freiVERS | Karl Stephan

Der Fenstersturz

Als P. sich aus dem Fenster stürzte geschah dies lang und wohl durchdacht
Drum schien auch, außer den Passanten, niemand so wirklich überrascht
„Nun, irgendwie war´s zu erwarten“, sagte man in der Nachbarschaft
„Ich fand sie immer etwas seltsam“, meinte Frau M. aus Stockwerk Acht
Begleitet von verstohlenen Blicken wurde P.s Leichnam weggebracht
Man sah hinab von den Balkonen, betroffen guckend, doch gefasst
„Sie hatte es nicht leicht, die Arme und so zu sterben – ekelhaft!“
Dann ging ein jeder weiterleben und was man eben sonst noch macht.

Karl Stephan

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mosaik19 - BABEL

Sommer 2016

48 Seiten, Klebebindung

mit:
  • Alina Özyurt
  • Matthias Engels
  • Miku Sophie Kühmel
  • Camena Fitz
  • Andreas Hutt
  • Steffen Roye
  • Safak Saricicek
  • Giuliano Spagnolo
  • Axel Görlach
  • Marina Büttner
  • Claudia Kohlus
  • Pascal Andernacht
  • Philipp Böhm
  • Peter.W.
  • Alke Stachler
  • Andreas Reichelsdorfer
  • Esther Nowy
  • Mercedes Spannagel
  • Gerd Sulzenbacher
  • Matthias Vieider
  • The Android Collective
  • Interlab
Übersetzungen von Texten von:
  • Ghayat Almadhoun
  • Dan Ciupureanu
  • Emanuele Pon
  • Marko Dinic
  • Tobias Roth
  • Federico Ghillino
  • Alessandro Mantovani
Mit Auszügen aus:
  • studentINNENfutter 3
  • KulturKeule XX - Die Reise nach Sils Maria
Buchbesprechungen:
  • Alexandru Bulucz: Aussein auf uns

Leseprobe


mosaik19 ist am 1. Juni erschienen

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eBook ab sofort erhältlich

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freiTEXT | Andreas Reichelsdorfer

Soundtrack of urban happiness makes my mind split open

Das Lied A Horse With No Name der Gruppe America ertönt aus den Lautsprechern [1]. In einer Rezension auf einer informativen Musikseite bezeichnet ein Autor die Band als Neil Young - halt: Neil Young ähnlich. Get your facts straight, buddy. Und leite einen Text über die dunklen Straßen der Stadt (oder das Glück und das Unglück) nicht mit einem Song ein, der außerordentlich bekannt ist, der ein One-Hit-Wonder ist, den jeder kennt und von dem jeder denkt, dass er von Neil Young ist. Denkt denn keiner, dass er von Neil Young ist? Behauptung (kühn wie belanglos): Etwa fünf Prozent der Menschheit ist der Name Neil Young ein Begriff. Den Song A Horse With No Name andererseits werden vermutlich weit mehr Personen erkennen, als Personen, die Neil Young kennen. Und so wird alles ausgehebelt, mein Freund. Don’t fear the reaper. Ein One-Hit-Wonder sondergleichen und noch dazu ein schmachtendes Gitarrensolo [2], das im Radio abgeschnitten wird, sofern es noch ein Radio gibt. Die Fernseher wurden nämlich schon abgestellt. In einer Zeitung (Print) standen Statistiken über Romeo und Julia, doch welche Personen wurden denn überhaupt ausgewählt für diese Umfrage? Cirka tausend. Schön. Das sagt sich leicht, wenn man bedenkt, dass ein Querschnitt mitunter treffende Aussagen vermeidet, und Metallsolos das Konservativste sind, was die Rockmusik jemals hervorgebracht hat. Sie ruinieren die Lieder. Doch danach geht alles wieder seinen gewohnten Gang: Vers, Chorus, Kaffee in der Pause, Zigarette, am Ende auch noch arbeiten und Geld erwirtschaften, zum Teil für sich selbst. Dann wird gehortet, allerdings wird oft mehr gehortet, als angegeben wird, und unter den Matratzen der Verstorbenen werden immer wieder Bündel gefunden, die meist von Maklern eingesteckt werden, in seltenen und klar zu befürwortenden Fällen aber an die Erben weitergereicht werden, die sich damit vielleicht nicht gerade ein Haus am See, doch aber Essen, Trinken, Liebe und Sex leisten können. Das muss gut sein. Wenn du von Bob Dylan stiehlst, dann stiehl richtig: Der Mann in dir stiehlt [3]. Aber masturbiert er? Eingeschlossen in vier Wänden, manchmal beobachtet von draußen, von draußen betrachtet so gesagt sehr witzig, im Kopf im Großen und Ganzen: Pressen, Schnaufen und nach draußen Drücken, dann: Leere im Papier. Reinigung kann so nicht aussehen, aber das Piano und vor allem die Stimme (die Stimme!) können Balsam auf deine Flügel geben, wenn du es zulässt, wenn du es zulässt, und dann flieg Vogel, flieg!, in die Nacht hinein. Der Tag hat schon zu viel kaputt gemacht. Sagen wir es so: Wir müssen auch einmal versuchen, zu leben, und dabei kann man nicht umher, die Realität ein wenig seinen eigenen Vorstellungen anzupassen - um nach draußen zu gelangen, auch: auszubrechen (schwülstig, schon, doch ebenso weich wie hart wie zart - hart aber herzlich). Wenn du schon zitieren musst, lieber Kollege, sagte der Dozent, dann zitier richtig. Mir aber blieb dieser Song verschlossen und ich konnte keinen Zugang finden, obwohl ich ihn doch kannte, weil er auf einem Soundtrack zu finden war [4]. Dabei wurde auch hier einiges an Gefühlen hineingelegt. Das war herzzerreißend, im zweiten wahrsten Sinne des Wortes. Und doch fand es bei einem Großteil (ca. 98%) keinerlei Beachtung. Kam nicht an, kam nicht durch, verpflanzte sich in andere Gegenden und erreichte immerhin Elvis Costello, der die Brille abnahm, kühl sang wie er es doch tut, und am Ende Tanzen. Was bleibt am Ende anderes übrig als Tanzen? Nun, vermutlich gäbe es da noch ein paar Dinge, sagte der Dozent, und stampfte seinen Laptop ein (zu den andern Dingen), um im Hinterzimmer, in dem zwei Nackte sehnsüchtig warteten, zu verschwinden. Dort kamen wir. Dort kamen wir an, und wir bespürten unsere Häute, und es war ein wundervolles Gefühl. Dabei lernten wir noch viel zu wenig. Was wir behielten, brachte uns nur ein Stückweit weiter, nicht mehr. Die Stimme, die Opernstimme, Alt, klingt so gefühlvoll, doch sie kann uns nicht erreichen, nicht heute. Wir betrachteten den Zustand, der uns alle umgibt: Nicht leicht zu urteilen, mein Freund! Schwerer als erwartet, nicht? Ich sag dir was: Ich bau dir ein Schiff – das dauert, grob überschlagen, zwei Monate, sage ich einmal -, setz dich ein und schick dich los, auf die Weltmeere. Ja, ich weiß, was du sagen wirst: Europa ist zu. Europa ist geschlossen und du kannst nicht an die Meere gelangen. Und dann kommt aus dem Nichts ein Italiener und er sagt: Spanien liegt am Meer; Belgien liegt am Meer; Montenegro liegt am Meer. Usf. Damit wurde die Theorie, an der du Monate lang gefeilt hast, ausgehebelt. Und so heißt es also: von Neuem beginnen. Schwer zu schätzen, dein Alter, schon klar, aber: Sämtliche Uhren in deiner Wohnung gehen anders, keine stimmt mit der andern überein (geschweige denn Atom!), und dann stöhnen sie es aus den Boxen [5]. Sie stöhnen nur und das klingt sehr lüstern. Wir müssten die Liebe finden! – So, stopp jetzt mal: Schmeiß nicht mehrere Themen zusammen, wo stöhnen sie? Im Schiff. Was soll das heißen, im Schiff? Sie segeln, sie stöhnen. Das muss dir doch klar sein! Sie segeln, berühren sich, und versuchen, ein Stück weiterzukommen. Gut, damit kann ich leben. Das klingt sehr vielversprechend. Das klingt wie das Glück, das mir verblieb [6]. Es baut sich sanft auf und bleibt lange Zeit im Verborgenen, aber wenn ich nur einen Ton höre, an einem für Außenstehende ganz willkürlichen Moment, bricht es aus mir heraus. Ich weine dann sogar. Ich kann weinen. Ich habe, wenn ich zurückblicke, viele Jahre nicht geweint, auch, wie ich mir einredete, weil niemand gestorben war. Aber ich habe nicht einmal auf der Beerdigung meiner besten Freundin geweint. Du warst also verschlossen. Ja. Aber seit geraumer Zeit weine ich mindestens einmal am Tag. Aus Verzweiflung. Und aus Glück. Das klingt ja sehr schön, aber lass uns erst einmal in das Hotel einchecken, die Rezeption schließt schon um neun Uhr. Neun Uhr Nachtzeit, aber wir haben doch noch nicht einmal halb sieben. Allerdings traue ich dieser Uhr nicht! Die da um mein Handgelenk hängt. Armbänder werden überall gefunden, an allen Enden der Welt. Lass uns uns nicht verschließen, sondern lass uns offen da liegen, auch wenn du dir wehtust. Warum nicht Techno? Warum nicht einmal Techno, Elektro? Warum nicht einmal die Seele wegsperren, und seelenlos so tun, als hätte man eine Seele? Lüge, Manni, kleine Lüge. Abgesehen davon: zu sehr fünfziger Jahre. Darf ich bitte Ihren Ausweis sehen? Das kostet Sie zweivierzig, Arbeitergebühr. Gerne zahle ich diese zwei vierzig, sie springen nur so aus meiner Tasche auf den Tresen, drehen sich eine Weile um sich selbst, kommen an und verschwinden klingelnd. Mein Fleisch fühlt sich wie dein Fleisch an, wenn du mich so berührst, wenn du mich so berührst, wenn unsere Körper sich so spüren wie in dieser Hitze, dann kann ich unsere zwei Seelen nicht mehr unterscheiden, weil sie verschmolzen sind, weil sie sich in einem Körper befinden. Sex und Liebe, Manni, Sex und Liebe. Aber du kostest zu viel! Du bist zu schön! Deine grauen Augen haben es mir angetan, das kann ich nicht verheimlichen, und nachts denke ich an deine Brustwarzen. Ich schwitze nachts und der Bohrer hat mich bis dreizehn Uhr heute Mittag durchgetragen. Ich kann dir sagen, so viel geträumt habe ich noch niemals zuvor in meinem Leben! Wir sollten den Soundtrack ändern und in eine andere Welt übertragen. Sagen wir: Welt X. Die „neue Welt“, die „Welt im Standard“, die „Gedankenwelt“, oder auch: „Offene Welt, aber auf klein, und nur oberflächlich“. Sie scheinen sich zu oft zu heucheln, das kann und muss klar gesagt werden. Ihre Heuchelei zerstört dann das Individuum, aber die Allgemeinheit kann weiterleben. Weil die Festplatte viel zu voll ist. Kein Speicherplatz mehr, keine Chance. Kauf dir eine neue. Die formidabelste aller Lügen: Martin sagte, Schreiben macht frei. Dabei macht er sein Geld bei einem kostenlosen Tagesblatt und berichtet größtenteils über Kurzparkzonen und Abschiebungen. Jeder wird glücklich sein. In den Vereinigten Staaten von Amerika gab es eine Zeit, in der jeder glücklich war, sagen wir es so: Suburban happiness makes my mind split open [7]. Der Tod ist schlimm, aber ich kannte ihn nicht. Ich focht zu sehr mit ihm, sodass ich ihn alsbald vergaß. In meinen Träumen kam er manchmal mit mir, aber wir haben gelernt, dass Träume Realität sein müssen, es jedoch nicht schaffen, weil sie in den eigenen vier Wänden stattfinden und nebenan immer die Wohnung umgebaut wird, sogar um zwei Uhr nachts. Gedämpfte Gestalten tragen dann Betten durch den Hausflur, und der Aufzug fährt raufundrunter, raufundrunter. Vibration. Ich habe aber Unrecht. Ich erfahre es nicht, ich habe es nur in einer Zeitung gelesen, die von einem gewissen William verlegt wird, der sich mittlerweile auf den Balearen zur Ruhe gesetzt hat und nicht einmal einen Netzanschluss geschweige denn -telefon besitzt. Er ist bereits ausgetreten. Somit bleiben nur zwei Möglichkeiten: raus, oder: runter. Das Lied bevorzugt raus. Ich bevorzuge die klare Seite. Welche Seite, wenn ich fragen darf, bevorzugen Sie auf Ihrer Seite?

[1] [“A Horse With No Name”, America (1972)] https://www.youtube.com/watch?v=Tm4BrZjY_Sg
[2] [“Don’t Fear The Reaper”, Blue Öyster Cult (1976)] - [Solo ab ca. Min. 2:29] https://www.youtube.com/watch?v=ClQcUyhoxTg
[3] [“The Man in Me”, Bob Dylan (1970] https://www.youtube.com/watch?v=s10ldVRHRSw
[4] [“Her Eyes Are a Blue Million Miles”, Captain Beefheart (1972)] https://www.youtube.com/watch?v=MRlWbzdmJQA
[5] [“Walking Song”, Meredith Monk (1997)] https://www.youtube.com/watch?v=P8r4eHM8Zlk
[6] [„Glück Das Mir Verblieb“ (aus der Oper Die Tote Stadt), Komposition: Erich Wolfgang Korngold, Interpretation: Ilona Steingruber/Anton Dermota & The Austrian State Radio Orchestra (1949)] https://www.youtube.com/watch?v=kql0A190SUk
[7] [“I Heard Her Call My Name”, The Velvet Underground (1967)] https://www.youtube.com/watch?v=EeuvZOEOaGw

Andreas Reichelsdorfer

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Zweifel zwischen Zwieback: Die Auswahl steht

Es ist wunderschönes Wetter. Wir lesen ein Buch, das es noch gar nicht gibt.

Die Jury hat sich nach intensiven Wochen und mehr als 500 Din-A4 Seiten Lesematerial zu einer Entscheidung durchringen können. Wir haben uns diese Auswahl nochmal in Ruhe angesehen und können sie uneingeschränkt übernehmen.

Aus der allgemeinen Stellungnahme der Jury:

"Kriterien waren, wie sich im Zuge unseres Gesprächs gezeigt hat, natürlich Themenerfüllung (auch wenn wir hierbei nicht ganz so streng gewesen sind), stilistische Eigenständigkeit, Kreativität, Kohärenz, Aufbau des Textes und auch, ob der Text seine Qualität wirklich durchgehend halten konnte. Außerdem haben wir darauf geachtet, dass die Texte auch als Anthologie funktionieren, also möglichst verschiedene Zugänge zur Themenstellung eröffnen. [...] Das wird sicher ein ganz tolles, "jubiläumswürdiges" Buch."
An dieser Stelle nochmals ein herzliches Dank an unsere Jury, die so kompetent und intensiv sich mit den Texten auseinandergesetzt haben. Es waren dies:
  • Sigrid Klonner, Autorin
  • Marlen Mairhofer, Autorin und Literaturwissenschaftlerlin
  • Christian Lorenz Müller, Autor und Kulturveranstalter

Wir baten die Jury, 5-10 Texte aus euren Einsendungen auszuwählen. Schlussendlich wurden es 12. Einzig und allein, weil die Qualität eurer Texte so hoch ist, dass eine Einschränkung auf weniger Texte nicht gegangen wäre. Die Texte waren anonymisiert, daher fanden wir die Auswahl besonders spannend. Einige Auffälligkeiten haben sich gezeigt:

  • sowohl die erste als auch die letzte Einsendung sind im Buch vertreten
  • die Geschlechterverteilung ist zufälligerweise genau 50/50
  • auch das Verhältnis von AutorInnen, die bereits im mosaik veröffentlicht haben zu jenen, die uns neu sind liegt genau bei 50/50
  • das Genre Prosa wird in alle Richtungen ausgereizt: lyrische Einschübe, fast schon ein kurzes Drama, essayistische Darlegungen oder grafische Elemente zeugen davon...

Weil kaum jemand weiß, dass heute in Österreich und Süddeutschland Feiertag ist - oder geschweige denn: Warum? -, haben wir uns gedacht: Lasst uns doch etwas eigenes zum Feiern finden. Im Laufe des Tages gehen die Zusagen an die 12 AutorInnen raus. Und leider auch die Absagen. Anyway: Es kommen bald neue Ausschreibungen zu neuen Projekten.

Die 12 Autorinnen und Autoren werden wir in den nächsten Wochen hier einzeln vorstellen. Gleichzeitig beginnt das Lektorat, Satz und Grafik. Es wird schön gewesen sein!


freiVERS | Nora Sauer

Ohne Titel

Ich habe die Sonne gesehen
als es noch hell war.
Du hast die Katzen beschrieben.
Ich die Hunde.

Du fragst mich ob ich glücklich sei.
Ich betrachte die Türen deines Systems.

Ich habe durchgeschaut , mich hinter Vorhängen versteckt.
Du hast mich gefragt : Wie es so wäre mit der Sonne ?

Ich habe geantwortet : Es wechselt.

Und das Ende fragst du mich ?
Steht offen , Blau soll es werden sagst du und hältst vorsichtig meine Hand.

Nora Sauer

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freiTEXT | Alisha Gamisch

Kurz davor

Ich hab mich mal umgeguckt, ich glaube, wir sitzen am Rande einer Eingebung und bleiben da sitzen. Es ist extrem wichtig, dass wir weiterkommen, das weiss ich schon, aber es fühlt sich an, als ob wir sitzen, die ganze Zeit sitzen, dass da nichts passiert. Das hab ich mich gestern auch schon gefragt, wie wir hier alle sitzen können und doch auf nichts kommen. Der Versammlungsraum ist echt schön, haben sie diesmal gut ausgesucht, ganz alt und so, ich finde auch diese Bauxästhetik richtig schön, alles ein bisschen heruntergekommen, da klingt es drin wie frisches Heu. Nur die Luft ist nicht gut, mittlerweile richtig stickig hier drin. Ich drehe mich mal eben unauffällig auf die Seite und schaue, was meine Nachbarin, ich glaube sie heißt Amil, da macht. Sie schaut total aufmerksam und bewegt sich keinen Milimeter, ich glaube, sie blinzelt nicht mal. Sie hat so ein perfektes, nicht zu schickes Hemd an, das gleichzeitig intellektuell wirkt, so was imponiert mir immer, weil ich Kleidung selbst nie so drapiert bekomme, dass ich ausstrahle, wie ich nach außen wirken möchte. Amil sitzt da auf jeden Fall ziemlich selbstsicher in ihrem Hemd, das bestimmt genau das ausdrückt, was sie ausdrücken will und ich glaube, sie hat sich jedes Wort gemerkt, das gesagt wurde, sie hat ihren einen schlanken Fuß lässig auf ihrem anderen Knie abgelegt, zumindest sieht es lässig aus, und schreibt jetzt was in ihr Notitzbuch. Ich hab gar nichts mitbekommen. Die Sprecherin hat etwas von Aktionsbündnis geredet, das hab ich aus dem Augenwinkel gehört, aber ich weiss überhaupt nicht mit welchen Leuten oder hat sie vielleicht eine verbündete Gruppierung gefunden?  Ich versuche zu lesen, was auf Amils Notizblock steht, ist aber viel zu klein. Neben mir, auf der anderen Seite sitzt Lenn, sie kann gar nicht mehr, glaube ich, ganz anders als Amil ist die. Sie hat ganz dunkle Augenringe die sind fast so tief wie der Graben, der sich zwischen mir und meinen Freundxn aufgetan hat seit ich hier beigetreten bin. Ich weiss, dass das hier anonym sein soll, dass das ganz geheim ist, aber meine Freundx haben trotzdem was gemerkt, ich glaube, sie wissen nicht ganz was genau hier läuft, aber sie sind auf jeden Fall nah dran. Lenn reibt sich die Augen und legt ihren Kopf nach hinten auf die Lehne ab, ihre Augen sind zu, ich stubse sie kurz an, damit sie aufwacht, aber nichts geschieht, ich glaube sie schnarcht leise. Okay, wir sitzen einfach schon zu lange hier. Ich melde mich jetzt. Die Sprecherin nickt mir zu. Ich frage, Wex ist für eine Pause? Die Runde sieht mich erstaunt an. Ich kann an ihren Gesichtern ablesen, dass ich nicht die einzige bin, die sich das schon lange wünscht. Aber Markus, eine vom Kommitee, räuspert sich kurz und lässt die Runde ruhig werden. Wir sind gerade doch bei so einem wichtigen Punkt, sagt sie, ich habe das Gefühl, dass wir kurz vor einer Lösung sind. Wenn wir jetzt in die Pause gehen, dann war alles umsonst. Ricky, die wie Markus zum Kommitee gehört, nickt zustimmend. Dann nicken noch ein paar andere. Ich hab schon sowas geahnt, aber es ärgert mich trotzdem, dass auf mich hier nie gehört wird. Sollen wir abstimmen? fragt Ricky in meine Richtung, aber ich schüttele den Kopf. Ist schon gut. Dann schlafen eben alle hier ein und können ihre Gedanken nicht sammeln und wir bleiben noch die ganze Nacht wach, wenn die meinen. Aber ich sage nichts, ich habe hier eh schon so einen Status, dass ich zu  wenig engagiert bin. Da sagt Amil auf einmal ziemlich laut in die Runde: Also ich finde, dass sie recht hat, wir kommen so zu nichts, die letzten zwei Stunden drehen wir uns im Kreis, sind kurz davor, und dann drehen wir uns wieder im Kreis. Meiner Meinung nach sollten wir einen Locationwechsel in Erwägung ziehen, das kann sich positiv auf das Denkvermögen auswirken. Stille - ich bin richtig erschrocken - alle schaun auf mich und Amil. Und zwischen uns hin und her. Na gut, also ist doch mal jemand auf meiner Seite. Ricky sagt was, die Köpfe drehn sich dominoartig einer nach dem anderen von uns weg, zu ihr hin. Ricky sagt, dass es okay ist. Dass wir nach draußen gehen, dort machen wir zwar keine Pause, aber weiter und zwar im Stehen. Das hilft uns bestimmt auf die Sprünge. Ich schaue Amil an, die gar nicht in meine Richtung schaut, aber ich bin richtig froh, dass ich eine Pause vorgeschlagen habe, und alle sich nicht getraut haben mir zuzustimmen, nur Amil. Ich schüttele Lenn so lange bis sie aufwacht. Alle sind etwas unbeholfen auf den Beinen, nicht nur Lenn. Wir gehen nach einander raus unter so einen Sternenhimmel, den haben wir alle nicht erwartet, jede starrt total perplex nach oben und guckt die Sterne an, ich rieche, wie sie da oben milliardenfach strahlen. Die Luft ist klar schneidend, ich meine, das hätten wir erwarten können. Aber was wir auch nicht gemerkt haben ist, dass wir uns in unseren Kreis positioniert haben, ich sehe das erst, als ich meine Nase von den Sternen wegreissen kann. Jede steht so, dass sie genau zwischen denen steht, neben denen sie auch gesessen hat. Die Sprecherin ist plötzlich sofort wieder am Reden, ich finde das passt jetzt gar nicht zu dem Moment. Da denke ich nochmal dran wie wir so an der Eingebung gesessen haben und wie das da drinnen war und die kalte Luft strömt durch mich durch. Und da hab ichs, da hab ich plötzlich den Rand übersprungen, ich weiss es jetzt. Das ist vielleicht ein tolles Gefühl, dass ich als erste da drauf gekommen bin. Ich sage es jetzt gleich den Anderen. Noch kurz auskosten. Gleich sag ichs. Ich habs! ruft da Markus mit ihrer tiefen Stimme gegenüber von mir. Ich habs auch! ruft Lenn. Ich auch! ruft Ricky ungläubig. Da rufen es alle nacheinander. Ich finde das extrem ungerecht. Amil sagt nichts, wie ich, guckt mich kurz an und schaut dann wieder hoch zu den Sternen.

Alisha Gamish

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studentINNENfutter 3

Studentische Literatur ist…
jung? modern? avantgardistisch? unangepasst?
sie kommt von innen? stülpt das innenfutter nach außen?
ist nahrhaft und preiswert zugleich?

Ein Abend mit

Musik von Waste of Ink

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Di, 7. Juni 2016 | 19:30 | Literaturhaus Salzburg

sei dabei!

Präsentiert von mosaik – Zeitschrift für Literatur und Kultur, auf Einladung der SAG, mit Unterstützung der ÖH Salzburg.

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nehmen wir an, es ist wahr: stein schleift schere, schere schneidet papier, papier seele, eine seele ist eine seele ist eine see. wir nehmen an, dass sie existiert. verhält sie sich zum see wie das augenlicht zur lunge, mögliche szenarien eines ablebens mit see. gibt es nichts, das sich zu berühren lohnte, zu schwimmen. tauchen, ganz, hauptsache. see schneidet körper, bewegung reinen lichts, wie kann man mensch das aushalten.

Alke Stachler

Alke stellt beim studentINNENfutter ihr Buch dünner Ort vor, das in der edition mosaik erschienen ist.

 


 

was übrig bleibt

das wasser rinnt mir aus mund nase und ohren er hört nicht auf zu sprechen das wasser schmeckt nach froschleichen er ist ein kaulquappensammler ich liege auf dem rücken in seinem grasgarten und meinen kopf halte ich ins wasser seines trüben teiches wenn er die eine kaulquappe nicht fängt dann eine andere ich sage ICH FINDE GUT WAS DU MACHST DU RETTEST SIE DU HAST EIN GROßES HERZ er lacht wie das ententier mit fraß im mund zwischen seinen zähnen erhängt sich plankton seine blonden haare sind wie sonnenstrahlen NUR WENN SIE SCHÖN SIND sagt er SEHE ICH SIE ÜBERHAUPT AN er steckt sie in alte gurkengläser und stellt sie in sein kleines zimmer zu viel wasser im kopf ist nicht gut es löst das gehirn auf und übrig bleibt matsch mit algenwurzeln

meiner besten freundin sage ich dass ich mich verliebt habe mehr oder weniger ein bisschen verguckt ein bisschen verschaut ein bisschen ertrunken sie fragt WER IST ER? wir sind in seinem kleinen zimmer er und ich wir fahren mit unseren fingern über kalte gläser er hat durchscheinende aufgequollene hände ich möchte dass er mich ansieht aber ich habe kein etikett und gehöre in kein glas er erzählt mir von kaulquappen wie sie sich bewegen wie sie schlängeln wie sie sich aufbäumen es fällt mehr dreck auf den boden ich will nichts aufheben ich glaube an ihn ich finde ihn gut ich sage es ihm ich höre auf zu atmen ich schlucke mehr wasser mehr wasser für ihn ichichich

[...]

Mercedes Spannagel

den vollständigen Text kannst du in mosaik19 nachlesen oder beim studentINNENfutter 3 hören...

 


 

Letztes Fragment aus den Gedankenexperimenten

Bereich Gedankenhilfe

Jemand hebt ab.

Schlepps, Gedankenhilfe“ - ich bemerke gleich, dass die Frau am anderen Ende der Leitung alles andere als erfreut über meinen Anruf ist - „was kann ich denn für Sie tun?“

Ich imaginiere mir eine nichtrauchende Frau mittleren Alters, die mit müden Augen auf den Monitor blickt. Auf ihrem Schreibtisch befinden sich außerdem: Tastatur, Maus, Drucker/Scanner, ein Glas Wasser, eine leere Kaffeetasse, Druckerpapier, Ladegerät.

Vor ein paar Tagen habe ich mir vorgenommen, zumindest eine Zeitlang den freundlichen Menschen zu spielen; also sage ich: „Grüß Gott, Fr. Schlepps. Ich würde gerne einige Informationen über noch einzureichende Formulare einholen. Bei der Bearbeitung der Dokumente zum Antrag auf Ausgleich meiner Gedankensteuer ist es scheinbar zu einigen Ungereimtheiten gekommen. Es sollen ein paar Missverständnisse aufgeklärt werden.“

Am anderen Ende der Leitung höre ich Schlepps tief, tief durchatmen. Daraufhin versuche ich, mir einen qualmenden Aschenbecher auf ihren Schreibtisch zu imaginieren. Es funktioniert nicht. So muss ich mir selbst eine Zigarette anzünden, finde aber die Schachtel nicht. Ich ändere kurzerhand meine Taktik: „Schlepps“, sage ich, „hören Sie zu. Ich möchte mich mit Ihnen auf einen Kaffee an der Ecke Schottenfeldgasse/Westbahnstraße treffen. Am besten sofort. Hätten Sie Zeit?“

Aus verlässlichen Quellen weiß ich, dass Schlepps neben ihrer Tätigkeit im Magistrat in einem einschlägigen, landesbekannten Pharmavertrieb als Telefonistin im Bereich Verkauf arbeitet. Ich selbst helfe dort gelegentlich aus. Im Pausenraum hatte eine Weile das Wort die Runde gemacht, ihr sei von den dortigen Obrigen nach wiederholten „Zwischenfällen“ aufgetragen worden, den Klang ihrer Stimme doch „ein wenig freundlicher“ zu gestalten, was sie bis dato sogar „durchaus passabel“ befolgt haben soll. Allerdings gibt es im Magistrat im Bereich Gedankenhilfe keine solche Anordnung. Was im Grunde nur allzu verständlich ist - die Gedankenexperimente begründen sich auf gänzlich anderen Fundamenten als jenen der Höflichkeit. Es werden hier größere Netze gesponnen. Die Bürger, die sich an den Experimenten beteiligen, genießen im Alltagsleben ausreichend Bevorzugungen, um über einen gewissen Grad des ihnen beigebrachten Ratlosseins und Verzweifelns hinwegzusehen.

Schlepps scheint mitnichten auf mein Angebot einzugehen und schweigt. Ich lasse ein paar Sekunden verstreichen, ehe ich ihren Namen ein weiteres Mal ausspreche: „Schlepps …“, dann breche ich ab.

Ich imaginiere mir den Traum von letzter Nacht: Klim, ein Alter Ego meiner Schattenwelt, betritt in einem Park am Stadtrand eine Untergrundtoilette und erschlägt in Trance mit einem Baseballschläger zwei feiernde Nationalisten. Zunächst scheint er ungeschoren davonzukommen, doch wenig später wird er, verursacht durch ewiges Warten, in den Gängen des Magistrats dem Neuen Gericht übergeben. Eine weitere Folge der Gedankenexperimente. Einzig ohne Bestandteil der ganzen Maschinerie zu sein, hätte Klim die Möglichkeit aufrechterhalten können, einer Verhaftung zu entgehen.

Er sitzt im Wartezimmer und ist dabei, Formular Nr. 112 auszufüllen. Schon bei der zweiten Frage kommt Unklarheit auf:

„Herr Vorsteher? Ich bin mir nicht sicher, was ich auf diese Frage antworten soll: Streichen Sie alle von Ihnen noch nie ausgeübten Berufe. Das ist eine lange, lange Liste. Das muss Ihnen klar sein. Außerdem bin ich Schwarzarbeiter. Im Grunde erscheint es mir vollkommen unmöglich, diese Frage wahrheitsgemäß zu beantworten.“

Der Vorsteher, der hinter der Theke mit einem Bezirksrat telefoniert, wirft ihm einen Blick zu, in den er sämtlichen Abscheu legt, der ihm zu Verfügung steht. Daraufhin schüttelt er müde den Kopf. Er kritzelt etwas auf einen Notizblock, reißt die Seite heraus, faltet daraus einen Papierflieger und lässt ihn in Klims Richtung segeln. Der Zettel landet in Klims Schoß. Er öffnet ihn.

Dort steht in gerader, dünner Schrift: „Wenn Sie innerhalb von 10 Minuten nicht verschwinden, werden Sie nicht mehr verschwinden können.“

Klim blickt zum Vorsteher und schenkt ihm ein Lächeln. Das Lächeln stößt auf Abweisung. Der Vorsteher ist wieder in sein Telefonat vertieft. Klim zerknüllt den Zettel und steckt ihn in seine Jackentasche. Er bricht das Ausfüllen des Formulars ab und wartet. Kurz darauf wird er abgeholt.

Schlepps!“, hieß es am Telefon. Ich war eingenickt. Wieder. Der Warteraum war gefüllt mit Menschen, und mein Blick fiel auf einen Bewerber, der in einen Raum gezerrt wurde.

Andreas Reichelsdorfer

Weitere Texte von Andreas und den anderen AutorINNEN des studentINNENfutters findest du in mosaik19.


freiVERS | Beate Ronacher

Never learn

not to love

Allerdings,
welche
Rolle spielt
die Einsamkeit
schon
heute

Beate Ronacher

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freiTEXT | Evelyn Mayr

Mai 13

Seinen Pfad finden durch die offenen grünen Tore des Traums, das hektische Suchen nach dem Schlüssel hinter sich lassen, irgendwann den Weg mit geschlossenen Augen kennen, sicherheitshalber noch nach dem Rahmen der Tür tasten, durchgehen, in federnder Freiheit, Verrücktheit und Freude, dorthin, wo es gut ist, in die andere, diese Welt, ein Schreiten hinüber ins weiche All sein, dabei hier bleiben, mit sich und einander sein, gütig behütet, geborgen umsäumt - in Watte lachen hinter der sperrangelweit offenen Tür.

Evelyn Mayr

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freiVERS | Andreas Schumacher

gestatten,

ich bin
oder
vielmehr eigentlich
lautet mein künstlername

rené nikolaus mollenkopf-kolbenhaupt,

erster und einziger sohn
der zürcher ballettchoreografin
dorothea henriette mollenkopf
und des berliner schauspielintendanten
heinrich von kolbenhaupt;

erwecker, erneuerer, vollender, eigenhändiger sensenmann
der totgeglaubten deutschen sprache (lyrik);
gottvater, sprachrohr, überheld
einer bereits heute bedrohlich nachdrängenden
erfolgreich-besonnenen generation
zweifelhafter schmalzumflorter weichwichsepigonen.

ich will
(und habe es tausendfach getan)
gedichte basteln
und zusammenklauen
aus alten
nur mir bekannten
lou reed- und
nick cave- und
neil young-
b-seiten.

ich will jurylyrik schreiben
und hauptpreisprosa
und ein büchnerstipendium will ich
für schön gewachsene schriftsteller,
förderfeuilleton fabrizieren,
stipendiatsstücke vom stapel lassen,
konfettigefeierte konsequent kontrollierte konzeptkonsenskunst,
und gewächshauslorbeeren will ich,
gewächshausloorbeeren und vorschnelle essayvorschüsse
von der wiege bis zur bahre,
eine ausgeprägte vitaliteratur zu schreiben ein leben lang!
den biobibliobabylobabybrabbelpreis BABA-abraham-brecht will ich und
den theodor-fontane-fötusförderpreis für teilfertige textfragmente und den
erich-fried-gedenkpreis für politische lyrik und den
ulla-hahn-gedenkpreis für apolitische lyrik.

ich will 250.000 signierte exemplare meiner gedichtsammlung verkaufen.
ich will eine grandios phänomenale gratisvollverteilung meines handgefertigten
goldfadengehefteten lyrikbändchens laubbläserblues
an alle vorhandenen haushalte,
speziell und gerade auch an jene,
die „eigentlich erst mal gar nicht so viel bock haben
auf poesie
oder gedichte
oder lyrik
oder balladen
oder poeme
oder wie das zeug sonst noch heißt“,
die kleine putzige bitte keine kostenlosen lyrikbände-kleberchen
auf ihren briefkästen und -schlitzen stehen haben
oder laubbläserblues? – nein danke!
und dass dann jeder doch gibt, was es ihm wert ist,
nämlich 30 euro oder eigentlich 100 oder mehr.

ich habe die dead kennedys gegründet
the clash gecastet
johnny rotten beraten

ich bin so punk,
ich kaufe mir den business
punk,
gebe der verkäuferin einen angepimmelten euro trinkgeld,
schneide das „business aus dem cover des „business
punk“                                     punk“,
schneide das „usiness“ aus „business“,
klebe mir „b         auf die stirn,
punk“
setze mich bei penny auf die einkaufswägen,
kaue zungenverfärbendes schlumpf-haribo,
höre helene fischer

und

spucke

aus.

ich bin überhaupt so underground,
jules verne hätte an mir seine helle freude gehabt.

„voted biggest asshole and role model of the year”

ich will keine schokolade,
keine kreide fressen,
kein blatt vor den mund nehmen,
mich immerzu schön ausgeleuchtet ins rechte licht rücken.

ich will mich einhundertundeinfach klonen
und regie führen und die hauptrollen spielen
in the human centipede 4.

i got straight edge
i walk the line

ich bin der größte,
ich bin der geilste,
ich hab den längsten!

ich will durch die goethe-institute dieser welt backpacken,
eine lebensgroße goethe-pappfigur im sack
und in schöner regelmäßigkeit
ein loch in selbiger
auf höhe des anus
(darstellend einen anus,
den anus goethes)
per umschnalldildo penetrieren,
dazu verwurstend
unter einsatz eines flammenwerfers
till lindemannsche gedichtzyklen rückwärts rezitieren,
einfach, weil ich es kann,
weil’s, wenn ich es sage, kunst ist.

ich bin der heimliche autor
des benimmführers
ich geb euch gleich erregung öffentlichen ärgernisses,
ich schrieb den beziehungsratgeber
ich geb dir gleich nen trennungsgrund,
ich schmierte zusammen den unsterblich
dauerbrennenden
wühltischbestversumpfer,
das aus heutiger sicht mitunter etwas zähe
und stellenweise doch zu dick aufgetragene
wer zuerst kommt, malt zuerst –
bukkakische weisheiten zur jahrtausendwende.

ich bin reinhard schmälzle aus meinem
autobiographischen telenovelaroman
der dauerprobeabonnent.

i want to hold your hand
i want you to want me'
i want to lay you down in a bed of roses
i want it that way
i wanna be loved by you
i wanna be your dog
i want a new drug
i want to know what love is
i want to break free
i wanna be a hippie
i wanna be sedated
i want to ride my bicycle
i want to conquer the world

d.i.y.!

d.i.y.!

d.i.y.!

i want to start my own fanzine
ground my own selbstverlag
edit my own text+kritik sonderband
ghostwrite the reclam lektüre-schlüssel
to my railbreaking poetry collection

            leavesblowerblues

i want to introduce a after me called poesiepreis
write autolaudatios
and then to verleih me the goethe-medaille –

ich habe die erde, gott und last but not least mich selbst
aus dem nichts geschaffen
(in genau dieser reihenfolge)
auf doppelbödige, dreifache, sechstausendfache
nicht-fache (nicht-)art.
wenn ich „schlecht“ denke,
vor meinem geistigen Auge,
in meinen Gedanken,
IN MIR DRIN –
implodiert das universum (fakt!),
nur ich bleibe dann übrig,
allein, enttäuscht von der welt,
aber – dankt es mir – ich denke
gottlob!
NIEMALS „schlecht“, zu
meinem
deinem
unserm
glück.

 mann (48) überfällt bank und will beute
gleich auf sein konto einzahlen

ich will mir beim bachmannpreis
obercowboylike ein sofa
auf die bühne hieven
eigenhändig
mir oben ohne
working class
einen offenen bruch
lupfen

platz nehmen
schweiß verströmen
das publikum
in den ersten
32 sitzreihen
mit kontaminiertem
eau de toilette
bespritzen;
die flache hand
vorn in die hose
den strohhalm
rein ins
sangria-
eimerle!

preisgekrönte prollternative massenlyrik

ich            i

will          w

das           a

a-             n

lles,          t

will          i

das           t

a-             a

lles,          l

und           l:

zwar         n

so-            o

fort           w

Andreas Schumacher

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