich. Mama holt den anderen Stuhl, der einsam beim Tisch stand. Und wie geht es dir?, sagt er. Ich ertrage kaum die Langsamkeit seiner Worte und versuche vergeblich zu lächeln. Mit viel Gewalt presse ich ein gelogenes Gut durch meinen angespannten Kiefer. Warum bist du gekommen?, fragt er mich.

Hinter dem halbtransparenten Vorhang liegt eine begrünte Hauswand und davor stehen Tische mit Stühlen, bunte Sonnenschirme und hohe Blumenkisten. Ich stelle mir vor, meine Finger in die Blumenerde zu stecken oder wenigstens über die Halme und Blätter zu gleiten. Ich hole tief Luft und sage: Ich komme, um mit euch Mittag zu essen. Ich habe keinen Hunger, sagt er wie ein stures Kind und starrt in die Weite zwischen uns. Ich sehe rüber zu Mama. In ihren Gesichtszügen liegt ein kampflustiges: Habe ich doch gesagt! Ein beiläufiges Streichen ertönt an der Tür. Der Goldengel kommt herein und stellt ein Tablett mit einem Krug Wasser und drei Gläsern auf den Tisch. Danke, sagen Mama und ich im Gleichklang.

Die Pflegerin schenkt ein Glas zur Hälfte ein und umfasst die knochigen Schultern meines Vaters, führt mit viel Fürsorge das Glas zu seinem Mund, aber er dreht sich weg. Möchten Sie das vegetarische Menü oder den Fisch?, fragt sie. Ich weiß nicht, ob sie mich meint und sehe rüber zu Mama, die sofort übernimmt. Ich schenke mir Wasser ein und gehe im Raum auf und ab. Goldengels Stimme bleibt weich und einladend, während sie mit Mama über das Menü spricht. Ich trinke in kleinen Schlucken und beständig. Papa schaut durch das Fenster in den grünen Innenhof. Ich denke, er wäre gern draußen bei den Blumen. Schön, sagt die Pflegerin, dann richte ich zwei Portionen für euch. Sie geht und hinterlässt eine duftende Spur Zuversicht. Mama drückt mich an ihre Seite und sagt: Wirklich schön, dass du da bist. Ja, sage ich und löse mich aus ihrer Umarmung. Mein geleertes Glas stelle ich auf den Tisch, ich komme gleich, sage ich.

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Anna Magdalena Mähr

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23 | POEDU: Emmy

Glitzerbonbons

Es gibt Bonbons,
die glitzern und funkeln
und sie leuchten sogar im Dunkeln.
Wenn ich sie in den Mund nehme,
schmecke ich die zarte Creme
und dann bin ich plötzlich
an einem anderen Ort.
Einmal stand ich sogar im Hort!
Manchmal ist man auch
in einem anderen Land.
Ich bin vorher immer schon gespannt!
Ihr glaubt es mir nicht?
Dann schreibt doch
euer eigenes Gedicht!

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Emmy (11 Jahre alt)

 

POEDU | Poesie von Kindern für Kinder. Monatlich gibt ein*e Autor*in online einen poetischen Anstoß.

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Die Aufgabe kam diesmal von Sabine Schiffner:

Erstelle ein Gedicht für ein Türchen von einem Adventskalender, den Du Deiner/m besten Freund:in schenken willst. Mach ihr/ihm also ein Geschenk aus süßen Worten. Schreibe über Deine Lieblingssüßigkeit, oder denk Dir doch einfach eine neue Süßigkeit aus, eine lustige, eklige, oder eine Zaubersüßigkeit.

 

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Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen:

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22 | Jutta Schüttelhöfer

Jetzt

im Schatten der Zeit
steht dieses Haus
wartet auf seinen Anstrich
lass uns die Wände mit Mut streichen
und die Böden mit Erinnerungen auslegen
unsere Verletzungen setzen wir
auf die Bank in der Diele
und daneben am Fenster
ist noch Platz für alles
was hätte sein sollen

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Jutta Schüttelhöfer

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21 | Marie Menke

Handschuh in Handschuh

 

Auf Weihnachtsmärkten küsst es sich gut, sagst du.

Ich entgegne dir: Der Glühwein ist mir zu bitter.

Auch auf meiner Zunge?

Ich probiere davon und nicke. Auch auf deiner Zunge.

 

Wir bahnen uns durch die Menge, Handschuh in Handschuh, und ich erhasche im Vorbeigehen einen Blick auf unsere roten Wangen, wie sie sich spiegeln in der Weihnachtskugel, ganz oben in der Zweigkrone eines Tannenbaums, o Tannenbaum. Ich würde deine Hand gerne loslassen, aber möchte dich nicht verlieren.

 

Ich kauf dir ein Lebkuchenherz, sagst du.

Ich entgegne dir: Die sind mir zu süß.

Darf ich dir was anderes schenken?

Ich stecke meine Hände in die Taschen.

 

Von den Lichterketten der Buden wachsen Eiszapfen zu uns herunter. Mir läuft die Nase, mein Atem zeichnet sich weiß wie Zuckerwatte in der Winterluft ab und die Waren glitzern. Morgen kommt der Weihnachtsmann, dabei mag ich keine Geschenke von Männern, auch nicht von solchen, die ich liebe, erst recht nicht von dir.

Ich schaue dich schniefend an, deine Augen groß wie die des Nussknackers, und stecke meine linke Hand mit meinem zusammengeknüllten Papiertaschentuch darin in deine Jackentasche. Meine Finger wandern in das Innere deines Handschuhs, legen sich auf deinen Handrücken und reiben sich an dem kratzigen Fell, eine geschenkte Wärme, für die ich nicht einmal einen Glühweinkuss eintauschen musste.

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Marie Menke

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